Zur Geschichte des kritischen gesellschaftsbezogenen Denkens in der Bundesrepublik zeigte Arte kürzlich zwei Dokumentationen. Die eine, - sie wird am Freitag wiederholt -, rekapitulierte das Wirken Theodor W. Adornos und die Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, der Gegenstand der anderen trat zehn Jahre nach dem Tode Adornos ins Leben: die tageszeitung. Beide Institutionen bilden Identifikationsobjekte für Menschen, die sich politisch als liberal, alternativ oder links definieren und sich als emanzipierte, kritische und reflektierte Persönlichkeiten verstehen. Kritisch schienen auch die Autoren des Beitrags über das Frankfurter Institut an ihren Gegenstand herangegangen zu sein. Sie produzierten keine Laudatio zum hundertsten Geburtstag Adornos
ag Adornos, sondern zeigten die Ambivalenzen und Brüche in der bundesdeutschen Geschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Der Beitrag illustrierte, wie sich auch das Frankfurter Institut in den Status Quo der sich im Kalten Krieg befindenden Bundesrepublik integrierte. Anfangs schien das neugebaute - und von den Amerikanern üppig bezuschusste - Institut so manchen Beobachtern, wie es Alexander Kluge formulierte, als "Arche", die "provisorisch im fremden Gestade" gelandet war und jederzeit auch wieder ablegen könnte, wenn sich die Verhältnisse in Deutschland wieder verschlechtern sollten. Es wurde geschildert, wie sich Max Horkheimer der Gunst der Mächtigen versicherte, wie er neue Kontakte knüpfte und Traditionen verabschiedete. Man sah ihn mit Erhard und Adenauer und hörte ihn vor "der Revolution", der Diktatur und dem Totalitarismus warnen, während der ehemalige Arisierer Hermann Josef Abs die Stiftung der ehemaligen Emigranten in Finanzangelegenheiten beriet. Derweil hatte Horkheimer in den Bücherregalen des Instituts aufgeräumt. Zeugnisse der marxistischen Vorgeschichte wie etwa Die Dialektik der Aufklärung oder die Bände der legendären Zeitschrift für Sozialforschung "verbarg er, so gut es ging, vor seinen Studenten" - "als seien sie giftig." Die Dialektik der Aufklärung bestand nun darin, dass Horkheimer die Kamera der neugierigen Spiegel-Reporter demolierte, als sie diese alten Bestände aufs Bild bannen wollte.Adorno hingegen wurde als ein Mann gezeigt, der theoretisch und kritisch blieb. Zunächst war er kritisch zu den Verhältnissen - dann aber auch zu jenen, die sie angriffen. Ausgerechnet er, der in den Sechzigern als bewunderte philosophische Autorität galt, der in geschliffener Sprache in zahlreichen Rundfunkvorträgen und Fernsehdiskussionen die intellektuelle und moralische Unterentwicklung der wirtschaftlich enorm erfolgreichen Bundesrepublik problematisierte, distanzierte sich von jener Jugendbewegung, die sich von der Kritischen Theorie inspiriert fühlte. In dieser Situation war es der aus den USA kommende Herbert Marcuse, Adornos einstiger Kollege aus dem Frankfurter Vorkriegs-Institut, der die Studenten mit seiner Auslegung der Kritischen Theorie faszinierte "Ich bejahe jede Bewegung, die das bestehende System der Unterdrückung und den bestehenden Terror mildern kann." Doch Adorno konnte dem Zorn und der Wut kein produktives Potential abgewinnen, die Gesellschaftskritik der Kritischen Theorie sollte theoretisch bleiben, "wer denkt", meint er, "sei nicht wütend". Er starb im Sommer 1969 verletzt und ratlos, seine Rolle blieb, wie Rüdiger Safranski resümiert, "tragisch".Knapp zehn Jahre später wurde in einer Kreuzberger Pizzeria ein Projekt aus der Taufe gehoben, das auf eine andere