Mann gegen Mann

Alltag Ausflug in das Paralleluniversum Boxsport

Am Kneipentisch hatte Herr Horrido vorgeschlagen, zum Profiboxen zu gehen. Er hatte ein vielversprechendes Werbeplakat gesehen, mit gewalttätig blickenden Kerlen vor goldstrahlendem Hintergrund, überschrieben mit "GBU-Weltmeisterschaft" - eine fremde Welt präsentierte sich, ein Paralleluniversum, das seiner Erkundung harrte. Herr Jenner war sofort einverstanden, wohingegen Herrn Hambusch, dem 25 Euro für die sogenannte Weltmeisterschaft eines Verbandes, den niemand kennt, zu teuer erschienen war, erst überredet werden wollte: "GBU, was soll das sein? Großbernauer Union?" Horrido wusste es auch nicht, beschwor aber die archaische Schönheit des Boxsports: Mann gegen Mann, nur einer kann gewinnen. Und: Ein ganz alter Türke gegen einen blutjungen Armenier im Hauptkampf, allein die symbolische Brisanz der Begegnung verspreche grandiose Szenen. Graue Wölfe, die bei ihrer Niederlage in Tränen ausbrechen, oder aber, kaum schlechter: ein junger Schläger, der vor der raffinierten Kampfkunst des Alters in die Knie geht! Hambusch hatte schließlich zugestimmt und Horrido versucht, Karten vorzubestellen. Der Veranstalter, die "Ring Promotion Uterstädt" jedoch, auf Vorbestellungen offenbar nicht vorbereitet, war nur hin und wieder per Handy zu erreichen. "Kommt einfach", hatte man dem Anrufer beschieden.


Am Eingang der "Universal Hall" in Berlin-Moabit herrscht Chaos. Die Türsteher sind beeindruckend groß, aber auch beeindruckend dumm. Um ein Haar werden die von dem einen entwerteten Billetts vom anderen nicht mehr anerkannt. Die drei investigativen Journalisten sind etwas verunsichert. Besonders Herr Jenner, der für diesen Abend ein leger-sportliches Outfit gewählt hat, fühlt sich underdressed. Alle anderen tragen gute Sachen, einige sogar Anzüge oder wenigstens Sonnenbrillen. Massige Nacken, platte Nasen, grobe Kiefer überall, dazu einige reizende junge Damen mit schwerem Parfüm, manche effektvoll aufgeputzt bzw. operiert. "Toll!", entfährt es Herrn Jenner, "Rotlicht", flüstert Herr Horrido fachmännisch. In Wirklichkeit ist die Mehrzweckhalle blau ausgeleuchtet und verströmt den Charme einer Dorfdisko.

Vor dem Ring die Sitzreihen, dahinter das VIP-Podest, überall drumherum Sonderplätze für Schiedsrichter, Ansager, Sponsoren. Seitlich, vor einem opulenten Tresen, befinden sich die Stehplätze; hier gibt es Bier und man darf rauchen. Herr Horrido hat Zigarren mitgebracht, um angemessen männlich zu erscheinen. Also raucht man und Herr Hambusch erzählt, was er im Netz über die GBU herausgefunden hat: die Global Boxing Union ist eine Neugründung, die außerhalb der eigenen Webseite fast nirgends Erwähnung findet. Auffällig sind die personellen Verflechtungen mit dem Frauenboxverband WIBF, deren Vorsitzende bei der GBU die Stellvertreterin ist, während ihr eigener Stellvertreter umgekehrt der GBU vorsitzt. Herr Jenner meint, das klinge doch vielversprechend, nach Korruption und Unterwelt. Wie zum Beweis werden im Ring gerade die Sponsoren verkündet - ein Sicherheitsdienst, ein Autohandel, ein Nachtclub. Darauf stellt der Ansager in Jahrmarktsmanier den unglaublichen "Killerzwerg Fabian" vor, einen achtjährigen Jungen, der angeblich schon boxen kann; dann rappt eine Neuköllner Hiphop-Combo: "Alles ist erlaubt, worauf wartest du?" Nach fünf endlosen Minuten sind sie fertig, das Startsignal ertönt: "Eye of the Tiger". Alles begibt sich auf die Plätze.

