Fünf kräftige Männer stehen vor einer Kneipe in Kreuzberg, sie unterhalten sich lautstark. Auf den ersten Blick sehen sie ziemlich gefährlich aus. Drinnen läuft auf einer Großbild-Leinwand Fußball, Türkei gegen Kroatien.
Ich will ein Foto von den Männern machen, weiß aber nicht, ob ich erst knipsen und dann fragen soll – oder umgekehrt. Das übliche Fotografen-Dilemma. Ich entscheide mich, zuerst zu fotografieren. Die Männer winken mich zu sich, wollen, dass ich noch ein Bild mache, diesmal mit Pose.
Während drinnen die Türkei im Elfmeterschießen gewinnt, erzählen mir draußen fünf sehr freundliche, gar nicht gefährliche Kerle, dass sie beim Türkischen Ringerverein Berlin kämpfen. Dass ihr Verein als erster „nicht deutscher“ Verein 2007 in die erste Bundesliga aufgestiegen war (2009 ist er leider wieder abgestiegen) – und dass damals sogar der türkische Ministerpräsident gekommen war, um ihnen zu gratulieren. Ich solle doch mal vorbei kommen und ein paar Bilder machen.
Ein Jahr, zwei lange geplante Fotoprojekte und ein paar Miete-Verdienen-Jobs später sagt mir die Vereinssekretärin auf Anfrage, dass es kein Problem sei bei Training und Wettkampf zu fotografieren. Ich müsse nur den Trainer anrufen und nach den Terminen fragen. Am Abend stehe ich in einer Wellblech-Sporthalle in Kreuzberg. Hier hat sich der TRV Berlin 1981 e.V. eingemietet.
Anfang der achtziger Jahre von sportbegeisterten Türken gegründet, hat sich der Verein im Laufe der Jahre der Multinationalität seines Stadtteils angepasst. Heute trainieren hier Türken, Deutsche, Russen, Aserbaidschaner, Rumänen, Bulgaren, Tschetschenen und andere. Über sieben Monate werde ich immer wieder mal montags, mittwochs oder freitags die Abende hier verbringen.
Zwanzig verschwitzte Männer
Der Trainer Ramazan Aydin, genannt Rami, Ex-Welt- und Ex-Europameister, stellt mich zwanzig verschwitzten Männern vor, die mich mit Handschlag begrüßen und dann weiter keine Notiz von mir nehmen. Ich sitze zunächst nur auf einer Holzbank, bin überwältigt von Optik, Geruch und Lautstärke in der Halle und finde erstmal keine Antwort auf die Frage: Wie soll ich das fotografieren?
Das Aufwärmtraining besteht aus dem härtesten und regellosesten Basketballspiel, das ich je gesehen habe. Die Ringer schreien, schieben, stoßen, werfen einander zu Boden. Man meint, das Testosteron im Raum greifen zu können. Nach etwa einer Stunde beginnt das Kampftraining, dessen Bewegungsabläufe viel schneller sind, als ich mir das vorgestellt hatte. Danach wartet der Kraftraum. Und auch hier kann ich erst mal nur staunen über die Anspannung und Konzentration, mit der die Arbeit an den Gewichten verrichtet wird.
Ab dem zweiten Besuch bin ich aufgenommen und werde herzlich begrüßt: von Rasul, einem 23-jährigen Tschetschenen, der aus Grosny geflohen ist. Er hat breite Schultern, dicke Oberarme, ein Körper wie ein Kraftwerk; von Azer, klein, drahtig und zäh; von Rami, erfolgreicher Geschäftsmann, Trainer und Kapitän der Bundesliga-Mannschaft; von Gregor, dem Ältesten, vor dem alle Respekt haben; von Suat, dem ehemaligen TV-Moderator und Rechtsanwalt mit Doktor-Titel; von Bilgehan, der wirklich ein wenig gefährlich aussieht ...
Keiner lässt mich spüren, dass ich nur eine „halbe Portion“ bin, oder stört sich an der Kamera mit dem 85-Millimeter-Objektiv und dem massiven Griff. Ich kann mich zwischen den verkeilten Körpern bewegen, wie ich möchte. Ich muss nur darauf achten, nicht überrollt zu werden.
Wie antike Fresken
Meine anfängliche Ratlosigkeit weicht einem wachsenden Interesse an den Körperskulpturen, die sich vor meiner Linse immer neu modellieren. Zwischen den schnellen Bewegungen entstehen ruhige Körperbilder, wie auf antiken Fresken, mehr Choreografie als Kampf, mehr Kommunikation als Testosteron.
Besonders intensiv wird das Ganze mit Beginn des Ramadan. Ohne tagsüber gegessen zu haben, trainieren die muslimischen Ringer bei um die dreißig Grad in der stickigen Halle bis zur Erschöpfung. In den Gesichtern wird so das ganze Spektrum menschlicher Emotionen sichtbar. Absolute Konzentration, Schmerz bis zur Verzückung. Ich beobachte eine universelle, nonverbale Sprache. Das Ganze hat einen fast religiösen Charakter.
Obwohl sich in der Halle die unterschiedlichsten Charaktere zum Kampf treffen, ist das, was dabei entsteht mehr eine Form des Umgangs miteinander als ein Kampf gegeneinander. Es ist eine Welt, in der alle die Regeln akzeptieren, in der Herkunft und Status keine Rolle spielen. Und es ist ein Stück Alltag in Kreuzberg.
Thomas Lobenwein arbeitet in Berlin als freier Fotograf und betreibt zusammen mit zwei Kollegen das Foto-Online-Magazin .
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