Erste Analysen der US-Operationen im Irak-Krieg sprechen von einem Erfolg der "Rumsfeld-Doktrin". Sie basiert auf überlegender Logistik und dem koordinierten Einsatz von Aufklärungs-, Übermittlungs-, Führungs- und Waffensystemen. Klassischer militärischer Hardware wie Infanterie, Panzern und Artillerie wird hingegen nicht mehr der Stellenwert eingeräumt wie noch beim Golfkrieg 1991. Ein Teil des Central Command widerspricht der Erfolgslegende: Rumsfeld habe im Irak mit einem viel zu geringen Einsatz an Bodentruppen kalkuliert und den Vormarsch verlangsamt. Die strategische Debatte um die künftige Kriegführung der USA ist voll entbrannt
Nach dem Denkmalsturz von Bagdad wird der US-Verteidigungsminister vom Medien-Mainstream Amerikas gern als genialer
rikas gern als genialer Militärstratege, glänzender Organisator und bahnbrechender Visionär gefeiert, der die nationalen Streitkräfte zu neuen lichten Höhen führt. Selbst die lange Zeit kriegskritische New York Times preist inzwischen das militärische Genie des Ministers: "Der Irak war Rumsfelds Krieg. Er führte ihn zu seinen Bedingungen. Und der Sieg machte ihn zu einem ungewöhnlich starken Verteidigungsminister in einem für das US-Militär ganz entscheidenden Augenblick." - Ein recht verwirrendes Urteil, ist doch gerade der Irak-Feldzug der schlagende Beweis dafür, dass es mit dem militärischen Genie des hoch gelobten Ministers nicht weit her sein kann.Die sogenannte "Rumsfeld-Doktrin" folgt bei einem in jeder Kampfphase synchronisierten Einsatz von Luft-, Land- und Seestreitkräften besonders dem Axiom einer "strengen Ökonomie der Kräfte" und damit der Überzeugung, dass dank modernster Ausrüstung eine Invasion nicht ausschließlich, aber vorzugsweise aus der Luft geführt und gewonnen werden kann. Auf den Irak bezogen hieß das: Ein massierter Einsatz sogenannter Smart Bombs ("intelligenter Bomben /s. Freitag vom 7. 2. 2003) sollte den Gegner derart in "Shock and Awe" (Schock und Entsetzen) versetzen, dass er schon nach wenigen Tagen kapituliert. Die irakische Armee erwies sich zunächst aber als hartnäckiger Kombattant, der mit allen verfügbaren Kräfte Widerstand leistete und - wie bei den Schlachten um Basra und Tikrit - schließlich den Rückzug in die Städte antrat. Militäreinheiten dort (bei möglichst geringen Opfern unter der Zivilbevölkerung) zu treffen, erwies sich nicht zuletzt aufgrund unzureichender Vorräte an Smart Bombs als unmöglich. Das Pentagon musste daraufhin seine operative Einsatzplanung revidieren: Aus einem High-Tech-Luftkrieg wurde über Nacht ein konventioneller Landkrieg: Bodentruppen und Marines retteten die US-Kampagne und marschierten bis Bagdad.Auch wenn davon bisher wenig nach außen dringt - der Verlauf des Krieges unmittelbar nach Beginn der Angriffe am 19. März stärkt die Position all derer im Pentagon, die angesichts grundlegend veränderter weltpolitischer Realitäten seit Anfang der neunziger Jahre eine umfassende Reform der US-Streitkräfte fordern. Donald Rumsfeld war dabei nie der Reformer, für den er gehalten wird: Die US-Armee zu erneuern, bedeutete für ihn vorrangig, durch Beschaffung von High-Tech-Waffen den politischen und militärischen "Unsicherheitsfaktor Mensch" in künftigen Kriegen weiter zu minimieren. Dass aber militärische Reformen ebenso wie kriegerische Konflikte alles andere als ein rein ingenieur-technisches Problem seien, darauf hatte nach dem Irak-Krieg von 1991 eine