Die Besetzung von Verwaltungsgebäuden in der Ostukraine am 12. April und danach war erkennbar koordiniert, die beteiligten bewaffneten Männer verfügten offenbar über einen hohen Grad an militärischer Ausbildung. Das lässt jedoch nicht automatisch auf direkt beteiligte russische Sondereinheiten schließen. Einiges deutet daraufhin, dass es vielfach ehemalige ukrainische Bereitschaftspolizisten waren, die sich zunächst auf die Krim oder nach Russland abgesetzt hatten, um Strafaktionen der neuen Regierung zu entgehen. Auch das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass bei diesem Aufruhr eine selbstorganisierte soziale Massen- und Graswurzelproteste handelt, die sich nach dem Sturz des Präsidenten Viktor Janukowytsch gegen die neue Regierung
Regierung richten. In Süden und Osten der Ukraine verfügte die Maidan-Bewegung nie über größeren Rückhalt in der Bevölkerung. Die TV-Bilder von den Zusammenstößen in Kiew, die bewaffneten paramilitärischen Gruppen dort, die Anschläge auf Lenin-Denkmäler und die Tatsche, dass die rechtsextreme Swoboda-Partei Teil der Interimsregierung wurde – all dies verängstigte und schockierte die Menschen im Osten. Viele missbilligen die Aktionen der „Kiew-Junta“, wie sie die Administration nennen.Die Ereignisse auf dem Maidan waren keine „Revolution“, so wie die Anti-Maidan-Bewegung keine „Konterrevolution“ darstellt. Die Maidan-Proteste wurden als „Revolution der Würde“ bezeichnet, doch auch die Menschen im Osten sprechen mit Stolz von ihrer Würde, ihrer regionalen Identität und historischen Erinnerung, von sowjetischen Helden und ihrer Sprache. Insofern sind diese „Anti-Maidans“ nicht irrationaler als die Kiewer Maidan-Aktivisten, die auf eine europäische Zukunft hofften, aber – wie zu erwarten – eine neoliberale Regierung, Austeritätsmaßnahmen des IWF und Preissteigerungen bekamen. Für die utopischen Sehnsüchte in der Ostukraine spielt „Russland“ mit seinen hohen Löhnen und Renten die gleiche Rolle wie „Europa“ für den Kiewer Maidan. Die ökonomische Lage im ganzen Land verschlechtert sich von Tag zu Tag, die Landeswährung hat binnen zwei Monaten mehr als 50 Prozent an Wert verloren. Den Demonstranten in der Region Donezk begehren wegen existenzieller Probleme auf, die der ukrainische Staat seit der Unabhängigkeit von 1991 noch nie zu lösen vermochte. Sie spiegeln sich im Zusammenbruch von Unternehmen, in Arbeitslosigkeit, niedrigen Löhne, sozialer Vernachlässigung und Armut. Attackiert und ausgebuhtFür all diejenigen, die den Graswurzel-Charakter der Maidan-Bewegung gepriesen haben, mag es paradox klingen. Aber die Anti-Maidan-Proteste im Osten der Ukraine haben derzeit einen stärkeren Graswurzelcharakter, sind noch dezentralisierter, netzwerkartiger und führungsloser. Weder die Partei der Regionen noch die KP der Ukraine spielen für die Anti-Maidan-Bewegung eine politisch ähnlich repräsentative Rolle, wie das die drei ehemaligen Oppositionsparteien für den Maidan taten. Wie während der letzten Phasen der Maidan-Rebellion in der Westukraine sabotiert die Donezker Polizei die Anweisungen der Regierung. Häufig ist es ihr möglich, sich ohne viel Gegenwehr Kontrolle über Gebäude und Waffen zu verschaffen. Manchmal steht sie dabei auf Seiten der Demonstranten.Michail Dobkin, sogenannter „Repräsentant der südöstlichen Ukraine“, den Russland zu den Verhandlungen mit der EU und den USA in Genf (ebenbürtig zur Kiewer Regierung) einladen wollte, wurde von Demonstranten in Lugansk attackiert und ausgebuht. Gleiches widerfuhr Oligarchen ostukrainischer Herkunft wie Rinat Achmetow, die sich zum Friedenstifter berufen fühlten. Auch Serhij Taruta, der neue Gouverneur von Donezk, findet keine Zustimmung, den diskreditierten und korrupten Janukowytsch wollen sie ebenfalls nicht zurück. Die soziale Basis der Proteste im Osten scheint plebejischer und weniger gebildet als die des Kiewer Maidan. Man sieht mehr Arbeiter und Pensionäre – Intellektuelle, die sich engagieren und behilflich sind, klare Forderungen zu formulieren und in den Medien dafür einzutreten, gibt es dagegen weniger. Aus diesem Grund lässt sich diese Protestszene leicht von außen beeinflussen. Es fällt nicht schwer, in eine dezentralisierte Revolte verängstigter Menschen einzugreifen und diese zu manipulieren. Die Anti-Maidan-Proteste erweisen sich beim genaueren Hinsehen als ebenso vielfältig wie die des Maidan. Einige Leute sind für einen Anschluss an Russland, andere für mehr Autonomie innerhalb eines ukrainischen Staats. Russische Nationalisten machen sich bemerkbar und sind um keinen Deut besser als die ukrainischen Nationalisten der Swoboda-Partei oder des Rechten Sektors. Die Öffentlichkeit im Osten und Süden der Ukraine ist gespalten, denn parallel zu den Anti-Maidan-Meeting und – besetzungen finden Aktionen zugunsten der Kiewer Regierung und einer vereinten Ukraine statt. Wer oder was ist besser?Selbst wenn Forderungen nach Föderalisierung und einer Direktwahl der Gouverneure abstrakt betrachtet demokratisch klingen, würde dies in der ukrainischen Realität nicht zu einer vitalen regionalen Selbstbestimmung führen. Stattdessen erhielten lokale Größen mehr Macht. Man sollte keine – zwangsläufig heuchlerischen – Rechtfertigungen dafür konstruieren, warum die militärische Unterdrückung bestimmter Aufständischer besser ist als die militärische Unterdrückung anderer, warum die pro-ukrainische Rechte besser ist als die pro-russische Rechte, warum die neoliberale ukrainische Regierung besser ist als die neoliberale russische. Oder warum wir bereit sein sollen, den russischen Imperialismus zu bekämpfen, die imperialen Interessen des Westems in der Ukraine aber zu akzeptieren. Besser wäre es, die progressiven Flügel sowohl des Maidan als auch des Anti-Maidan zu unterstützen und zu versuchen, sie durch gemeinsame Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit gegen die herrschende Klasse in der Ukraine, gegen alle Nationalismen und Imperialismen zusammenzubringen.