Demo Nach der Manifest-für-Frieden-Kundgebung Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers beschäftigt viele Medien der Querfront-Vorwurf. Unterzeichner Christoph Butterwegge hat auf diesen geantwortet
Wer „reinen Herzens“ für Verhandlungen ist, sei willkommen, sagte Sahra Wagenknecht
Foto: Craig Stennett/Getty Images
Zwei Tage nach der „Manifest für Frieden“-Kundgebung in Berlin ließ die Redaktion des ARD-Politmagazins Fakt einen Praktikanten alle Erstunterzeichner der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Manifest-Petition anschreiben: „Auf dem Hintergrund unserer Recherche“, heißt es darin wörtlich, „und mit der Kenntnis, was über die Veranstaltung jetzt bekannt wird, würden Sie das ,Manifest für Frieden‘ erneut unterzeichnen? Wenn ja, warum? Wenn Sie sich anders entscheiden würden, können Sie uns die Gründe dafür nennen?“
Die Fakt-Recherche bestand in einem Dokument, das bei der Kundgebung erschienene Rechtsextremisten mit kurzen Profilen vorstellt: Jürgen Elsässer („Quelle
Gründe dafür nennen?“Die Fakt-Recherche bestand in einem Dokument, das bei der Kundgebung erschienene Rechtsextremisten mit kurzen Profilen vorstellt: Jürgen Elsässer („Quelle Wikipedia“), Wjatscheslaw Seewald, Nikolai Nerling und Rüdiger Hoffmann. Elsässer etwa kann sich freuen, mit der Aussage zitiert zu werden, dass er sich hier willkommen fühlen würde.Dass Kundgebungs-Initiatorinnen wie die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen die Polizei gebeten hatten, etwa Elsässer von der Versammlung auszuschließen, weil er eben nicht willkommen war, die Polizei dies aber verweigerte, ließ die Recherche unerwähnt, ebenso Wagenknechts Worte: „Dass Rechtsextremisten und Reichsbürger, die in der Tradition eines Regimes stehen, das den schlimmsten Weltkrieg seit Menschheitsgedenken vom Zaun gebrochen hat, auf unserer Friedensdemo nichts zu suchen haben, versteht sich von selbst. Seit wann ist der Ruf nach Frieden rechts? Und Kriegsbesoffenheit ist dann wohl links?“ In die Fakt-Anfrage hatte es nur ein Teil des Satzes „Jeder ist willkommen, der reinen Herzens für Frieden und Verhandlungen ist“ geschafft. Immerhin verschwieg sie nicht, dass der kleine Trupp Elsässers von Kundgebungsteilnehmern abgedrängt und abgeschirmt worden war.Mehr als 13.000 MenschenNur „eine kleine laute Minderheit“ sei da in Berlin am 25. Februar zusammengekommen, sagte Ralf Fücks, Geschäftsführer der staatlich geförderten Denkfabrik Zentrum liberale Moderne. Dessen Ukraine-Solidaritätskundgebung tags zuvor unter dem Motto „Das Ungeheuerliche nicht hinnehmen“ kam medial weitaus besser weg. Indessen war die von Wagenknecht und Schwarzer mobilisierte mutmaßliche Minderheit so klein nicht. Die von der Polizei angegebene Teilnehmerzahl war mit 13.000 augenscheinlich viel zu gering bemessen. Was angesichts aktueller Umfragen nicht verwundern sollte: 64 Prozent der Befragten sprachen sich im ARD-Deutschlandtrend Mitte Februar gegen die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine aus; Anfang des Monats hatten 58 Prozent – sechs Prozent mehr als im Januar – bemängelt, die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges gingen nicht weit genug. Die change.org-Manifest-Petition haben inzwischen mehr als 700.000 Menschen unterzeichnet.Zu sehen sind auf der Straße des 17. Juni vor allem über 50-Jährige, unauffällig bis bunt Gekleidete, dem Anschein nach eher untere als obere Mittelschicht. Sie haben besorgte Gesichter, tragen Rucksäcke über Thermojacken und frieren im Schneeregen. Zwischendurch applaudieren sie dem US-amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs, Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network, der per Videogrußwort dem Westen eine Mitschuld gibt für den Krieg in der Ukraine – und der im Übrigen einer jener westlichen Berater gewesen ist, die Russland in den 1990er Jahren in Richtung einer neoliberalen Schocktherapie drängten, mit der die jüngere Geschichte des Landes viel zu tun hat (der Freitag 37/2022).