Weise die kritischen und emanzipativen Diskurse zur westdeutschen Gesellschaft bündeln wollte: die tageszeitung. Leider konzentrierte sich der Filmbeitrag zur taz weniger darauf, wie sich die Positionen und Diskursbeiträge über die Zeit entwickelten. Er porträtierte statt dessen die Gegenwart einer Zeitung: Eine Auslandsreporterin befragt Menschen und schreibt deren Antworten auf den Block; die Chefredakteurin spricht in der Redaktionskonferenz; der Chef vom Dienst klärt die Nachrichtenlage; die Autoren der Glosse schaukeln sich gegenseitig hoch. Man diskutiert, ob die Pointen witzig und die Fotos aussagefähig sind. Ein normale Zeitung eben - und doch auch wieder nicht: Durch eine prägnante und humorvolle Gestaltung der Titelseite versucht man sich von anderen Tageszeitungen abzuheben, mit Ironie, Wortwitz und Lakonismus feilt man an der Marke taz und fordert von sich den spezifischen "taz-sound" ein.Hin und wieder zeigte der Beitrag Rückblenden: Die mühevolle Professionalisierung der taz, die Ersetzung eines informellen Systems der kollektiven Verantwortungslosigkeit durch definierte Hierarchien und Zuständigkeiten. Die taz litt unter schier endlosen und ergebnisarmen Kollektivberatungen, unter Angriffen und Besetzungen durch radikale Leser und immer wieder unter Geldnot. Lukrative Anzeigen gab es nicht, da konnte man sich nur an die Leser halten. Man präsentierte die sogenannten "Titten-Taz" und zeigte seinen Lesern in erpresserischer Absicht, wie ihre Zeitung aussehen wird, wenn die Abonnenten-Zahlen weiter so gering blieben. "300 neue Abos bis übermorgen 12 Uhr oder wir ziehen unsere Auslandskorrespondenten zurück" war eine weitere, erfolgreiche Leser-Erpressung, die die taz letztlich am Leben hielten. 1991 legten 2.500 Menschen insgesamt 4 Millionen Mark, pro Person mindestens 1.000, in Form von Anteilen in die taz-Genossenschaft ein. Nicht ohne Komik blieb die Vorstellung einiger Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftler: Vier gutsituierte Angehörige des alternativen Bürgertums arbeiten in einem parkähnlichen Garten. Während im Hintergrund zwei Personen in mit altersgemäß verzögerter Geschwindigkeit eine Trage transportieren, attestiert im Vordergrund ein arrivierter Mittfünfziger, dass die taz das "einzig erfrischend Jugendliche" sei. Ein anderer Herr mit Halstuch streicht heraus, dass die taz "unparteiisch" und "nicht links" sei. Danach sieht man, wie sich das "unparteiische" Bürgertum im angenehmen und edlen Ambiente zum Kammerkonzert und zum Speisen versammelt.Der blinde Fleck der Reportage war jedoch Ostdeutschland. Als die Mauer fiel, so hieß es im Beitrag, befand sich die taz in ihrer "schwersten Krise". Etwas kryptisch wurde der Grund mit "Ideologieverlust" benannt. Der Zuschauer fragt sich, was die taz mit der DDR verloren habe: einen lebenswichtigen, identitätsstiftenden Gegner oder Verbündeten? Hierzu erfuhr man nichts. Auch wirtschaftlich wird die Vereinigung nur als Desaster, nicht als Herausforderung und Chance thematisiert; für die Zeitung fiel die Berlin-Förderung weg."Wer braucht die taz?" grübelte am Ende einer der Aktivisten der ersten Stunde. Was passiert mit der taz, wenn das Klientel, von dem sie lebt, in Rente geht und altert? "Hat die taz eine politische Wirkung?" Der Film suchte hierzu keine Antworten und der taz-Aktivist meinte: Die taz hat "keine wirkliche Bedeutung, aber eine Geschichte."Adorno - Der Bürger als Revolutionär. Wiederholung am 8. August um 23.00 Uhr auf Arte
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