Man müsste Musik verbieten

Im Gespräch Anner Bijlsma über den Jubilar und Cello-Ignoranten Mozart, über Bach und weniger akzeptable Autoritäten und das mögliche Ende der Dauerkrise klassischer Musik

Der heute 72-jährige holländische Cellist Anner Bijlsma gilt als einer der Weltmeister seines Instruments. Wenn er trotzdem kein Star ist, allenfalls schon zu Lebzeiten eine Legende unter Musikerkollegen, liegt das an seiner Verachtung für Würdenträger. Schon während der Schulzeit war die Unfähigkeit zur Anpassung unübersehbar, ihr zur Seite eine gut sitzende Gleichgültigkeit für die Hierarchien des Mainstream und schließlich eine bis auf den Tag nicht nachlassende Begeisterung für Kammermusik. Ihr zuliebe quittierte Bijlsma - er stand Mitte der sechziger Jahre als einer der jüngsten Solocellisten in der Geschichte des Amsterdamer Concertgebouw Orchesters vor einer solistischen Weltkarriere - nach fünf Jahren den Dienst.

FREITAG: Sie sind neben Musikern wie Gustav Leonhardt, Nikolaus Harnoncourt oder den Kuijken-Brüdern einer der Väter und Motoren der historischen Aufführungspraxis. War es Zufall, dass deren Aufschwung in den 68er Jahren begann?
ANNER BIJLSMA: Diese Zeit hat uns beflügelt. Wir wollten die Musik so spielen, wie wir uns vorstellten, dass die Komponisten selbst sie gespielt haben. Und es hat Spaß gemacht, dass die großen Herrschaften, die alles wissen, die Professoren, ganz dagegen waren. Das war natürlich herrlich, wenn man jung ist; es hat weniger mit der Musik zu tun als mit der Natur.

Sie haben eine strukturelle Abneigung gegen Musikprofessoren und Dirigenten.
Sie würden mich nicht weiter stören, wenn sie nicht öfter einigen Schaden anrichteten. Boccherini zum Beispiel, einen der unterschätztesten Meister der Musikgeschichte, dirigieren sie wie Haydn. Man kann Stücke so spielen lassen, dass die Größe eines Komponisten nicht mehr erkennbar ist, das geht, da werde ich stocksauer.

Mozart hat, abgesehen von einer kaum bekannten Sonate für Cello und Fagott, kein Stück für Solo-Cello hinterlassen.
In einer Notiz, die man in dem Buch von Köchel nachlesen kann, vermerkt Mozart: "Gestern Abend Uraufführung von meinen sechs, dem Haydn gewidmeten Quartetten: Erste Geige Leopold Mozart, zweite Geige Joseph Haydn, Bratsche meine Person". Da schreibt er, verdammt noch mal, nicht, wer der Cellist war!

Frustriert Sie das?
Man muss doch nicht immer Solist sein! Es gibt nichts Schöneres als einen richtigen Bass zu spielen. Außerdem hat Mozart den Anfang einer Sinfonia Concertante für Geige, Bratsche, Cello und Orchester hinterlassen.

Ein Fragment.
Er hat es fertig komponiert bis zur Reprise, ein Engländer hat es komplettiert, ich habe noch eine Kadenz dazu gemacht. Das ist ein fantastisches Stück, wunderbar geschrieben für Cello. Es war für einen Geiger gedacht, der aber von Wien nach Salzburg umgezogen ist. Da hat er´s in den Schrank geschmissen. Es liegt so viel im Schrank von Mozart. Sie finden den Gedanken vielleicht vulgär, aber bei Mozart hat immer alles mit Geld zu tun, bei allen Komponisten hat alles mit Geld zu tun.

Mozart hat, auch aus Geldgründen, immerhin zwei Quartette für den preußischen König komponiert, in denen das Cello oft im Vordergrund steht, weil der König ein Amateurcellist war.
Diese Quartette sind für einen Cellisten unangenehm zu greifen. Die große Sache beim Cello war ja die Erfindung der Daumenlage im 18. Jahrhundert, eine große spieltechnische Erleichterung. Man musste nur wissen, wie man für Daumenlage komponiert. Und ich nehme an, der Mozart wusste das nicht.

