Maskeraden und Kanonaden

Frankreichs Linke Ende 2008 ist sie in nicht weniger als acht Parteien zerfallen

Auf dem gerade abgehaltenen 34. Parteikongress der KP wollte man sich über den Sieg von zwei jungen Kommunisten bei Bürgermeisterwahlen über den schlechten Allgemeinzustand der Partei hinwegtrösten (als Präsidentschaftskandidatin hatte Generalsekretärin Buffet im Vorjahr nur noch 1,9 Prozent der Stimmen und damit einen absoluten Tiefpunkt erreicht). Doch währte die Freude über das Zwischenhoch bei den Kommunalwahlen nur kurz, denn Ex-Parteichef Robert Hue, der 1995 als Bewerber um das höchste Staatsamt immerhin noch 8,7 Prozent der Stimmen gewann, trat aus der Partei aus und kündigte die Gründung eines eigenen Clubs mit dem Namen Nouvel Espace Progressiste (Neue Fortschritts-Dimension/NEP) an - der Name ist das Programm.

Ähnlich trostlos ist die Lage der Sozialisten. Seit Monaten tobt in der Partei ein narzisstisches Psychodrama nicht nur zwischen der knapp zur Ersten Sekretärin gewählten Martine Aubry und ihrer Rivalin Ségolène Royal, sondern auch zwischen den männlichen Chefs der Parteiflügel: Laurent Fabius, Bertrand Delanoë, Dominique Strauss-Kahn, Benoît Hamon, Lionel Jospin, Michel Rocard, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Partei zeigt sich hoffnungslos zerstritten. Nach Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zum Parteivorsitz warf man sich gegenseitig Wahlbetrug vor. Den Aufruf von Martine Aubry zu einer "tiefgreifenden Reform", einem "Reform-Fahrplan" und "einem neuen Sinn des sozialistischen Diskurses" quittierte Vincent Peillon, ein Berater von Ségolène Royal, mit Wörtern wie "Fehlstart" und "Maskerade", um zugleich von "einem intellektuellen Rückschritt" zu sprechen, "wie man ihn seit Jahren nicht gesehen hat."

Während in der Parteimitte Grabenkämpfe toben, bröckeln die Ränder. Der sozialistische Senator Jean-Luc Mélenchon verkündete Ende November seinen Parteiaustritt und proklamierte den Parti de gauche (Partei der Linken). Endgültig gegründet werden soll die Formation Anfang Februar, doch steht bereits fest: Sie hat die Linkspartei in Deutschland zum Vorbild erkoren. Oskar Lafontaine ließ es sich nicht nehmen, dabei zu sein, als die Protagonisten der neuen Gruppierung am 29. November in Paris erstmals zusammenkamen, und begeisterte in gediegenem Französisch das Publikum. Die Präsidenten Evo Morales und Hugo Chávez schickten Grußadressen aus Südamerika.

Die Kernforderungen von Mélenchons antikapitalistischem Programm: "Wohlstand anders verteilen, ökologische Planung, parlamentarische statt präsidiale Republik, EU-Reform der neoliberalen Regelungen des Vertrages von Lissabon." Mélenchon hofft auf Wähler aus der Sozialistischen Partei (PS), schielt auf Umweltaktivisten und damit auf das Potenzial der Grünen (Les Verts), die sich ebenfalls in einem desolaten Zustand befinden.

Für die Europawahlen im Juni 2009 wünscht sich Mélenchon "eine gemeinsame Front" mit den Kommunisten, der Republikanischen Bürgerbewegung (MRC) des Jean-Pierre Chevènement sowie mit Globalisierungskritikern und Trotzkisten. Ob eine solche Front wirklich zueinander findet, bleibt offen. Immerhin spricht sich Olivier Besancenot, Sprecher der Trotzkistischen Liga (LCR), bereits für "gemeinsame Kampagnen" aus, lehnt aber eine "gemeinsame Partei" kategorisch ab. Schließlich plant er seinerseits, mit anderen trotzkistischen und linksradikalen Gruppen im Januar 2009 den Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) zu gründen.

In dieser Situation verharrt auch der rechte Flügel des PS nicht in Untätigkeit. Jean-Marie Bockel, Sozialist und Bürgermeister von Mulhouse, den Nicolas Sarkozy zum Staatssekretär für die Veteranen ernannt hat, verabschiedete sich Anfang Dezember mit der Formation Gauche moderne (Moderne Linke) von der Mutterpartei. Seine Begründung: Es sei Zeit zu gehen, da die Sozialisten nicht nur völlig zerstritten blieben, sondern sich ihr Programm nur noch auf einen einzigen Punkt beschränke: "Anti-Sarkozysmus".

Die Parteien der französischen Linken waren immer heterogener, meinungsgewaltiger und auch zerstrittener als das Gros vergleichbarer Parteien im übrigen Westeuropa. Im Augenblick freilich gibt es die Gefahr, auf einen Kurs zu geraten, bei dem mutwillige Selbstzerstörung und schleichende Anpassung an die Dominanz des bürgerlich-postgaullistischen Lager eine ausgesprochen unglückliche Verbindung eingehen. Angesichts der Rezession und der sich abzeichnenden sozialen Verwerfungen auch in Frankreich ein bedauerlicher Trend.

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