In Berlin, Ecke Otto-Braun-Straße/Karl-Marx-Allee fällt ein unsanierter DDR-Plattenbau ins Auge. Fett prangt auf der Fassade die Internetadresse www.bstu.de, während das Interieur den Hauch des Vergangenen atmet: Linoleumböden und Einbauschränke mit Sprelacart-Türen aus DDR-Zeiten überall.
Gern geben die Getreuen um die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, den "Richter Gnadenlos", wenn es darum geht, in Eintracht mit den Medien ehemalige informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit an den Pranger zu stellen. Diese Art Einzelfallprüfung im Scheinwerferlicht bedroht nicht selten die berufliche Existenz der Betroffenen. Erinnert sei an die Fälle des Journalisten Hagen Boßdorf oder des Eislauftrainers Ingo Steuer. Nun freilich trifft der Fluch der Vergangenheit die Behörde selbst. Seit 1990 galt dort zweierlei Maß - während durch die Bescheide belastete Ostdeutsche ihren Arbeitsplatz verloren, bemühte sich der damalige Stasibeauftragte Joachim Gauck persönlich um unbefristete Arbeitsverträge für 72 ehemalige Stasi-Leute. Es handle sich um "engagierte Mitarbeiter", hieß es, an deren "Loyalität zur Arbeit des Sonderbeauftragten" nicht zu zweifeln sei. Dabei waren die Ehemaligen zu DDR-Zeiten durchaus keine subalternen Aktenverwalter (49 von ihnen erreichten immerhin Offiziersrang) und saßen für Gauck nicht als Wachleute in der Pförtnerloge. Ein Gutachten der Professoren Klein und Schröder besagt, dass einige gar mit der "Recherche in besonderen Fällen" befasst waren.
Marianne Birthler, der bei öffentlichen Auftritten Behördendirektor Altendörfer oft mit dem nötigen Faktenwissen aushilft, glaubte sich mit dem Hinweis aus der Affäre ziehen zu können, ihr Vorgänger habe die unbefristeten Verträge geschlossen. Postwendend traf sie der Vorwurf, seit ihrem Amtsantritt vor sechs Jahren nichts getan zu haben, die betroffenen Mitarbeiter aus sensiblen Bereichen der Behörde zu entfernen. Selbst im Anfang Juli veröffentlichten Tätigkeitsbericht über die vergangenen zwei Jahre findet sich nur im Vorwort eine knappe Notiz zum brisanten Thema, was nicht zuletzt den Bundestagspräsidenten erboste. Bei der Übergabe des Berichtes durch Birthler kritisierte Norbert Lammert (CDU) unumwunden und gegen die Gewohnheit bei solchen Anlässen die Versäumnisse der Behördenchefin - dass die Kameras liefen, störte ihn wenig.
Marianne Birthlers Arbeit als Chefin der Stasiunterlagenbehörde stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Gleich bei Amtsübernahme im Jahr 2000 geriet sie ins Visier der CDU, als sie Unterlagen der Staatssicherheit über Helmut Kohl den Medien zugänglich machen wollte. Der Ex-Kanzler war erbost, zog mit Unterlassungsklagen vor Gericht und gewann - Birthler ging in Revision, verlor und gewann viele Intimfeinde in der CDU. Das zeigte sich besonders bei der Debatte um ihre Wiederwahl 2006: Als die Union Ex-Bürgerrechtler Günter Nooke ins Gespräch brachte und SPD-Politiker wie Wolfgang Thierse ein Contra gaben, entschied Kanzlerin Merkel, die Personalie sei einen Krach in der Koalition nicht wert.
Inzwischen jedoch hatte der Kohl-Intimus Bernd Neumann das Ressort des Staatsministers für Kultur und Medien übernommen - ein Mann, der als CDU-Chef in Bremen auf dem Siedepunkt der CDU-Spendenaffäre Solidaritätsmeetings für den Ex-Kanzler veranstaltete. Neumann kam der Umgang mit den ehemaligen MfS-Mitarbeitern in der Birthler-Behörde gerade recht, um deren Chefin kräftig zuzusetzen. In der letzten Sitzung des Bundestags-Kulturausschusses vor der Sommerpause sollte eigentlich das eingangs erwähnte Gutachten debattiert werden, doch offerierte Neumann stattdessen sein "Gedenkstättenkonzept", das Zuständigkeiten für Orte der Erinnerung neu regelt, die den Opfern des Faschismus wie politisch Verfolgten aus DDR-Zeiten gewidmet sind. Birthler wartete unwissend draußen vor der Tür, als Neumann im Ausschuss mitteilte, im Übrigen sollten die Akten der Stasiunterlagen-Behörde "mittelfristig" - voraussichtlich 2011 - in die allgemeinen Archive wandern. Dann enden sowohl die Amtszeit Birthlers als auch die Frist zur Stasi-Überprüfung von Führungspersonal im öffentlichen Dienst. Neumann plant zudem, die Bildungs- und Forschungsarbeit der BStU in die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur einzugliedern - die Stasiunterlagenbehörde wäre am Ende.
Birthlers Widerstand dagegen wirkt wenig überzeugend, wenn sie in Interviews erklärt, es drohe nun eine Liberalisierung des Aktenzugangs, den sie selbst beim Streit um die Kohl-Akten noch gefordert hatte. Ohnehin scheinen derartige Sorgen unbegründet, denn im Bundesarchiv kann die Exekutive mehr Kontrolle über die Herausgabe brisanter Akten ausüben als je zuvor, selbst wenn Bernd Neumann das Gegenteil beschwört. Und was will man künftig überhaupt noch finden? Es gibt Stimmen aus der Behörde, die den Zustand des Stasi-Archivs als katastrophal bezeichnen. Statt klarer Zuordnung sei aus dem Aktenkonvolut unter der Ägide von Gauck und Birthler ein undurchdringliches Labyrinth geworden, das kaum noch eindeutige Klassifizierungen von Vorgängen erlaube.
In der SPD versucht Wolfgang Thierse, die Behörde noch bis 2019 zu halten, freilich mit wenig Fortune. Schon Ende 2006 hatte sich die Führung der Bundestagsfraktion gegen eine Verlängerung der Stasi-Überprüfung im öffentlichen Dienst gesträubt und dann nur zugestimmt, weil der Personenkreis stark eingegrenzt wurde. Bernd Neumann sorgt unterdessen für Fakten. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, ein zentraler Punkt seines Konzepts, erhält 16 Millionen Euro vom Bund und vom Land Berlin für eine Dauerausstellung - eine Sanierung des Gebäudes der BStU, Ecke Otto-Braun-Straße/Karl-Marx-Allee, scheint hingegen nicht mehr zu lohnen.
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