Appelle der Mäßigung bestimmen bislang die Diskussionen darüber, wie man die vom Menschen verursachte Erderwärmung bewältigen kann. Der in Wien lehrende deutsch-kanadische Sozialwissenschaftler Nico Stehr ist skeptisch: Da die Bemühungen zur Senkung der Treibhausgase zu halbherzig seien, komme es vielmehr darauf an, sich an die bevorstehenden Folgen der Klimaveränderungen anzupassen.
FREITAG: Seit wann weiß die Wissenschaft, dass wir Menschen das Klima verändern?
NICO STEHR: Der Erste, der das behauptete, war ein Geograph namens Eduard Brückner. Der lebte zwischen 1862 und 1927 und war Professor und Rektor an der Universität Wien. Sein Spezialgebiet war die Erforschung der Alpengletscher. Ausgehend von seinen Beobachtungen, vertrat Brückner die These, dass es in Abständen von etwa 35 Jahren zu Veränderungen käme. Das führte er auf menschlichen Einfluss zurück, insbesondere auf die Abholzung der Wälder rund um das Kaspische Meer und das Mittelmeer. Brückner war sehr daran interessiert, seine Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu tragen. Er hielt nicht nur Vorträge vor wissenschaftlichen Vereinigungen, sondern auch vor Politikern. Seine Ergebnisse wurden damals sogar in parlamentarischen Kommissionen erörtert.
Dennoch ist der Mann heute so gut wie vergessen.
Das hängt zum einen wohl mit dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise zusammen und dem natürlichen Auf und Ab der Themen, die öffentlich diskutiert werden. Zum anderen setzte sich in der Klimaforschung im Laufe des 20. Jahrhunderts die Vorstellung durch, dass Klima etwas Statisches sei - eine Theorie, die bis vor etwa zwanzig Jahren galt, mittlerweile aber widerlegt ist. Und so sind heutige Klimaforscher immer wieder überrascht, wenn sie von Brückner und seinen Behauptungen hören. Die Naturwissenschaft hat ja sehr oft nur ein bescheidenes historisches Gedächtnis: Oft genug kennen heutige Forscher jene Riesen nicht mehr, auf deren Schultern sie stehen.
Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Grundlagen- und Anwendungswissenschaft m Bereich der Klimaforschung?
Wie in anderen Wissenschaftsbereichen verschwindet auch in der Klimaforschung die Trennung von Grundlagen- und Anwendungsforschung zusehends: Wer als Molekularbiologe heute ein Gen entdeckt, hat damit gleichzeitig auch einen Gentest entwickelt. Bei der Klimaforschung ist es ähnlich. Die Erkenntnis, ob sich der Golfstrom verändert oder nicht, hat ja unmittelbar praktische Folgen. Die Klimaforschung ist so auch ein gutes Beispiel dafür, dass in Zukunft die Themen, die von der Öffentlichkeit diskutiert werden, von der Wissenschaft erzeugt werden.
Am größten scheint das öffentliche Interesse an der Klimaforschung, wenn das Wetter gerade verrückt spielt.
Das liegt in der Natur der Sache. Ich argumentiere allerdings, dass man von einem Extremereignis wie dem Hochwasser im August nicht auf langfristige, durchschnittliche Veränderungen schließen kann.
Warum nicht?
Ein Extremereignis ist noch lange kein Beweis dafür, dass das Wetter extremer wird. Das ist eine statistische Fehlleistung. Ähnlich wie der Lottospieler, der glaubt, dass wenn fünfmal die 45 nicht gezogen wurde, es beim sechsten Mal wahrscheinlicher ist. Die Wahrscheinlichkeit bleibt gleich. Dass das Wetter verrückt spielt, ist absolut normal. Jahrhundertereignisse treten irgendwo auf der Welt dauernd auf. Sie sind nicht unbedingt Indikatoren für Veränderungen, aber sie rütteln die Gesellschaft wach.
Heute herrscht weitgehender Konsens darüber, dass sich das Klima durch den Einfluss der Menschen verändert - oder zweifeln Sie daran?
