Die Entscheidung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, den Georg-Büchner-Preis 2020 an die Autorin Elke Erb zu verleihen, hat in der Branche ein stürmisches Nicken ausgelöst. Keiner Autorin scheint dieser Preis, der als wichtigste literarische Auszeichnung Deutschlands gilt und mit 50.000 Euro dotiert ist, mehr gegönnt zu werdem, als Erb.
Wer Elke Erb kennt, dem ist in jedem Fall dieser spezifische Erb-Blick, mit dem sie die Welt aufnimmt, aufgefallen. Dieses permanente Abtasten der Umgebung, das Oberflächenphänomene genau so in die Erkenntnis zieht, wie sie verschüttet Liegendes und Historisches freilegt. Dieser Erb-Blick verwandelt alles, was er erfasst, in Material poetischer Erkenntnis.
Elke Erb ist 1938 in Scherbach in der Eifel geboren. Ihr Vater, der Literaturwissenschaftler Ewald Erb trat 1947 eine Stelle an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg an und wechselte später ans Germanistische Institut der Universität. 1949 holte Erb seine Frau und seine drei Töchter aus der Voreifel nach Halle. Elke Erb studierte in Halle Germanistik und Slawistik, arbeitete als Verlagslektorin, und ist seit 1966 freie Schriftstellerin.
Von ihrer ersten eigenständigen Buchveröffentlichung an – Gutachten erschien 1975 im Aufbau Verlag – experimentierte Erb an den Grenzen des Gedichts, aber auch an den Grenzen der Prosa. Ihre seismographische Beziehung zur Welt ermöglichte es ihr, noch die kleinsten und leisesten gesellschaftlichen Erschütterungen zu verzeichnen und sie zu so etwas wie dem vibrierenden Kern ihre Werke zu machen.
Dabei ließ sie vor allem in den Achtzigerjahren, als ich ihr in ihren Texten begegnete, auch die grafischen Möglichkeiten, die der Gedichttext bietet, nicht aus. Bücher wie Vexierbild oder Kastanienallee kursierten in meinem Freundeskreis und wurden gewissermaßen zu Pflichtlektüre. Als Autorin fand Elke Erb in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen Anerkennung. Im wiedervereinigten Deutschland musste sie sich auch nicht erst einfinden, wie so viele, von denen manche an den neuen Verhältnissen scheiterten. Denn nationale Grenzen gelten Elke Erb eher als Widrigkeiten denn als Punkte der Orientierung.
In den Neunzigerjahren veröffentlichte Elke Erb in verschiedenen Verlagen, zum Beispiel das großartige Langgedicht Winkelzüge im Galrev-Verlag oder Prosa und Gedichtbücher bei Steidl, bis sie im Schweizer Verlag Urs Engeler eine dauerhafte Heimat fand.
In der Ankündigung zu dem 1998 bei Engeler erschienen Band Mensch sein, nicht heißt es:
„In Versen und Prosa aus den Jahren 1994-96 denkt sie die alltäglichen Begebenheiten mit insistierender Hartnäckigkeit bis zu dem Punkt zurück, an dem sie vielleicht stoßend, vielleicht rührend, auf jeden Fall auffällig wurden, um sie in schnörkellosen Volten zu befreien von Stummheit, Sentimentalität oder Engherzigkeit: ,Spott // Verdanke vermutlich den Knob-lauchzehen, abendlich zweien, die Milderung dieses Drucks in der Herzgrube. / Habe mit dem Zehren, Verzehren eine kühle Abwehr durchgriffen, welche alle Zeit hier mit mir spindelt und wirrt - Spott, woher? // 22.8.95‘“
Was hier als Ankündigung für ein einzelnes Buch formuliert ist, könnte auch für Elke Erbs Werk insgesamt gelten.
Neben ihrem literarischen Werk leistet Elke Erb als Übersetzerin, vor allem aus dem Russischen, Großes. Ihre Übertragungen von Oleg Alexandrowitsch Jurjew, Sergej Jessenin oder Marina Zwetajewa ins Deutsche, um nur einige zu nennen, sind großartig.
In ihrer Berliner Rede zur Poesie, zuerst gehalten im Mai 2018 auf dem Berliner Poesifestival, heißt es:
„Das Aus hat (wie
der Laut sagt)
keinen Garten.“
Ich hatte das bei der ersten Lektüre überlesen. Mittlerweile aber gehört es zu meinen Lieblingsgedichten. Kluges, denke ich, ist ohne Humor nicht zu haben. Und umgekehrt. Und ich höre die Autorin leise lachen, über meine Verblüffung vielleicht, aber vor allem, ganz bescheiden, aus Freude darüber, was Sprache kann.
Kommentare 4
Ja, wirklich verdient. Die ist so stetig und so genau in ihrer Poesie und nicht immer leicht zu entschlüsseln. (Auch jetzt grüble ich noch über den Vers nach.) Egal. Zuerst habe ich sie im Poesiealbum 68 gefunden, in dem zu DDR-Zeiten die Dichter sich vorstellten. Und sie seitdem immer wieder verfolgt.
Stimmt, das Gedicht habe ich auch nicht verstanden, der Autor (des Zeitungstextes) konnte ihn auch nicht verständlich machen, auch die Preisträgerin gilt als eine, die nur unter Schriftstellern bekannt und beliebt sei - also ein enger Kreis der Versteher, der immer enger wird, da die Nichtverstehenden ja heute eine große Auswahl an Möglichkeiten haben, sich anders zu beschäftigen. Kenne kaum einen, der über drei Zeilen länger als eine Minute nachdenkt. Insofern ist die Frage, die eine andere Zeitung stellte (Ist der Büchnerpreis noch zeitgemäß) angemessen und sollte erweitert werden: Ist Literatur, die sich nicht mehr verständlich machen kann und also unverstanden bleibt, noch zeitgemäß? (War sie es je? Und wenn ja, wann?) Die Antwort gibt nicht mehr die Ideologie, sondern die (Nicht-)Leserin.
Heinrich Detering, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die den Büchner-Preis verleiht, könnte, wenn er sich bemühen würde, das Gedicht verstehen. Ob er sich bemüht, weiß ich nicht. Er ist Bob Dylan-Fan.
"Ist Literatur, die sich nicht mehr verständlich machen kann und also unverstanden bleibt, noch zeitgemäß?"
'Kann' kann sie schon, aber will oder muss sie es? Es wird schon welche geben, die sie dennoch 'verstehen'. Es ist schlicht eine Sache des Interesses, etwas nach 'Bedeutung' zu suchen, wie bei einem Spiel.
Was ich beim Lesen des Gedichts denke:
Das 'Aus' lautet ähnlich wie Haus, und es lässt an ein Ende denken, vielleicht an Tod; es ist aus. Und an Fußball. Ob Ende oder Fußball-Aus: da gibt es wohl keinen Garten. Zudem die Klänge in den Zeilen: a und au besonders in den ersten beiden, in der letzten en en. Liest man das Gedicht nicht, sondern hört es nur, kann 'der Laut sagt' auch verstanden werden als 'jemand/einer laut sagt'. Wäre dann die Frage, ob man beim Hören statt 'Aus' nicht (nachträglich) eher 'Haus' hört.