Ein Boxabend folgt einer schlichten Dramatik, sagt Herr Horrido, der nicht zum ersten Mal bei einer solchen Veranstaltung ist: Der erste Kampf ist der unwichtigste, dann steigt der Grad der Professionalität bis zum Hauptkampf, der Krönung des Abends. So wundert es kaum, dass die Boxer am Anfang eher an Computerspiel-Figuren erinnern denn an ernsthafte Sportler. Im ersten Kampf treffen ein hünenhafter und tapsiger Slowake nahe der 40, schon vor dem Kampf in zerrissener Hose, und ein junger, ungestümer Deutscharaber aufeinander. Zwei Kinder, wohl die jüngeren Brüder des Arabers, wedeln mit "Yallah! Magdi"-Plakaten. Magdi schlägt ziellos auf seinen Gegner ein, während sich der Slowake kaum rührt: ein gealterter Held, der dem Nachwuchs als Sandsack dient. Punktsieg für Magdi. Im nächsten Kampf tritt ein fieser Ostberliner Skinhead gegen einen schwarzen US-Amerikaner an, boxt ihn in der zweiten Runde fast aus dem Ring und siegt, trotz beinahe flehender "Move! Move!"-Rufe aus dem Publikum, bedauernswert klar. Dann verdrischt ein Pole einen Kongolesen. Der Kampf ist besser als die vorherigen, schneller, die Klammereien der Boxer und die Ermahnungen des Ringrichters werden seltener; der Afrikaner allerdings scheint als "Fallobst" engagiert worden zu sein, seine Deckung ist, wie Herr Horrido doziert, katastrophal. Er verliert erwartungsgemäß, das Publikum zeigt sich wenig interessiert - und wird erstmal in die Pause entlassen.

Währendessen steigt ein als Rocker verkleideter BWL-Student in den Ring und trällert Popweisen. Der Verdacht drängt sich auf, man sei von mehr oder weniger begabten Laiendarstellern umgeben, die ein Boxspektakel lediglich vorspielen - mit dem wohlbekannten Drumherum: glatzköpfige Rausschmeißer, Halbprominenz, leichte Mädchen, gespielt allerdings von reichlich biederen Autohausbesitzern und Boutiquenvorsteherinnen. Die VIPs am Büffet machen auch keinen sonderlich mondänen Eindruck, eine Klientel, die man sich auch auf einer Silbernen Hochzeit vorstellen könnte. Und außerdem: Könnte es sein, dass sämtliche Kampfrichterentscheidungen vorher schon abgesprochen worden sind? Ausnahmslos gewinnt der Boxer aus der blauen Ecke. Hambusch mutmaßt, immer derjenige der beiden Boxer gewinne, der mit der schlechteren Musik einmarschiert. Jenner, der mit Begeisterung, aber ohne jeden Sachverstand zugesehen hat, schließt sich dieser Meinung an; Horrido, der Experte, schweigt verächtlich.

Dann bekommt die Meute tatsächlich Blut zu sehen. Mouhamed Moussa, in einem etwas lächerlichen Gladiatorenröckchen und zu auffallend schlechter Musik auflaufend, verletzt seinen Gegner, Marco Stojka, dürr, staksig, schon in der ersten Runde bei einem Gerangel. Kurz darauf fällt Stojka, an der Stirn heftig blutend, und wird vom Ringrichter ausgezählt. Der Sieger posiert hernach vor den Kameras der herbeigeeilten Fotografen.

In der unverhofften Pause, die durch das frühe k.o. entstanden ist, wird Programm geboten. Der als Sponsor auf der Eintrittskarte avisierte "Prinz", im goldgoldenen Goldjackett - vorher schon auffällig geworden durch einen von drei Bodyguards abgesicherten Rundlauf ums Gehege - verkündet den Auftritt der hübschesten Mädchen der Stadt: "Jetzt soll doch mal Stimmung in die Bude kommen!" Sechs kurzberockte sehr dünne Mädchen steigen in den Ring und bieten etwas dar, was als "Original American Table Dance" angekündigt worden war - sie wackeln und fuchteln herum, jedenfalls tanzen sie nicht. Im Hintergrund läuft ein Werbefilmchen für die Bon-Bon-Bar, des Prinzen Nachtclub in Charlottenburg. Die Veranstaltung wirkt jetzt, als gäben sich die Laiendarsteller überhaupt keine Mühe mehr.

