Manches geschieht über Nacht

Im Gespräch Ulrich Maurer, Vorstandsmitglied der Linken und Beauftragter für den Parteiaufbau West, über christdemokratische Feind- und sozialdemokratische Trugbilder

FREITAG: Hat der Wahlkampf der Linken in Hessen darunter gelitten oder davon profitiert, dass zuletzt alles auf die Debatte über Jugendkriminalität fokussiert schien?
ULRICH MAURER: Weder noch. Dieses Spiel hat Roland Koch auch dank der Dummheit der SPD betreiben können. Ich glaube, sein erstes Ziel war es, die Kampagne der SPD aus den Schlagzeilen zu kriegen und durch sein Thema zu ersetzen.

Sie meinen die Kampagne zum Mindestlohn.
Ja, dessen Wiederentdeckung durch die Sozialdemokratie. Aber ich glaube, unterm Strich wird das weder der CDU noch der SPD nützen. Wir haben stattdessen unsere Themen in den Wahlkampf getragen: soziale Gerechtigkeit, insbesondere die Frage der sicheren Renten. Dieser Anlagebetrug, der als Riester-Rente bezeichnet wird, hat die Bevölkerung doch spürbar wach gerüttelt. Wir haben die Sklavenarbeit bei Zeitarbeitsfirmen und die Kinderarmut thematisiert. Den gesetzlichen Mindestlohn sowieso. Lange bevor die SPD darauf kam, hat die Linke dieses Thema hoch- und durchgehalten.

Kommt die Linke in den Landtag - wie hat diese Frage den Wahlkampf geprägt?
Das hat alle Parteien sehr beschäftigt, das hat besonders Roland Koch veranlasst, in die Gespensterkiste des Kalten Krieges und zu den gröbsten Diffamierungen zu greifen. Natürlich wissen die Wähler in Hessen, dass sie Koch nur los werden, wenn die Linke in den Landtag einzieht - eine zentrale Frage für den Ausgang dieser Hessen-Wahl.

Oskar Lafontaine hat gerade nach der Klausur der Bundestagsfraktion in Kassel vier Kriterien genannt. Würden die beachtet, sei die Linke zur Zusammenarbeit verpflichtet. Ist das eine Modifizierung der bisherigen Aussagen - keine Koalition, keine Tolerierung?
Nein, gar nicht. Wir sagen ja auch in der Bundespolitik, wer mit uns zusammenarbeiten will, muss grundlegend die Richtung der Politik - für mehr soziale Gerechtigkeit - ändern. Wobei Zusammenarbeit nicht gleichbedeutend mit Regierungsbeteiligung ist.

Aber Tolerierung könnte es in Hessen heißen.
Ich habe immer gesagt, wir sind in dieser Frage nicht am Zug. Ich weiß zwar, dass die SPD in der Lage ist, über Nacht ihre Meinung zu ändern. In der Regel erlebt man da negative Überraschungen wie bei der Mehrwertsteuer-Erhöhung. Im Moment nehmen wir zur Kenntnis, dass Frau Ypsilanti tollkühn weiter behauptet, sie wolle mit uns nichts zu tun haben und würde es allein schaffen. Das ist eine Schimäre, die ihr niemand abkauft. Wie gesagt - wir sind nicht am Zug, wir haben auch keinen Ehrgeiz, auf den Sesseln von Ministern oder Staatssekretären zu sitzen. Uns kriegt man nicht für Pfründe. Wer mit uns was machen will, muss seine Politik ändern.

Warum hat dann Ihr Spitzenkandidat van Ooyen erklärt, die Linke werde gegebenenfalls eine SPD-Ministerpräsidentin mitwählen?
Wir plakatieren schließlich, dass wir Koch weghaben wollen. Und wenn es eine Chance dazu gibt, werden wir ihn abwählen.

Wäre der Einzug in den hessischen Landtag für Ihre Partei der Durchbruch im Westen?
Keine Frage. Ich halte das auch in Niedersachsen nicht für ausgeschlossen.

Und was bedeutet es für die Zukunft der Linken, wenn Sie in beiden Ländern scheitern?
Wir kämpfen bis in die letzten Stunden in einem durchgehenden 48-Stunden-Wahlkampf am Freitag und Samstag, weil wir wissen, wie wichtig dieser 27. Januar für die Bürger in Hessen und Niedersachsen ist. Ich will einfach einmal daran erinnern, dass man sich zuletzt immer Mühe gegeben hat, uns vor Wahlen demoskopisch möglichst herunter zu rechnen. Ich denke an Bremen - da hieß es 4,5 Prozent, tatsächlich wurden es 8,4.

Ist es für die neue Linke inzwischen schwerer, Wähler zu gewinnen, weil sich - ich zitiere Lothar Bisky - die SPD besonnen hat und versucht, wieder mehr linke Kontur zu zeigen?
Ich sehe das noch nicht und glaube, dass die SPD-Führung bisher eigentlich nur die Rhetorik geändert hat. Dazu war sie immer schon fähig, wenn ich nur an die letzten Wahlkämpfe denke. Nach dem, was man von unseren Mitgliedern aus dem hessischen Wahlkampf hört, ist die Zustimmung für die Linke deutlich höher als vor der Bundestagswahl 2005. Ein strategisches Problem ergäbe sich - wenn überhaupt - erst dann, wenn die SPD-Führung wirklich in der Gesetzgebungsarbeit die Richtung ändern würde. Das sehe ich derzeit freilich gar nicht.

Andererseits ist die Gesamtsituation für die SPD erkennbar günstiger, seit durch Münteferings Rückzug Kurt Beck unangefochten im Vordergrund steht und den Vorteil genießt, nicht in der Bundesregierung zu sein.
Sicher, zwischen Beck und Müntefering gab es über Monate hinweg einen offenen Machtkampf. Der wird nun mit Blick auf die Kanzlerkandidatur zwischen Beck und Steinmeier - wenn auch verdeckt - fortgesetzt.

Woraus schließen Sie das?
Es muss doch einen Grund geben, weshalb der Außenminister seit Wochen plötzlich so etwas wie den wilden Parteiführer gibt, was gar nicht zu ihm passt.

Sie haben stets gesagt, die große Koalition hält bis zum Ende dieser Legislaturperiode. Bleiben Sie nach diesen konfrontativen Wahlkämpfen dabei?
Ich fühle mich durch den Gang der Ereignisse nur bestätigt. Das läuft nach dem Muster, man schlägt sich - man verträgt sich. Solange es Union und SPD schlecht geht, was die Zustimmung in der Bevölkerung betrifft - und eine Mehrheit lehnt die Politik der großen Koalition in zentralen Fragen ab -, fürchten sie natürlich das Urteil der Wähler. Ertrinkende klammern sich aneinander.

Worauf wollen Sie sich in der Schlussphase des Wahlkampfes konzentrieren?
Ich denke, die Erfahrung mit dem Zynismus des alltäglichen Kapitalismus, wie sich das am Beispiel Nokia zeigt, wird eine Rolle spielen. Auch die gesteigerte Kriegsbereitschaft der SPD, die nun zum Einsatz von Kampfverbänden der Bundeswehr in Afghanistan führt, wird ihre Wirkung hinterlassen. Das Irre ist doch, dass sich SPD-Verteidigungsexperten massiv dafür aussprechen, während die CDU das mehr zögerlich tut.

Das Gespräch führte Lutz Herden

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