Man könnte mich an eine Maus nähen

Die Ratgeberin Wie kann sich unsere Kolumnistin bloß das kyrillische Alphabet merken? Lebenslanges Lernen bedeutet für sie einen operativen Eingriff
Ausgabe 36/2017
Buchstabensalat: Die Ratgeberin verzweifelt am Kyrillisch-Tippen
Buchstabensalat: Die Ratgeberin verzweifelt am Kyrillisch-Tippen

Foto: Indranil Mukherjee/AFP/Getty Images

Ich schreibe diesen Text (für ein lustiges bulgarisches Kunstprojekt, das zu erklären sehr weit führen würde) mit Fingern, an denen Fetzen kyrillischer Buchstaben kleben. Die anderen Teile pappen noch immer auf Tesakrepp auf meiner Tastatur. Und das bleibt erst mal so. Denn es handelt sich um ein Mahnmal! Ein Mahnmal für mein übervolles, altes, staubiges Gehirn, das nicht mehr in der Lage ist, sich ein unbekanntes Zeichen auch nur für wenige Sekunden zu merken. Das bedeutet: Die richtige Taste finde ich nur, indem ich einen Ausdruck des entsprechenden kyrillischen Buchstabens direkt neben die mit dem gleichen Buchstaben beklebte Taste halte. Unfassbar!

Zu Beginn hoffte ich noch auf eine steile Lernkurve, die mich bald im Zehnfingersystem über die Tastatur jagen lassen würde. Wie man sich halt so motiviert (und im Falle des Misserfolgs dann entsprechend vernichtet). Im Internet suchte ich Hilfe, googelte nach: Lernstrategien für Ältere, Lernen mit 50+, geistig fit in hohem Alter etc. Aber – oha! Von all diesen Seiten schallte mir entgegen, dass ich mit echt üblen Vorurteilen daherkäme! Von wegen Ältere könnten nicht mehr so gut lernen. Auf derart idiotische Ideen kommen wohl überhaupt nur so alte Gehirne wie meines. Jüngere Gehirne, wie das des Lernforschers Prof. Dr. Christian Stamov Roßnagel, produzieren dagegen Gedanken wie: „Es gibt kein Lernen für Ältere – und keins für Jüngere! Es gibt nur gutes Lernen und weniger gutes Lernen! Die Folgen weniger guten Lernens zeigen sich bei Älteren deutlicher als bei Jüngeren!“ Hm, einen winzig kleinen Förderbedarf für ältere Gehirne meine ich da doch herauszuhören.

Ich forsche weiter. Die soziale Motivation beim Lernen werde im Alter wichtiger. Und: Kurzzeitgedächtnis lässt nach, Langzeitgedächtnis schwillt an. Eben doch! Mein Gehirn ist voll. Der ganze alte Quatsch drängt nach oben. Neulich fiel mir spontan ein, wie man ein Schreibmaschinenband wechselt. Wie dämlich! (Kleiner Hinweis an jugendliche Leser: Überlegt jetzt gut, ob ihr euch in 60 Jahren mit den Unterschieden von iPhone 6, 6s, 6plus, 7 usw. rumplagen wollt!) Aber: Ich soll nicht verzagen. Wenn ich will, kann ich noch genauso viel und gut lernen wie Jüngere. Bei mir dauere es nur etwas länger. Nur???!!! Allenfalls Gehirne, die noch alle Zeit der Welt haben, können die Lerngeschwindigkeit für unerheblich halten. Weiter schreiben sie: Meine fluide Intelligenz, die mich Neues aufnehmen lasse, sinke. Aber meine kristalline Intelligenz (Farbbandwechsel etc.) steige! Hier stoße ich endlich auf einen verwertbaren Tipp: Für Ältere empfehle sich deshalb die Assoziationsmethode. Neues soll an bereits Vorhandenes anknüpfen. Gut! Mit frischem Lebensmut suche im Internet nach Zeugs, das bei mir andocken kann. Und hier kommt auch schon was daher. In der FAZ lese ich nämlich: Alles Quatsch! Was ich brauche, ist ein junger Mensch, der sich für einige Wochen mit mir operativ zusammennähen lässt. Das ergaben Experimente des Biologen Tony Wyss-Coray. Er nähte eine junge mit einer alten Maus derart zusammen, dass die Gefäße der beiden Tiere miteinander verwuchsen. Danach wurden sie wieder getrennt und: „Besonders beeindruckend war die Wirkung des jungen Bluts im Gehirn. Vergreiste Mäuse lernen nur noch schlecht, auch ihr Gedächtnis wird schwach. Die Hirne von Wyss-Corays Versuchstieren zeigten Leistungen, als wären sie jugendlich.“ Das muss man sich mal vorstellen! In Nullkommanix könnte ich die restlichen kyrillischen Texte eingeben.

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