Klaus Theweleits Lebensarbeit, das Buch der Könige - eigentlich fing es mit den Männerphantasien an - ist ein derartig unabsehbares, reiches Projekt, daß der Autor gelegentlich Haltepunkte setzt: bevor ein neuer dickleibiger, schön und sinnvoll bebilderter Band des Königsprojektes erscheint, publiziert er kleinere Aufsatzsammlungen, wie etwa den Band das Land, das Ausland heißt. Es handelt sich bei solchen Büchern beileibe nicht um Abfallprodukte; eher ist es so, daß in ihnen Überlegungen, die im Königsprojekt nur Fußnoten sein konnten, ihren eigenen Raum bekommen und aufgefaltet werden.
So auch in Ghosts, drei Vorträgen, die Theweleit auf diversen Tagungen hielt. Es geht um das »Gespenst RAF«, es geht um den geisterhafte
espenst RAF«, es geht um den geisterhaften Paradigmenwechsel in den (sexuellen) Phantasien besonders der 68er Generation; und es dreht sich um mehr oder weniger spukhafte Massen und Serien, ausgehend von Canetti beziehungsweise Warhol. Die scheinbar so unterschiedlichen Themen der Aufsätze haben einen gemeinsamen Faden: Warum und auf welche Weise öffnen und verschließen, re-inszenieren oder verwandeln sich Einzelne und Gruppen?Zur RAF. Theweleit, der im SDS selbst ein Teil der Studentenrevolte in Westdeutschland war, denkt hier über die »Sprachöffnung« nach, die bereits vor 1968 begann: wie das (Nazi)Deutsch der Elterngeneration von der folgenden Generation aufgebrochen und erweitert wurde, durch die Sprachen des Marxismus, der Psychoanalyse, des Pop, des militanten Internationalismus. Und wie dann in dem Maß, in dem das Politische dominierte, die Sprachvielfalt zusammengeschrumpft sei, exemplarisch an der RAF zu sehen. Aus der Verzweiflung darüber, daß sich revolutionäre Politik hierzulande als unmöglich erwies, verengte sich, so Theweleit, die RAF auf eine (selbst)zerstörerische Kampf-oder-Schwein-Politik, die sie zu einer »Radikale-Abstraktions-Fraktion« machte. So zustimmend oder angeregt man die komplexen Reflexionen im Ganzen liest, so sehr verwundert einen im Einzelnen der Tonfall, aber dazu später.Vorerst zum zweiten Teil, zum Paradigmenwechsel innerhalb einer Generation, ob das nun um die Auf-und-Abwertung der Sexualität, die Haltung zum Konsum oder das Verhältnis zum eigenen Land geht. »Freie Liebe ist die Voraussetzung jeder Befreiung (1968) ... Der Kapitalismus ist der Teufel/seien wir froh, daß wir im Westen leben. (Wieviele Jahre dazwischen?) Der sichere Effekt ist, daß jeder jeden, der 15 Jahre älter oder jünger ist als er selbst, für einen perfekten Quatschkopf hält.« Der Befund ist durchaus desillusionierend: Generationen von »braven Kindern«, die je nach Vorgabe alles übernehmen, ob es nun »kritisch« oder »angepaßt« ist. Man müßte Rhythmen ignorieren, sagt Theweleit, der selbst, und das ehrt ihn, offenbar wenig anfällig für die jeweils aktuellen Haltungen und Positionen war. Leider wird er im letzten Satz schwärmerisch: »Nur wer lernt, durch die Welle zu tauchen, kann sich sehn lassen in der Brandung, und erfährt die Sexualität des Meeres.«Im dritten Kapitel geht es dann um die unterschiedlichen Massen, ob das die auf den Straßen demonstrierenden, sichtbaren, oder die unsichtbaren der Arbeitslosen vor den Bildschirmen sind. Auch hier wieder zeigt sich Theweleit als unorthodoxer, unabhängig von Klischees denkender Autor: »Masse« sei nicht zwangsläufig barbarisch, unkultiviert, entfremdet; das Aufgehen in ihr könne ebenso als »Eintritt in einen größeren, freieren Körper« erlebt werden.In den Universitäten oder in Teilen der Arbeiterbewegung etwa seien »Massenkristalle beim Versuch, offene Masse zu werden« in Aktion getreten. Gegenwärtig sieht Theweleit weniger Massen- als Serienphänomene am Wirken. Unter Verweis auf Warhol zeigt er, daß die »Leere« des Seriellen eben nicht mit Macht, Bedeutung oder Substanz gefüllt wird, sondern mit wechselnden, jeweils identitätsstiftenden Serienzeichen, ob das die diversen Baseballkappen sind, oder die Coladosen in den Regalen der Kids. »Ich mag das Serielle Âim Prinzip - Âliebe es wäre zuviel gesagt; geliebt habe ich das Aufblühn des Individuums in der Masse, in den Massen.« Man stutzt. Mögen, lieben, Präsens, Perfekt: Da ist gegen Ende wieder ein Tonfall vernehmbar, der mehrfach anklingt: Etwas von Vergeblichkeit, ein Unmut über uneingelöste Hoffnungen; dazu die Anstrengung, nun auch die Haltungen von Jüngeren und Jüngsten nachvollziehbar zu machen; und vieles klingt dann - nein, nicht nach Rechthaberei, aber doch nach gereiztem Richtigstellen. Ghosts ist ein Stück Nachkriegsgeschichtsschreibung, westdeutsch, und natürlich hat es autobiographische Züge. Ist es unvermeidbar, daß dabei die Haltung des Autors als die des moralisch Integren erscheint? Und wenn das so ist. Es müßte nicht reizen.Auch wenn man bedauert, daß das Buch gelegentlich ungnädig oder extrem schwarzblütig daherkommt, wünscht man Theweleit auch für seine »Ghosts« viele Leser, denn sein unabhängiges, undogmatisches Denken hilft einem, eigene Haltungs- und Wahrnehmungsschranken zu öffnen. Die Rezensentin jedenfalls kann einem Argument, dem sie sich, käme es von einem der Medienpäpste, wohl eher verschließen würde, fortan gelassen hinterherdenken. Es geht da um neue Technologien und Medien. Theweleit setzt gegen die Verteufelung des Fernsehens als Hirnaufweicher den Hinweis auf Cervantes: »... die erste europäische Figur, die infolge ihres übermäßigen Medienkonsums alle Sorten Realitäten miteinander verwechselt, ist ... Don Quijote ... Was heute als Heilmittel gegen die Fernsehsucht ... hilflos in die Debatte geschmissen wird, galt im Jahr 1610 in Spanien (um 1300 in Florenz oder um 1800 in Weimar), selbst als Verführungsmedium.«Klaus Theweleit hat sich einmal als Postbote für nicht Angekommenes bezeichnet. Jetzt ist er wieder da mit Nachrichten, macht neugierig und provoziert.Klaus Theweleit: Ghosts. Drei leicht inkorrekte Vorträge zu RAF, Sexualität, zu Masse Serie. Stroemfeld/Roter Stern-Verlag, Frankfurt am Main 1989, 256 Seiten, 38,- DM
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