Masken der politischen Virilität

IM GESPRÄCH Der Klagenfurter Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer über Jörg Haider und sein österreichisches Publikum

FREITAG: Kürzlich war in einem Kommentar einer Berliner Zeitung zu lesen, es sei wenig hilfreich, Jörg Haider politisch entlarven zu wollen. Er gehöre zu jenem neuen Typus Politiker, der ganz substanzlos sei und sich den jeweiligen Verhältnissen anpasse. Sie beobachten Jörg Haider in Kärnten seit vielen Jahren, können Sie diese Auffassung teilen?

KLAUS OTTOMEYER: Sich Haider substanzlos vorzustellen, erscheint mir eher als Wunschdenken. Ich denke, dass auch die Masken etwas sehr Wirkungsvolles sein können. Wir haben uns in unserer Forschung mit den Masken Haiders relativ ausführlich beschäftigt. Es gibt gegenwärtig drei dominierende Masken oder Kostümstücke, die er uns liefert. Das eine ist eine Art Robin-Hood-Inszenierung. Er hat sich selbst einmal als Robin Hood Österreichs bezeichnet. Er attackiert die Großen, verspricht, ihnen ihr Geld wegzunehmen - ob er es wirklich tun wird, weiß man noch nicht - und es den kleinen Leuten zu geben, in Form von Kinderschecks oder ähnlichem. Verbunden damit vermittelt er den Menschen die Befriedigung, dass die Großen endlich die Strafe bekommen, die sie schon lange verdient haben. Das ist ähnlich wie mit der Abendunterhaltung, wo wir uns gerne anschauen, wie Django in die Stadt kommt und die anmaßenden, korrupten Figuren abstraft. Das lieben wir deshalb, weil wir uns meist nicht trauen, gegenüber unseren Chefs oder Hausbesitzern so aufzutreten. Das wird dann delegiert und schafft Vergnügen.

Man muss immerhin eingestehen, dass Haider mit seiner anti-feudalen Robin-Hood-Inszenierung sehr viel österreichische Realität getroffen und auch ein wenig verhindert hat. Das privilegierte Rittersystem, wie er das selbst genannt hat, also das Proporz-System, war eine wunderbare Vorlage für diese Inszenierung. Er wird natürlich nicht die Ungleichheit beseitigen und den Kapitalismus abschaffen, sondern höchstens ein paar Figuren abschießen. Er nimmt dabei in Kauf, Menschen, die es überhaupt nicht verdient haben, zu vernichten.

Die zweite Maske stellt den männlichen Sportsmann dar, ähnlich wie Silvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger, also eine Angebermännlichkeit. Kürzlich sagte er, Bill Clinton solle nicht so angeben, im Marathon würde er, Haider, sofort gegen ihn gewinnen. Das heißt, die Figur ist immer auch mit der Demütigung anderer Männer und Rivalen verbunden. Dieser Sportsmann, dieser Neomacho, ist auch eine Antwort auf die Relativierung von Geschlechtsrollen durch die Frauenbewegung in den letzten Jahrzehnten, die nicht nur Männer verunsichert, sondern auch Frauen überfordert hat. Vielleicht gibt es mittlerweile wieder eine beträchtliche Attraktivität dieses Macho-Typus, verbunden mit der Idee, die Frauen könnten es wieder einfacher haben, wenn sie sich an den Herd zurückschicken lassen.

Die dritte Figur nenne ich den Bierzelt-Sozialisten. Das ist der, dem man auf die Schulter klopfen, den man duzen kann, obwohl er bekanntermaßen Akademiker und Millionär ist. Doch in dem Moment, wo Haider die Leute auf dieser persönlichen Ebene berührt, vergessen sie das. Dann ist er einer von ihnen. Haider sagt von sich, er trete das Erbe der Sozialisten an. Das alles ist an sich relativ harmlos, doch es fasziniert die Leute.

Was Sie darstellen, würde immerhin das Bild vom substanzlosen Politiker stützen.