Nein. Damit das klargestellt ist: Ich gehöre nicht zur Fraktion der Skeptiker, sondern bin davon überzeugt, dass es anthropogene Klimaveränderungen gibt. Ich bin allerdings gegen die bisherige politische Strategie, die aus dieser Prämisse folgt: nämlich zu versuchen, den Ausstoß der Treibhausgase zu reduzieren, wie dies seit der Konferenz von Rio propagiert wird. Ich halte diese Strategie für falsch und unzureichend, weil diese moderaten Reduktionen von Treibhausgasen, die in den bisherigen Verträgen ausgehandelt wurden, kaum einen Einfluss auf das Klima haben, insbesondere nicht auf Extremereignisse. In Kyoto hat man sich auf fünf Prozent Reduktion geeinigt - ohne dass klar ist, ob die US-Amerikaner dabei überhaupt mitmachen. Nach den Erkenntnissen der Klimaforscher wäre aber eine Verringerung um siebzig Prozent nötig, damit ein Stopp der Erderwärmung erreicht wird. Das führt also nicht zu wirksamem Klimaschutz. Bis jetzt jedenfalls hat diese Mäßigungsstrategie nicht funktioniert. Es haben ja ausschließlich jene Länder eine Reduktion geschafft, die bisher extrem aufwendig Energie produziert haben - etwa in Osteuropa mit den Braunkohlekraftwerken.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Ich plädiere für Anpassung - sowohl die Wissenschaft als auch die Politik sollte sich auf den Klimawandel einstellen. Meines Erachtens hat die Klimaforschung die damit verbundenen Fragen bisher grob vernachlässigt. Ich würde schätzen, dass sich nur fünf Prozent der Veröffentlichungen damit beschäftigen. Jetzt beginnen sie sich mehr und mehr dafür zu interessieren, weil es ihnen eine neue Legitimität geben könnte. Ein Problem der Klimaforschung besteht ja auch darin, dass sie sich heute zu 99 Prozent sicher ist, dass die Klimaveränderungen anthropogen sind. Und da fragen sich die Forschungspolitiker natürlich, ob es sinnvoll ist, noch große Mengen Geld in diese Forschung zu investieren, um auch dieses letzte Prozent Unsicherheit zu beseitigen.
Können Sie Beispiele nennen, was Sie sich unter Anpassung vorstellen?
Grundsätzlich sollten wir uns ja bewusst sein, dass wir alle in einer künstlichen Umwelt leben - und das ist natürlich auch eine Form der Anpassung. Dieser Raum hier hat das Klima der afrikanischen Savanne, vielleicht ein bisschen kühler. Es gibt ja die falsche Vorstellung, dass sich die Eskimos physisch an die Kälte gewöhnt hätten. Aber auch sie leben in einem Mikroklima, das sich kaum von unserem unterscheidet. Auch in ihren Iglus ist es angenehm warm. Und wenn sie nach draußen gehen, dann ziehen sie sich eben so warm an, sodass unter ihrer Kleidung ein entsprechendes Mikroklima herrscht. Man passt sich also nicht physisch ans Klima an - allenfalls auf bestimmte Nebenaspekte. Insgesamt leben die Menschen also in einem identischen Miniklima. Und das sind alles Erfolge von Anpassung.
Aber können solche Maßnahmen auch bei Naturkatastrophen helfen? Ist da die Gesellschaft nicht doch machtlos der Natur ausgeliefert?
Es sind zumeist nicht die Extreme des Klimas, sondern es ist die politische Ökonomie, die zur Katastrophe und zum Tod von Menschen führt. 1995 gab es in Chicago sieben sehr heiße Tage hintereinander. Während dieser Hitzewelle starben 790 Menschen mehr als in einer durchschnittlichen Juliwoche. 500 bis 600 Todesfälle ließen sich auf die Hitze zurückführen. Schaut man sich diese Zahlen genauer an, stellt sich heraus, dass soziale Marginalität und Armut die entscheidenden Faktoren für den Tod dieser Menschen waren. Das zeigte sich im Vergleich mit anderen Städten wie Philadelphia, die dank Anpassungsmaßnahmen keine Hitzetoten zu beklagen hatten. Dort hat man die armen und kranken Leute in Busse geladen und in klimatisierte Einkaufszentren gebracht. Wenn in Ecuador 10.000 Menschen von einem Erdrutsch verschüttet werden, ist daran nicht allein die Natur schuld, sondern auch die Politik, die zugelassen hat, dass sich die Menschen in einer gefährdeten Region angesiedelt haben.
Wie reagiert die Politik auf Ihre Vorschläge?
Die Grünen in Deutschland und wohl auch in Österreich kann man für Strategien der Anpassung nicht interessieren. Die glauben, das sei kontraproduktiv, weil man sich dann nicht mehr um Mäßigung bemühen müsse. "Anpassung" kann mit Mäßigungsstrategien aber durchaus in Verbindung stehen. Solche Maßnahmen nützen das innovative Potenzial von Wissenschaft und Technik, sie greifen lokal und regional - da braucht man dann auch keine globalen Konferenzen wie Kyoto oder Rio mehr. Meines Erachtens ließe sich diese Strategie auch politisch besser verkaufen. Ich rechne damit, dass die Steuerzahler einmal gegen die Klimaschutzmaßnahmen und ökologischen Steuern rebellieren werden, wenn sie sehen, dass es nichts bringt.
