Kapitalismus ist das System, in dem einige Millionäre immer reicher werden, während Millionen von 382 Euro im Monat leben. Man könnte auf die Idee kommen, an diesem System sei etwas faul. Oder man könnte auf die Idee kommen, selbst zu versuchen, zu einem der Gewinner zu werden. Das ist ungefähr die Idee des "Börsentags". Die Messe für Kleinanleger findet im Berliner Congress Center statt – zwischen Plattenbauten und dem Alexanderplatz, wo Flaschensammler und Grill-Walker ihr Tagewerk verrichten. Einst wurde unter der Kuppel des Kongresszentrums beim "Festival des politischen Liedes" der Sozialismus besungen.
An diesem Samstagvormittag finden sich im Inneren Stände von Banken und Anlageberatern. An einem Bistrotisch steht Maximilian Poll. Er ist Mitte 20, studiert Jura und heißt eigentlich anders, seinen echten Namen möchte er aber lieber nicht in der Zeitung sehen. Er sagt über seine Freizeit, dass er "gerne mal mit CFDs tradet". Wikipedia beschreibt diese als "hochspekulative, derivative Finanzinstrumente". Vielleicht eher etwas für Fortgeschrittene oder für Kamikaze-Anleger? Investiert er auch klassisch in Gold? Interessante Frage, findet Poll, er habe gestern Abend mit zwei Freunden lang über diese Anlagemöglichkeit diskutiert. Sein Befund nach Abwägen des Für und Widers: "Bei den Edelmetallen hat sich eine Blase gebildet."
Eine Frage des Ausschnitts
Mal schauen, was Herbert Wüstefeld dazu meint. Er arbeitet für die Royal Bank of Scotland, die in der Finanzkrise mit 46 Milliarden Pfund britischer Steuerzahler gerettet werden musste und seitdem teilverstaatlicht ist. Wüstefeld hält seinen Vortrag aber zum Thema: "Gold – ein Mythos zerbricht". Er reckt einen Spiegel von 1968 in die Höhe. Dessen Titel: "Gold. Ein Mythos zerbricht". Dann projiziert Wüstefeld eine Graphik an die Wand, die das damalige Kurs-Erdbeben des Goldpreises zeigt. Ein Sturz von 30 Prozent – "die Unruhe an den Börsen hätten Sie mal durchmachen sollen". Ein Klick, und im globalen Verlauf der vergangenen 50 Jahre schrumpft der Kurssturz zu einer Zuckung, die dem Herzton eines Patienten auf der Intensivstation ähnelt. Man lernt: alles eine Frage des betrachteten Ausschnitts.
Im Moment stürzt der Goldpreis wieder einmal. Im Oktober 2012 kostete die Feinunze 1.380 Euro, jetzt sind es noch 962 Euro. Wüstefeld empfiehlt, rund zehn Prozent Gold im Portfolio zu haben, davon einen Teil als echte Barren. Dann wagt er eine Prognose über künftige Tiefs beim Goldpreis, gefolgt von dem Satz: "Das weiß ich alles nicht." Er weist aber auch noch darauf hin, dass man "auch mit Hebelpapieren aller Art zocken" könne, schließlich arbeitet er ja bei der Bank of Scotland. Und er weiß auch noch: "Sie können auch mit Short-Papieren ganz interessante Hedge-Geschäfte machen." Dann ist er fertig. Es gibt keine Nachfragen.
Draußen vor der Tür haben sich zwei Pfandsammler unter die Anzugträger gemischt. In einer Zeit, in der die Märkte ständig unruhig sind, ist Pfand vielleicht die sicherste Geldanlage. Eine Bierflasche gibt immer acht, eine Cola-Büchse 25 Cent. Kursstürze sind nicht zu befürchten.
Von dieser Erkenntnis ist es nicht mehr weit bis zur Fundamentalkritik am Finanzkapitalismus und der Forderung nach einem Systemneustart. Dass der real existierende Kapitalismus Ungerechtigkeiten und Probleme produziert, würden zumindest einige Besucher des "Börsentags" auch gar nicht bestreiten. Sie setzen aber auf die Reformfähigkeit des Systems aus sich selbst heraus. Besuch beim Vortrag "Nachhaltige Geldanlagen: Ein Überblick". Dort hört auch Jürgen Steuber zu. Er erarbeitet Anlagevorschläge für Stiftungen. "Sie müssen ethisch und nachhaltig sein, dürfen aber auch nicht zu wenig Rendite abwerfen", beschreibt er sie.
Hat der Vortragende Volker Weber, Vorsitzender des Forums für Nachhaltige Geldanlagen, dafür zufällig ein Beispiel parat? "Nehmen Sie Adidas-Papiere, die sind in fast jedem Nachhaltigkeitsfonds drin", sagt er. Moment mal – ein Unternehmen, das Kleidung in Billigländern unter zumindest fragwürdigen sozialen Standards produziert, ist nachhaltig? Man müsse halt sehr genau hinschauen, welche Kriterien die Anbieter nachhaltiger Fonds benutzen, sagt Steuber. Mit dem Best-in-Class-Prinzip erklären manche kurzerhand diejenigen Firmen für nachhaltig, die innerhalb ihrer Branche ökologische oder ethische Standards noch am besten umsetzen. Womöglich ist es mit der Reformfähigkeit des Systems doch nicht so weit her.
Kunstwerke oder alte Autos
Und wie ist es dann mit dem reinen Kohlemachen? Vielleicht hat ja Markus Koch einen Geheimtipp, wie das funktionieren kann. Er berichtet für den Nachrichtensender n-tv von der New Yorker Börse und wurde direkt von den unruhigen Märkten nach Berlin eingeflogen. Koch ruft in den Raum: "Setzen Sie auf Aktien, setzen Sie auf Sachwerte wie Kunstwerke oder alte Autos." Er sieht die Kräfte des Marktes durch die US-Notenbank Federal Reserve ausgehebelt, weil sie ständig Staatsanleihen kauft und damit quasi Geld druckt.
Erst im September kündigte Notenbank-Chef Ben Bernanke an, weiter Anleihen aufzukaufen. "Dieses Jahr wird er nicht mehr drosseln", sagt Koch. "Davon bin ich fest überzeugt. Genauso wie ich davon überzeugt war, dass er drosseln werde." Koch setzt ein Schwiegersohn-Lächeln auf. "So ist das bei uns an der Wall Street", sagt er gern. Wie schafft es dieser Mann, so zynisch auf seine Branche zu blicken und gleichzeitig im großen Spiel so fleißig mitzumischen? Das löst Unbehagen aus.
Der sicherste Finanztipp für den Nachhauseweg: Packen Sie an mindestens fünf Messeständen eine Tasche mit Geschenken ein und verscherbeln Sie die Give-aways später im Internet-Auktionshaus Ihres Vertrauens. Übrigens: Sollten Sie Interesse an einem Brillenputztuch oder an dem Wall-Street-Bestseller Im Zweifelsfall: Kaufen! haben, schauen Sie die Tage doch mal bei Ebay vorbei.
AUSGABE
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 43/13 vom 24.10.2013
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.