Im Freitag 9/2008 stellte Niels Boeing in seinem Beitrag "Die Marx-Maschine" die These auf, dass eine essenzielle Änderung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse von einer "Produktivkraft" zu erwarten sei, die als universale General-Purpose-Maschine vorstellbar ist. Soweit sich diese selbst herzustellen vermag, sinken ihre Herstellungskosten tendenziell gegen Null, und mit ihrem Gebrauch fallen Konsumenten und Produzenten, Auftraggeber und Auftragnehmer am Ende in einem autonomen Subjekt zusammen. Dagegen hat Rainer Fischbach im Freitag 12/2008 vorgebracht, dass eine volle Entfaltung der gesellschaftlichen Produktion zum Nutzen aller Menschen eher von einer politischen als einer technischen Revolution zu erwarten sei.
Nimmt man einmal Boeings Wortschöpfung "Marx-Maschine" sowie
g "Marx-Maschine" sowie den kürzlich vergangenen 125. Todestag von Marx zum Anlass, diesen selbst dazu zu befragen, so findet sich etwa im Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie folgende Bemerkung: "Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft ausgebrütet sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet, wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind."Eine ganze Ära der industriellen Entwicklung später, in den sechziger Jahren, hielt der belgische, marxistische Ökonom Ernest Mandel einen "Park automatischer Maschinen" für eine Voraussetzung einer neuen sozialistischen Gesellschaft: "Wenn die Gesellschaft über einen Park automatischer Maschinen verfügt, der genügend groß ist, um ihren gesamten laufenden Bedarf zu decken, und wenn sie zusätzlich noch eine ausreichende Reserve an Mehrzweckwerkzeugmaschinen besitzt, um unvorhergesehenen Ereignissen begegnen zu können, dann ... [wird] ein von allen materiellen und wirtschaftlichen Sorgen freier Mensch geboren."Mandel zitiert wiederum Marx aus den Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie: "Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muss aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert des Gebrauchswerts. (...) Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozess erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. (...) Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums".Es lassen sich also durchaus Belege dafür finden, dass entwickelte Produktivkräfte - nach Mandel in Gestalt von "Parks von automatischen Maschinen" - in sozialistisch-emanzipatorischen Zukunftshoffnungen eine tragende Rolle gespielt haben. Aber auch am Horizont der "bürgerlichen" Wissenschaften ist die Idee einer möglichst vollständigen Automation der "Produktivkräfte" inzwischen aufgetaucht. Der Erlanger Wirtschaftsinformatiker Peter Mertens etwa schlug 1995 die "sinnhafte Vollautomation" vor. Am Ende stünde "der vollautomatisierte Betrieb, den keine Arbeitnehmerin und kein Arbeitnehmer mehr betreten muss".Diese Idee ist aber zu einseitig, wie der Produktionswissenschaftler Frank T. Piller in einer umfassenden Studie gezeigt hat. Zwar stellt die Automation von Arbeitsvorgängen vor allem mit der Einführung und ständigen Leistungserweiterung der Informationstechnologien einen dominierenden Trend dar. Aber neben die Automation tritt ein konkurrierendes Motiv: die Flexibilisierung der Produktion, also die Fähigkeit von Produktionssystemen, immer schneller andere und gänzlich neue Produkte, Halb- oder Fertigfabrikate herzustellen.Piller hat seit Ende der neunziger Jahre wesentlich das produktionswissenschaftliche Konzept der "Mass Customization" mit entwickelt. Hierbei geht es um die industrielle Herstellung von - im Idealfall - Unikaten zu Kosten von Massenfabrikaten. Der Konsument soll die Möglichkeit erhalten, ein Maßprodukt, beispielsweise ein Kleidungsstück, eine Sonnenbrille oder auch ein Sofa zu entwerfen und es dann maschinell zu geringen