Sie gelten als einer der prägendsten Interpreten von Bachs sechs Suiten für Solo-Cello; Sie haben sie zweimal aufgenommen, haben ein weltweit übersetztes Buch mit dem Titel "The fencing master" darüber geschrieben. Unter Mozartfreunden ist die Verbindung Mozart-Bach immer noch recht unterbelichtet. Worin besteht sie?
Mozart war natürlich ein unwahrscheinlicher Kontrapunktist. Seine Frau Konstanze hat immer gern gehabt, dass er Fugen schrieb, das fand sie schön. Da gab´s damals einen Holländer in Wien, der hieß van Swieten, ein echter holländischer Baron. Der hatte auf seinem Dachboden einen Haufen Werke von Bach liegen, Händel auch, seltene Sachen, die man damals nirgends bekommen konnte. Da gingen dann Leute wie Haydn und Mozart die Treppe hoch und saßen am Tisch, blätterten in den vergilbten Papieren, wunderten sich und genossen Bachs Musik. Von Mozart ist bekannt, dass er ein unwahrscheinliches Gedächtnis hatte.

Sie spielen auf die Geschichte in Rom an.
Richtig. Er hörte in der sixtinischen Kapelle das Miserere von Allegri. Es war verboten, dessen Noten zu kopieren. Es durfte nur in den päpstlichen Räumen gespielt werden und wurde nur einmal im Jahr an Ostern aus dem Panzerschrank geholt. Da stand der kleine Mozart dann, ich glaube, er war vierzehn, und das war für ihn natürlich eine Einladung. Er hat sich das angehört, ist nach Hause gegangen und hat es aus dem Kopf notiert. So hat er auch seine eigenen Stücke gemacht, er hat sie auswendig komponiert und dann aufgeschrieben.

So hat er es auch auf dem Dachboden bei van Swieten gehalten?
Ich nehme an, dass er die Bachnoten auch auswendig mit nach Hause genommen und sie dann zu Papier gebracht hat für seine Frau. In den Bach-Fugen, die er hinterlasen hat, stehen allerdings hier und da kleine Änderungen. Ein Ton, der bei Bach in der einen Stimme steht, steht bei Mozart in der anderen, ganz kleine Dinge. Und dann die Einleitungen, die alle verschieden sind. Die eine ist geschrieben wie von Carl Philipp Emanuel Bach, die andere wie von Gluck, es gibt sogar eine, die klingt wie Mozarts Ave Verum. Ich nehme an, dass Mozart mit diesen leicht veränderten, mit eigenen Einleitungen versehenen Versionen von Bach-Fugen geübt hat. Er hat immer geübt, wie Bach selbst immer geübt hat. Die haben immer gearbeitet und sind immer weiter gewachsen.

Im Unterschied zu Leuten wie Bach oder Beethoven oder Liszt hat Mozart das musikalische Material nicht revolutioniert.
Er hat nicht extra danach gesucht, um interessant oder modern zu sein. Es hat ihn irgendwie nicht interessiert. Mozart war hyperaktiv. Im Kopf ging es bei ihm um wie ein Rad, das sich immer gedreht hat. Zugleich war er Philosoph. Opern wie Figaro oder Don Giovanni schreibt man nicht, wenn man kein Philosoph ist. Er war auf der Höhe der politischen Zustände. Er war Zeitungsleser, er hatte Philosophen wie Moses Mendelssohn in seiner Bibliothek.

Obwohl die Klassik oberflächlich im Mozartjahr ein ganz anderes Bild bietet, steckt sie seit einem Jahrzehnt in einer tiefen Krise. Was schlagen Sie vor?
Ich bin sehr für Demokratie. Aber Musik ist nicht demokratisch, Kunst ist nicht demokratisch. Darum meine ich, in der Kultur wie sie heute existiert, sollte echte Begabung verboten werden. Ich finde sogar, man müsste die Musik verbieten. So dass man, damit die Nachbarn es nicht hören, mit geschlossenen Vorhängen und Matratzen vor den Fenstern, im Zimmer sitzt und seinen Leute flüsternd sagt: "Heute Abend ein Stückchen Mozart!" Und dann kommen die und trinken sich besoffen und sitzen bei einer Kerze. Da würde die Musik wieder wertvoll, die Leute würden endlich wieder richtig genießen!

Das Gespräch führte Stefan Siegert


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