Die nächste Aufführung zumindest lässt sich etwas ernstzunehmender an. Nicht wie bisher vier, sondern sechs Runden sind angesetzt, jede einzelne wird von einem Bonbon-Girl mit Nummernschild angekündigt. Joszef Sovijus, ein böse dreinblickender Slowake mit Punkfrisur, und Bernard Donfack, ein muskulöser Kameruner, gehen aufeinander los. Die beiden scheinen sich zu hassen, was zu etlichen Drängeleien und tückischen Tiefschlägen führt. Aber schon bald dominiert Donfack, unterstützt von Trommlern aus dem Publikum, den Kampf. In der vierten Runde schickt der Ringrichter den Slowaken in seine Ecke - technisches k.o. wegen klarer Unterlegenheit. Sovijus kann es nicht fassen, kreiselt im Ring und schaut nun noch böser.

Und nun der Hauptkampf, der Kampf um den vakanten, weil noch nie vergebenen GBU-Weltmeistertitel im Weltergewicht! Über zwölf Runden! Es beginnt mit einer Enttäuschung: Kein Armenier, ein Bulgare ist´s, der den türkischen "Altmeister", "the Legend" herausfordern soll, und noch dazu ein deutscher! Ilian Ares gegen Adnan Özcoban. Jenner und Hambusch bleiben sitzen, während die Hymnen ertönen, Herr Horrido hingegen steht, wie sich das bei einer Weltmeisterschaft gehört, danach zündet er sich trotz des Rauchverbots am Ring eine Zigarre an. Ares, jung, groß, setzt zu heftigen Schlagkanonaden an. Özcoban, mit Halbglatze, 42 Jahre, klein, fast wichtelig, hat eine gute Deckung und landet präzisere Treffer. Jetzt wird auch den Zuschauern heiß. Viele sind von den Plätzen aufgestanden. "Adnan! Adnan!" schreien die Türken, "Ilian!" einige Anhänger der deutsch-bulgarischen Freundschaft. Andere geben völlig unverständliche Anweisungen: Mehr! Comme ça! Yik onu! In der achten Runde kippt der Kampf. Özcoban blutet; in der vorletzten Runde gibt er entkräftet auf. Die Menge rast, "Adnan!" brüllen die Türken unverdrossen, alles applaudiert durcheinander. Die Boxer umarmen sich und beglückwünschen einander zu dem schönen Kampf, dann steigt Ares in die Ringseile und zeigt die obligatorische Siegerpose; er darf sich nun - immerhin - GBU-Weltmeister nennen. Herr Horrido lehnt sich zufrieden zurück, er hat mit seiner Prognose am Kneipentisch recht behalten: Nur einer hat gewonnen. Aber auch die Herren Hambusch und Jenner sehen sich bestätigt, denn Ares hatte die eindeutig schlechtere Einmarsch-Musik.


Später, wieder am Kneipentisch, beginnen die drei eine bierselige Diskussion über die Faszination des Boxens: die klaren, einfachen Regeln, die Spannung bis zum Schluss, da auch ein unterlegener Kämpfer seinen Gegner plötzlich noch zu Boden strecken kann; der hohe Einsatz, ja die Todesverachtung der Sportler, die tun, was die meisten Zuschauer nie zu tun wagen, obwohl sie es oft genug gern täten: den, der im Weg steht, umzuhauen. Auch über die erfrischende Unprofessionalität der Rahmenveranstaltung sprechen sie, über den speziellen Stil der Zuhälter, die Ästhetik der Schönheitsoperation, die Schwierigkeit, auf Deutsch zu rappen. Immer mehr verzetteln sie sich in ihren Beobachtungen und Analysen, ohne sich auf das Spektakel einen Reim machen zu können. Und schließlich gestehen sich Hambusch, Horrido, Jenner demütig ein, dass sie - ganz wie die Autohausbesitzer und Boutiquenvorsteherinnen - wohl ebenfalls Laiendarsteller waren, in einem Schauspiel, das ihren Horizont übersteigt.

Mitwirkende: Die Herren Hambusch, Horrido und Jenner wurden von Jörn Luther, Rodrigo Paiva und Johannes Touché gespielt.


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