Zum Jahreswechsel kursierte 10 Cloverfield Lane noch unter dem Arbeitstitel Untitled Bad Robot Project im Internet. „Bad Robot“ heißt die Produktionsfirma von J. J. Abrams, der sich inzwischen darauf spezialisiert hat, in die Jahre gekommene Franchises wiederzubeleben – wobei man durchaus mit George Lucas der Meinung sein kann, dass Star Wars: Das Erwachen der Macht eher an ein mit Fan-Paraphernalien vollgestopftes Mausoleum erinnert. Manchmal produziert er auch kleinere Filme von Regiedebütanten, die allein durch seine namentliche Erwähnung mit dem „Abrams-Touch“ (kommerziell längst auch ein midas touch) gesegnet sind. Worin genau diese Besonderheit besteht, lässt sich gut am Beispiel von 10 Cloverfield Lane erklären, der diese Woche mit der Wucht eines Tsunamis in den Kinos anrollt.
Vor einigen Monaten war nur ein leichtes Beben zu verspüren, als Gerüchte die Runde machten, das Untitled Bad Robot Project sei eine Art Sequel des von Abrams produzierten Monsterfilms Cloverfield (2008). Das Gerücht bestätigte sich Mitte Januar, als ohne Vorankündigung der erste Trailer zu 10 Cloverfield Lane ausgestrahlt wurde, der die Fans in helle Aufregung versetzte.
Virales Marketing beherrscht Abrams perfekt. Der letzte Star-Wars-Film wurde von der wohl cleversten Marketingkampagne in der Ära des modernen Blockbusterkinos lanciert – von frühen Spekulationen über die Rückkehr Luke Skywalkers bis zu Han Solos geriatrisch-nostalgischem Zauberspruch „Chewie, wir sind zu Hause“. Der Trailer bediente mit seiner Mischung aus Andeutungen und Auslassungen Schlüsselreize bei den Fans und avancierte zu den meistgeteilten Videos im Netz.
Der 10 Cloverfield Lane-Trailer verfuhr mit Informationen ähnlich sparsam. Er deutete an, dass eine junge Frau (Mary Elizabeth Winstead) und eine weitere Person (John Gallagher Jr.) von einem Fremden (John Goodman) in einem Luftschutzbunker festgehalten werden. Etwas war mit der Welt draußen passiert. Das Cloverfield-Monster ließ sich nicht blicken. Aber es reichte, um Spekulationen zu befeuern.
Die Orchestrierung einer Filmproduktion unter dem Radar der medialen Öffentlichkeit ist in einer Zeit, in der ganze Franchises in Fünfjahresplänen konzipiert werden, ein Coup. Abrams hat erkannt, dass eine intelligente Werbestrategie heute zum Narrativ eines erfolgreichen Blockbusters gehört. Während früher bei schlechten Filmen die besten Szenen im Trailer verbraten wurden, weiß Abrams, dass ein gut gehütetes Geheimnis Schlüssel zum Erfolg sein kann. Zu 10 Cloverfield Lane kursierten bereits im Vorfeld kuriose Anekdoten. Am Ende aber ist jede Marketingkampagne nur so gut wie der dazugehörige Film. Und hier liegt das Problem.
Es ist praktisch unmöglich, über 10 Cloverfield Lane zu schreiben, ohne die Handlung zu verraten. Regiedebütant Dan Trachtenberg hat es geschafft, einen Film zu drehen, dessen Dramaturgie wie eine J.J. Abrams-Marketingkampagne konzipiert ist. 10 Cloverfield Lane gibt gerade genug preis, um das Publikum bei Laune zu halten. Howard (Goodman), der Entführer, behauptet, dass ein Atomkrieg stattgefunden habe und die Welt außerhalb des Bunkers verstrahlt sei. Michelle (Winstead), die junge Frau, bleibt misstrauisch und erweist sich als pragmatisch. Sie sammelt heimlich Hinweise, um die Geschichte ihres vermeintlichen Retters zu verifizieren. Ist Howard Survivalist oder Serienkiller? Und was haben Nachrichten über Blackouts im Süden der USA zu bedeuten?
Dramaturgisch funktioniert das so lange, wie die Auflösung der mystery den Hype rechtfertigt. Nach fünf Staffeln von Abrams’ Serie Lost hatte man sich seinerzeit etwas verarscht gefühlt. 10 Cloverfield Lane unterhält nun zwar prächtig, überrascht in Sachen mystery aber mit nichts, was ein M. Night Shyamalan nicht schon vor 15 Jahren gemacht hätte. Immerhin verfasst der Film ein interessantes Paradox: Das Paranoia-Kammerspiel kommt mit seinem altmodischen Spannungsaufbau (fast) ohne lärmende Spezialeffekte aus und bedient gleichzeitig die Aufmerksamkeitslogik der sozialen Medien. Da trifft es sich, dass die erste deutsche Aufführung eine von bekannten Youtubern präsentierte Sondervorstellung war. Das Perpetuum mobile aus viralem Hype und zielgruppenoptimierter Fan-Erregung läuft. J. J. Abrams ist ein cleverer Geschäftsmann. Aber nach 10 Cloverfield Lane wird er auch als Prankster in Erinnerung bleiben.
Info
10 Cloverfield Lane Dan Trachtenberg USA 2016, 103 Minuten
Kommentare 1
Das ganze Brimborium im Vorfeld der Veröffentlichung gehört inzwischen zur Immersion der Filmgeschichte für den Zuschauer dazu. Immersion heisst die Fähigkeit den Zuschauer/den Spieler soweit in die Geschichte einzubeziehen, daß er selbst ein Teil des Beobachteten werden kann - role playing.
Das kann auch ziemlich daneben gehen, wenn der Film selbst letztendlich Schrott ist oder der Grad der Immersion im Kino/im Sessel völlig zerstört wird. Manchmal ist auch die Immersion der Vorveröffentlichungen das eigentliche Glanzstück. Der Konsument wird zum Rollenspieler, teil der fiktiven Geschichte mittels der Vermischung von Fiktionen und Realitäten.
Für mich zwei Beispiele der Immersionszerstörung im Kino/Fernsehsessel sind Blair Witch Project und Dyatlov Pass Incident.
Bei Computerspielen läuft es oft umgekehrt und je nachdem, ob der Hersteller einfach nur Boxselling mit dem Produkt durchziehen möchte, um es dann hinterher marketingtechnisch auf den Müll zu entsorgen oder ob er die Möglichkeiten der Moddingcommunities gleich mit einbaut. The ElderScrolls: Skyrim ist ein Paradebeispiel. Die Modding-Community ist 3 Jahre nach Release immer noch tätig und die Modifikationen verfeinerter und immersiver.
Das Kino als Medium kann da schwer mithalten. Es ist ein alterndes Medium, wie die Glotze und durch reine Profitorientierung aller Beteiligten von vornherein schwerfällig und korrumpiert. Ausser man liefert im Vorfeld UND beim Endprodukt beste Qualität.