„Schwerter zu Pflugscharen“Auf dem matschigen Boden abseits der Straße ist es nicht ganz so drängelig, der Lautsprecher trägt gut, Wagenknechts Rede wird bejubelt, „Diplomatie statt Waffenlieferungen“, steht am Rednerpult, „Baerbock raus“-Rufe ertönen. Man sieht ein paar deutsche Flaggen, aber weitaus mehr Fahnen mit einer Friedenstaube. Wjatscheslaw Seewald, von Ordnern offenbar nicht als Rechtsextremist erkannt, muss seine russische Flagge auf deren Geheiß einrollen. Die allermeisten hier sind im Gegensatz zu ihm weder Putin-Versteher noch rechts, sondern tragen Schilder und Aufnäher mit der alten Losung der Friedensbewegung: „Schwerter zu Pflugscharen“. Obwohl die feuchte Kälte in die Knochen zieht, harren die Demonstrierenden aus, einige mit zu Transparenten umfunktionierten Schirmen. Ein junger Elektriker im roten Arbeitsanzug steht dicht bei seinem Vater oder Chef. Ein Ehepaar Anfang 60 in den hinteren Reihen, weiter weg vom Brandenburger Tor, ist aus Hannover angereist.Andernorts steht eine Familie – Mutter, Oma, Schwiegersohn – am mit Schlammspritzern verzierten Kinderwagen. Ob sie mit der Presse reden? Zögern. Vorsichtiges Nicken. Warum sind sie gekommen? „Um für den Frieden zu demonstrieren“, so die Frau. Die negative Berichterstattung hält sie nicht ab? „Ich überprüfe lieber selbst, ob da was dran ist“, sagt sie, „und was heißt schon Nazi? Kann jemand, der gegen den Krieg ist, wirklich rechtsextrem sein?“Christoph Butterwegge sprichtAuf der Bühne setzte Alice Schwarzer gegen Ende der Kundgebung zu einer fragwürdigen Choreografie an. Zu John Lennons Imagine schunkelt sie lächelnd und versucht den hüftsteifen Bundeswehr-Brigadegeneral a. D. und damaligen Berater Kanzlerin Angela Merkels, Erich Vad, zum Mittanzen zu animieren, als befinde man sich auf einem fröhlichen Happening.Von den Seiten versuchen Kritiker der Kundgebung, diese mit Rufen zu stören – blau-gelbe Nationalflaggen gegen weiße Friedenstauben auf blauem Grund. Die einen sehen in Waffenlieferungen und Aufrüstung das Gebot der Stunde, die anderen fordern sofortige Verhandlungen mit Wladimir Putin. Beide sagen nicht, mit welchem konkreten Ziel sie ihre Forderungen verknüpfen – etwa, ob die Ukraine sich mit deutschen Leopard-Panzern die Krim zurückholen oder mit deutscher Diplomatie dazu genötigt werden soll, kampflos Territorium zu verlieren. Beide bombardieren einander mit zum Teil wortgleichen Vorwürfen: Naivität, Dummheit, Empathielosigkeit, Zynismus, Faschismus, Geschichtsvergessenheit. Und beide operieren mit Angst – die einen mit der Angst vor weiterer Eskalation und Atomkrieg, die anderen mit der Angst vor Wladimir Putins nimmersattem Imperialismus. Am meisten Angst scheinen derweil etliche Medien zu haben – davor, dass da wirklich eine neue Friedensbewegung entstehen könnte.Antworten von Manifest-Unterzeichnern auf die Fakt-Anfrage hat inzwischen Schwarzers Magazin Emma veröffentlicht, darunter die des Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge: „Niemand wird mich als Rechtsextremismusforscher irgendwelcher Sympathien für AfD-Chef Tino Chrupalla verdächtigen, und ich sehe, anders als in der Weimarer Republik, heute auch keine ernsthafte Gefahr, dass es zu einer ,Querfront‘ zwischen Linken und Rechten kommt“, schreibt Butterwegge. „Nur weil einzelne AfD-Politiker und Neonazis, die militaristische Grundüberzeugungen haben und Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung bejahen, auf von Prominenten ergriffene Friedensinitiativen aufspringen, um ihrerseits davon zu profitieren, darf man diese schließlich nicht unterlassen.“ Und schließlich: „Allenfalls hätten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in ihrem Manifest deutlicher zum Ausdruck bringen sollen, dass es keine inhaltliche Übereinstimmung zwischen ihnen und rechtsextremen Politikern gibt.“
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