Lässt sich absehen, wer von der Klimaerwärmung profitieren wird? Gibt es nicht Untersuchungen, wonach vor allem die kühleren Regionen der Erde Vorteile haben würden?
Das ist ein strittiger Punkt. Tatsächlich waren es russische Klimawissenschaftler, die auf solche positiven Effekte aufmerksam gemacht und prophezeit haben, dass ganz Sibirien zu einem Weizenwunderland werden könnte. Das ist aber umstritten. Und die Klimaforscher im Westen reden überhaupt nicht gerne über mögliche positive Effekte etwa in der Agrarwirtschaft. Klar ist aber auch, dass ein Kanadier, der einen siebenmonatigen Winter durchleben muss, es gar nicht abwarten kann, bis sich die Erde erwärmt. Grundsätzlich lässt sich aber wohl sagen, dass die Auswirkungen der Erwärmung regional sehr unterschiedlich sein werden.
Wie weit kann diese Anpassung an die Erderwärmung gehen? Es ist doch jetzt schon die Rede davon, dass Südseeinseln wie Tuvalu dem gestiegenen Meeresspiegel zum Opfer fallen werden.
Also ich bin von diesen Beispielen - wie der pazifischen Südsee oder Bangladesch - nicht wirklich überzeugt. In Bangladesch, wo man jetzt schon weitgehend unter Meeresniveau lebt, wird man höhere Deiche bauen können. Aber ich bin da ja kein Spezialist, und diese Anpassungsmaßnahmen müssen ja alle hochspezifisch sein. Sie zu konkretisieren, das ist es ja gerade, worum es bei dieser Art der Forschung geht.
Könnte es für den Norden auch Nachteile geben?
Ein Schreckensszenario der Klimaforschung ist, dass durch die globale Erwärmung immer mehr tropische Krankheiten in den Norden wandern, weil es da wärmer wird. Das Dumme ist nur, dass es Forschungsergebnisse gibt, die zeigen, dass diese Krankheiten sich vor allem aufgrund von Armut verbreiten. Unmittelbar südlich der Grenze zwischen Mexiko und den USA gibt es zum Beispiel tausendmal so viele Fälle von Denguefieber als nördlich davon - und dieser Streifen ist ein paar Hundert Meter breit, und das Klima ist identisch. Diese extremen Unterschiede haben etwas mit den ganz unterschiedlichen hygienischen Voraussetzungen auf den beiden Seiten der Grenze zu tun. Klimaanpassung hieße also auch: die Hygiene und den Wohlstand zu verbessern, um sich zu schützen. Ökologische und ökonomische Ziele schließen sich also nicht aus - im Gegenteil.
Nun ist es aber wohl so, dass diese Anhebung des Wohlstands global gesehen kaum machbar ist. Wenn die so genannten Entwicklungsländer so viel Energie verbrauchen, wie wir es tun, dann hätte das doch noch viel drastischere Auswirkungen als all das, was wir bis jetzt kennen.
Richtig. Davon reden aber nur wenige. Wenn man die Ziele der Mäßigung erreichen wollte, dann bliebe wohl nichts anderes übrig, als die Lebenschancen und Wünsche von rund achtzig Prozent der Menschheit zu ignorieren.
Ist das letztlich nicht sehr technokratisch, was Sie da vorschlagen?
Dieser Einwand ist nicht ganz unberechtigt. Anpassung bezieht sich natürlich auf unseren materiellen Umgang mit der Natur - und da werden Architekten, Ingenieure, aber auch Juristen gefragt sein. Eine der Grundthesen der Anpassungsforschung ist aber, dass es nur eine begrenzte Machbarkeit gesellschaftlicher Verhältnisse gibt. Man darf da nicht überheblich werden, und es wird noch viele Probleme und Konflikte geben. Es gibt genug Hochwasserbetroffene, die nicht umgesiedelt werden wollen, obwohl ihre Städte und Dörfer nach wie vor gefährdet sind. Diese Leute sind also bereit, mit den Risiken zu leben.
Das Gespräch führten Oliver Hochadel und Klaus Taschwer
Zum Weiterlesen:
Nico Stehr / Hans von Storch (Hg.): Klima, Wetter, Mensch. Beck-Verlag, München 1999
Nico Stehr: Wissenspolitik. Die Überwachung des Wissens. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2003
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