Nun, hinter diesen drei Figuren gibt es eine weitere, die mehr ist als eine oberflächliche Maske oder das Kostüm. Es gibt einen Jörg Haider, der aufgrund seiner Lebensgeschichte und der Mission, die er hat, eng verbunden ist mit der Kriegsgeneration, mit Leuten, die in den Nationalsozialismus verstrickt waren. Dazu gehören auch ehemalige Mitglieder der Waffen-SS. Diesem elterlichen Milieu ist Haider absolut verbunden. Nie ist er aus den entsprechenden deutschnationalen Bünden ausgestiegen. Auch seine engsten Freunde wie Herr Mölzer, unser unseliger Kärntner Kulturbeauftragter, stammt aus diesen Kreisen. Insofern würde ich dem von Ihnen zitierten Journalisten widersprechen: Da gibt es einen Kern von Identität und Auftrag, den wird Jörg Haider nicht so schnell wechseln wie seine anderen Hemden. So wie er einmal EU-Befürworter war, dann EU-Gegner, dann wieder mäßiger Befürworter und jetzt wiederum ein radikaler Gegner. Im Zusammenhang mit dem historischen Erbe offenbart er sogar eine gewisse Sucht, er muss zum Mikrofon greifen, den SS-Leuten Komplimente machen. Es ist ihm ein Auftrag, diese Leute zu rehabilitieren, und das macht vielleicht auch einen Teil seiner Stabilität aus. Ich glaube nicht, dass er sich diesbezüglich grundlegend verändern wird. Diese problematische Versöhnung mit der Kriegsgeneration macht dem Seelenhaushalt seiner Anhänger freundliche Angebote, grenzt allerdings all jene aus, die nicht in dieses Integrationsprojekt passen, die sogenannten Sozialschmarotzer, die Ausländer und so weiter. In letzter Zeit bemüht er immer stärker die Kinderschänder, gewissermaßen ein großes Tintenfass, in das seine Gegner getunkt werden, wie kürzlich die belgische Regierung. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass diese rhetorische Paranoia gegenüber Kinderschändern mit dem vagen Gefühl zu tun hat, dass sein Erfolg auf der Ausnutzung von infantilen Wünschen und Liebesbedürfnissen von Menschen beruht. Plakativ könnte man sagen: Rattenfänger jagt Kinderschänder. Obwohl mir selbstverständlich bewusst ist, dass Kindesmissbrauch ein ernstes Problem ist. Doch der Missbrauch des Missbrauchs ist ein ganz übler Teil von Haiders politischer Rhetorik.

Wenn ich Sie richtig verstehe, unterstellen Sie Haider eine gefährliche politische Substanz und gleichzeitig ein herausragendes mimetisches Vermögen, das sich den Bedürfnissen der Leute anpasst?

Ja, die Anpassungsfähigkeit ist vorhanden, er verkörpert sozusagen ein Identitätsversprechen für Chamäleons - die wir mittlerweile alle in gewisser Hinsicht sind. Im Falle Haiders steht jedoch eine Identifizierung mit dem Sozialdarwinismus dahinter, mit den Starken. Es hat ein Inserat gegeben, in dem Haider mit zwei anderen Politikern als Sportler abgebildet war, dazu die Unterschrift »Nur in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist«. Dabei handelt es sich um eine Fehlübersetzung aus dem Lateinischen, denn das »nur« kommt im Original nicht vor. Dieselbe Fehlübersetzung findet sich übrigens auch in Hitlers Mein Kampf. Das ist Haider wahrscheinlich nicht bewusst gewesen. Es verweist aber auf die Extremform des Sozialdarwinismus im Nationalsozialismus.

Diese anachronistischen Rückbezüge scheinen aber doch in Widerspruch zu Haiders zweifelsfrei neoliberalem Programm zu stehen?

Ich denke, die Deregulierung des Marktes ist ein sozialdarwinistisches Programm. Der Witz ist der, dass gleichzeitig die Opfer des Marktes auch wieder beschützt werden sollen. Das verspricht Haider zumindest und setzt damit auf beide Karten. Ich glaube, dass es letztlich um eine Ästhetisierung der Stärke und des Triumphes geht und das Sozialistische nur eine kurzfristige Ummäntelung, eine Werbung darstellt.

Eine Art zukunftsgerichteter Sozialdarwinismus also?

Ja, und er passt ganz gut zu den modernen hedonistischen Haltungen. Diese Burschen sind im Unterschied zu den alten, zugeknöpften Politikern ja total locker und sinnenfroh. Bei Haiders Geburtstag wurde beispielsweise »Viagra-Schnaps« ausgeschenkt. Hierin unterscheiden sie sich von den Nazis, die, psychologisch gesprochen, auf Triebkontrolle setzten. Das gehört zum Neo-Macho-Programm, das letztlich ein markt- und konsumfrohes Programm ist, verbunden mit der Freude an der Stärke und am Triumph.

Sie beschreiben ein sehr viriles Programm. Sie selbst haben schon früh empirische Untersuchungen über Haiders Wählerschaft gemacht. Ist es tatsächlich so, dass Haider die junge männliche Arbeiterschaft anspricht?