Kosten herstellen zu lassen. Denn mit der guten alten fordistischen Massenproduktion sei wegen der fortgeschrittenen Sättigung der Märkte und des intensivierten Wettbewerbs kein profitabler Betrieb mehr möglich, argumentieren die Verfechter dieses Konzepts. Das ist inzwischen zur so genannten Open Innovation weiter entwickelt worden: Der Konsument soll nun - vornehmlich über das Internet - schon in den Produktentwicklungsprozess eingebunden werden. Mit der "Marx-Maschine" hätten wir hierfür offensichtlich ein ideales, vollautomatisches und vollflexibles Fertigungsgerät, einmal vorausgesetzt, dass die derzeitigen technischen Schwierigkeiten prinzipiell überwindbar sind.Und dieses Gerät wäre eben kein "Betrieb" mehr, und sein Produkt, sein Fabrikat, keine Ware. Es würde konsumiert statt getauscht. Es hätte keinen Sinn, mit einem Fabricator mit Gewinnabsicht etwas herzustellen und verkaufen zu wollen. Aus naheliegenden Gründen: Was der eine Fabricator kann, kann der andere genauso gut.Natürlich wird der Fabricator selbst zunächst mit Gewinnabsicht produziert, verkauft und weiterentwickelt werden. Die Gewinnmöglichkeiten sind gegenwärtig sicher noch gering, aber im Grunde gibt es keine vernünftige volkswirtschaftliche Alternative. Was auf diese Weise dann entstehen kann, nennen die Autoren Neef, Burmeister und Krempl "a whole new game". Könnte es das sein, was Marx und Mandel sich von diesen neuartigen Produktivkräften, von diesem genügend großen Park von automatischen Maschinen erträumt haben?Um auf die - im engeren Sinne technische - Kritik Fischbachs zurückzukommen: Der Fabricator ist seiner Konzeption nach nicht ein "Stand Alone System", wie ein einzelner PC es immerhin sein könnte, obwohl heute die Internetnutzung fast schon mit der PC-Nutzung gleichbedeutend geworden ist. Die von Neil Gershenfeld benutzte Analogie zwischen Computerentwicklung und der Entwicklung der "Produktionsmittel" - die Miniaturisierung und die Popularisierung - ist ja einerseits durchaus treffend. Andererseits wird damit nicht bestritten, dass Großrechner spezielle Anwendungsfelder haben und behalten, die PCs nicht übernehmen können. Die Entwicklung des PC hat aber die massenhafte Verbreitung des Computers ermöglicht.Die Entwicklung bei Fabrikatoren könnte ähnlich verlaufen: Es wird nicht gleich jeder Fabricator jedes x-beliebige Fabrikat herstellen können. Und es ist sicher eine ganz plausible Annahme, dass es auch "Groß-Fabrikatoren" mit speziellen Anwendungsbereichen geben wird. Was auf jeden Fall aber nötig bleibt, ist die Infrastruktur der Informationsübermittlung, die Wissensspeicherung, -verarbeitung und -bearbeitung in einem öffentlich zugänglichen Netz.Fischbach weist zu Recht darauf hin, dass die maschinelle Produktion sich nicht auf das ganze "notwendige Produkt" erstrecken kann. Nahrung etwa wird wohl niemals komplett maschinell hergestellt werden können, des weiteren der gesamte Bereich der Fourastiéschen "höheren" Dienstleistungen - in der Aristotelischen Handlungstheorie: die Praxis - also Bildung, Wissenschaft, Kunst, Heil- und Hilfsdienste, das Rechtswesen, Politik.Vielleicht werden sich ganz neue Formen von Organisationen bilden, von Rechtssubjekten, die als Eigner und Nutzer neuartiger Produktionssysteme auftreten, die aus derartigen Elementen wie diesen Fabrikatoren und der Netz-Infrastruktur aufgebaut sind.Vielleicht ergäbe sich daraus sogar eine ganz neue "Killer-Applikation": ein Produkt, ein Artefakt, ein Konsumgut, das unbedingt alle haben wollen. Und das uns damit den nächsten boomenden Aufschwung beschert. Dann aber den definitiv letzten im globalen Spätkapitalismus.Die Debatte zur "Marx-Maschine" kann künftig unter www.freitag.de von Autoren und Lesern weitergeführt werden.
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