kleine Gruppe kritischer Pentagon-Analysten um den Luftkriegstheoretiker John Boyd wiederholt hingewiesen. "Maschinen führen keine Kriege, sondern Menschen - und die benutzen ihren Verstand", so die Position des 1997 verstorbenen Ex-Jagdfliegers und Flugzeuginstrukteurs. Sie fand ihren Niederschlag in den von Boyd verfassten "Konfliktmustern". Eine Studie über menschliches Verhalten im Kriegsfall, die militärische Entscheidungen als einen vierstufigen Zyklus oder Loop aus Observieren, Orientieren, Dezidieren und Agieren beschreibt - kurz "OODA-Loop" genannt. Boyd machte klar, dass ein erfolgreicher Kommandeur diesen Zyklus in einer Weise meistern muss, die es ihm ermöglicht, in die Gedankenwelt und Entscheidungen des Gegners einzudringen. Boyds Plädoyer für den "menschlichen Faktor" prädestinierte ihn zu einem wichtigen Stichwortgeber für die Ende der achtziger Jahre unter US-Militärs einsetzende Debatte über die "Zukunft der Kriege". Besonders Protagonisten der sogenannten "Theorie der vier Kriegsgenerationen" bezogen sich ausdrücklich auf den Luftwaffen-Oberst.Nach besagter Theorie haben die "Kriege der ersten Generation" gegen Ende des 18. Jahrhunderts "die Taktik der Linie wie der Kolonne" widergespiegelt. Diese Taktik sei in erster Linie eine Reaktion auf technologische Faktoren gewesen: die Linie habe Feuerkraft massiert, während die Kolonnen der französischen Revolutionsarmeen den geringen Ausbildungsstandard zum Wehrdienst gepresster Soldaten reflektierten. Die "Kriege der zweiten Generation" im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert seien ebenfalls technologisch motiviert gewesen, allerdings unter anderen Umständen: Massierte Feuerkraft dank neuer Waffen wie weitreichender Artillerie und des Maschinengewehrs habe massierte Truppenstärke ersetzt.Den "Krieg der dritten Generation" führte dann Deutschland im Ersten Weltkrieg, indem es wegen seines schwachen industriellen Hinterlandes eine radikal neue Taktik entwickelte: Basierend auf Bewegung - nicht Zermürbung des Gegners - entstand die erste wirklich nicht-lineare Taktik in der Kriegsgeschichte. Im Zweiten Weltkrieg, so die zitierte Denkschule, sei dann Hitlers Generalität noch einen Schritt weiter gegangen: Durch Konzentration auf den Panzer gab es einen Quantensprung auf operativer Ebene mit dem Phänomen des "Blitzkrieges". Bei derartigen Kampfhandlungen hätten operative Entscheidungen nicht länger auf räumlichen, sondern zeitlichen Überlegungen gefußt.Dass damit einer neuen, vierten Kriegsgeneration der Weg geebnet wurde, hat erstmals John Boyd mit Hilfe seines "OODA-Loops" nachgewiesen. Typisch für "Kriege der vierten Generation", wie sie seit 1990 geführt werden, ist demnach ein stark aufgelockertes Gefechtsfeld, das im wesentlichen die gesamte Gesellschaft des Gegners umfasst: Die Bedeutung kleiner Kombattantengruppen nimmt entsprechend zu, was Kommandeuren der untersten Ebene erhöhte operative Flexibilität abverlangt. Zugleich verringert sich der Stellenwert zentralisierter Logistik. Stärker als je zuvor, argumentieren die Theoretiker der "Vier Kriegsgenerationen", sei die Fähigkeit gefragt, auf sich allein gestellt zu überleben. Die Zeiten, in denen große Truppenstärken oder die Feuerkraft kriegsentscheidend waren, seien endgültig vorbei. Schließlich und endlich gehe es darum, den Gegner nicht länger im direkten Kampf physisch zu vernichten, sondern von innen heraus zu zermürben - vor allem durch die gezielte Neutralisierung seiner Zentren strategischen Denkens.Dass in den USA die "Theorie der vier Kriegsgenerationen" zunächst ausschließlich unter Marineinfanteristen debattiert wurde, konnte kaum verwundern: Als Angehörige einer durch und durch archaischen Militärkaste reagierten sie sensibler als andere auf den seit den achtziger Jahren im Pentagon grassierenden High-Tech-Wahn à la Weltraumrüstung (SDI). Boyds Hohelied auf den einfachen Soldaten, ohne dessen Erfahrung und Verstand auch die "Kriege der Zukunft" nicht zu gewinnen seien, kam ihnen da gerade recht.Doch hatten sie sich zu früh gefreut. Nach dem Ende der UdSSR brach zwischen den Teilstreitkräften der US-Armee ein heftiger Kampf um Geld und Einfluss aus. Bemüht, die im ersten Golfkrieg von 1991 gestärkte Führung der Landstreitkräfte zu diskreditieren, kritisierten die mit der Air Force liierten Hochtechnologie-Experten des Pentagon die Effizienz der auf Truppenmassierung bedachten Operationen des damaligen Stabschefs Colin Powell. Intensive Präzisionsschläge aus der Luft gegen kritische Teile der militärischen und politischen Infrastruktur Bagdads hätten im Februar 1991 bewirken können, was Powells überlegene Feuer- und Truppenstärke schuldig blieben: die endgültige Entmachtung Saddams.Vor diesem Hintergrund bemächtigten sich die Powell-Gegner auch der Boydschen Konflikt-Theorie. In ihren Händen jedoch degenerierte das Kernstück dieser Theorie - der erkenntnistheoretisch geprägte "OODA-Loop" - schnell zu einer technisch hochgerüsteten Rennstrecke: Sieger in den Konflikten von morgen sei, wer den Loop am schnellsten durchlaufe. Das wiederum hänge davon ab, wer über das modernste Kriegsgerät verfüge.Boyd Co. erhoben Einspruch: Aufgrund seiner technologischen Stärke tendiere der Westen dazu, die "Kriege der vierten Generation" als rein technisches Problem zu begreifen. Allerdings dominiere man nicht länger die Welt. Die "Kriege der vierten Generation" könnten durchaus auch durch nichtwestliche Kulturen wie den Islam geprägt werden. Angesichts ihrer technologischen Schwäche sei nicht ausgeschlossen, dass militante Vertreter dieser Traditionen bei der Planung künftiger Kriege mehr auf Ideen und den "Faktor Mensch" als auf Technik setzten. Ein hochgradig aufgelockertes Schlachtfeld gehöre ebenso dazu wie die interne Zerrüttung des Gegners oder die Ausnutzung gegnerischer Stärken zum eigenen Vorteil. Auch wenn die Attentate vom 11. September 2001 genau das zu bestätigen schienen, konnten sie das High-Tech-Fieber der Rumsfeld Co. nicht senken.Nachdem sich "Shock and Awe" sowohl in Afghanistan als auch im Irak nicht als das erhofft kriegstaugliche Konzept erwiesen hat, muss nun der OODA-Loop herhalten, um das militärische Genie des Verteidigungsministers zu preisen: Die Amerikaner, so das zentrale Argument nach dem Fall von Bagdad, waren siegreich, weil sie den Boydschen Loop (s.o.) schneller als die Iraker durchliefen. Nach Ansicht des Boyd-Biographen Robert Coram reduziere das Militär jedoch den Loop auf ein Zeitproblem, weil es ihn nur so im Computer darstellen könne. Computermodelle seien jedoch blind für die wichtigste Phase des Loops: die Orientierung - Orientierung im Boydschen Sinne, so Coram, bedeute vor allem aktive Analyse der materiellen und geistigen Existenzgrundlagen des Gegners. Doch davon sei man sehr weit entfernt.
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