Sicher spricht er junge Männer an, aber auch junge Frauen. Es gibt einen Komplex, den wir wissenschaftlich die Dysmorphophobie genannt haben, also die Angst vor der Missgestaltigkeit unseres Körper; das haben erstmals die jungen Burschen in der Pubertät. Diese Dysmorphophobie wird von den Medien ständig gepflegt, die Angst, nicht schön, stark oder jung genug zu sein. Jeder Rechtsextremismus und jeder Rassismus antwortet auf diese Ängste, schon alleine durch die rassistische Phantasie, zu den Leuten mit den schöneren und besseren Körpern zu gehören. In Haiders Modell erscheint das modernisiert, in Form eines Fitness- und Macho-Kults, durch den sich junge und ältere Männer angesprochen fühlen, aber auch Frauen.

Die Wählerstruktur hat sich also verändert?

Früher wurde Haider nachweisbar überproportional von Männern gewählt, inzwischen wählen ihn auch Frauen, und es ist grotesk, wie sich gerade Frauen von dieser Neo-Virilität angezogen fühlen.

Die von Ihnen beschriebene sozialpsychologische Disposition ist kein ausschließlich österreichisches Phänomen, Jörg Haider dagegen sehr. Können Sie sich vorstellen, dass dieser Typus und dieses Programm beispielsweise auch in der Bundesrepublik anziehend wirken könnte?

Nach der n-tv-Diskussion vor zwei Wochen habe ich den Eindruck, dass das auch in Deutschland möglich ist. Jedenfalls kann man den Deutschen jetzt besser erklären, wie das Haider-Phänomen funktioniert: Graue Herren auf den Sesseln der Macht mit ihrer Ambivalenz gegenüber diesem virilen Burschen, mit dem sie nicht fertig werden, ihn unterschätzen, ihn untergründig aber faszinierend finden. Giordano beispielsweise zeigte sich ja sichtlich vom Charme Haiders beeindruckt, und Erich Böhme fantasierte davon, ihn in Kärnten besuchen zu wollen. Es gibt offenbar eine Leerstelle für diese Figur, so wie es seit Jahren einen Markt für Silvester Stallone und Arnold Schwarzenegger-Filme gibt. Mit Sicherheit gibt es deshalb auch einen Teilmarkt in Deutschland; interessant ist, dass sich der CSU-Vertreter noch am resistentesten gegenüber den Haider-Verlockungen zeigte, denn der hat noch seine eigene Kult-Figur.

Sozialpsychologische Interpretationsmuster wie Sie sie vorschlagen, neigen dazu, die politische Dimension zu verharmlosen.

Richtig, das ist meine Berufskrankheit. Ich belasse es deshalb bei dem Hinweis, dass ich schon weiß, dass die politischen Grundfragen in den ökonomischen und sozialen Strukturen liegen und mit der immer schneller voranschreitenden ökologischen Zerstörung der Welt zu tun haben, die einen depressiv stimmen könnte. Das ganze populistische Projekt Haiders hilft scheinbar auch gegen die Angst und die Depression, die aus dieser strukturellen Entwicklung resultieren.

Wenn man das, was Sie sagen, fortdenkt, sind doch die derzeit diskutierten Boykott-Maßnahmen gegenüber dem Land Österreich, egal ob es sich um EU-Sanktionen oder das Aufführungsverbot durch Elfriede Jelinek handelt, hilflos, denn sie werden nichts anderes als Trotz auslösen.

Das ist völlig richtig. Ich würde mir wünschen, dass viel gezielter juristische Maßnahmen gegen die Person Haider, die bislang auch in Österreich nicht praktiziert werden, ergriffen würden. Meiner Meinung nach hat Haider auch gegen bestimmte Gesetze verstoßen, zum Beispiel gegen den Verhetzungsparagraphen 283, der rassistische Äußerungen verbietet. Die Staatsanwaltschaft hat das lange verschleppt, nicht bearbeitet. Auf dieser ganz einfachen Ebene könnte man gegen die Person, ähnlich wie gegen Le Pen, der nicht nach Deutschland einreisen darf, etwas unternehmen. Ich denke, es ist notwendig, klare Normen gegenüber der FPÖ deutlich zu machen und sie bei Nichteinhaltung zu sanktionieren. Die ÖVP halte ich durchaus für lernfähig und dem Rest der Österreicher würde ich einfach einen Vertrauensvorschuss entgegenbringen. Es gibt hier eine lebendige Kultur, eine Menschenrechtsbewegung und ich wünsche mir, dass dieses Land auch weiterhin besucht wird.

Das Gespräch führte Ulrike Baureithel in Wien - Klaus Ottomeyer ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Klagenfurt. Er ist Mitautor des Bandes Jörg Haider und sein Publikum (Drava-Verlag, 1992), zuletzt erschien von ihm Sozialpsychologie des Rechtsextremismus (Leske Budrich, 1998).

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