Medgyessys offene Flanke

Ungarn Kurz vor den Europawahlen befällt eine bisher Amerika freundliche Opposition das Wendefieber

Die konservative Opposition Ungarns hat vor den Wahlen zum Europaparlament am 13. Juni den Irak-Krieg zu ihrem Hauptthema erkoren. Entgegen bisherigen Sympathieerklärungen für die USA sammelt mit dem Demokratischen Forum (MDF) die kleinere der beiden Oppositionsparteien nun Unterschriften für ein Referendum, das einen sofortigen Rückzug der etwa 300 ungarischen Soldaten ermöglichen soll. Auch die Jungliberalen der FIDESZ von Ex-Premier Viktor Orbán geben zu verstehen, die bislang parteiübergreifende Irak-Front verlassen zu wollen. Die Position in der Irak-Frage werde überdacht, raunt der Parteichef.

Mit der Stationierung ungarischer Einheiten im Nahen Osten bietet der sozialdemokratische Ministerpräsident Péter Medgyessy eine offene Flanke bei den Europawahlen. Waren nach einer Umfrage des Instituts Szonda Ipsos Ende April noch 59 Prozent der Ungarn für die Fortsetzung der Mission, so gibt es zwischenzeitlich eine signifikante Stimmungswende. 60 Prozent wollen einen Abzug - und das ziemlich unabhängig von sonstigen parteipolitischen Präferenzen. Auch unter den Parteigängern des Premiers sind derzeit 54 Prozent dafür, das Irak-Engagement zu beenden.

Noch allerdings lässt die Regierung nicht erkennen, ob sie sich wirklich zu einer Inventur ihrer Politik durchringen soll. Ähnlich wie in Warschau, wo eine Räumung des polnischen Sektors für die Regierung ausgeschlossen ist, betont Außenminister Kovacs: "Ein Rückzug unserer Truppen wäre nicht die richtige Antwort." Verteidigungsminister Ferenc Juhász sekundiert: "Ungarn ist an keinen Folterungen beteiligt, wir stehen vielmehr auf der Seite der dortigen Bevölkerung, die wir mit unserer Mission unterstützen." Juhász, der im Vorjahr mehrmals betonte, sollte die Friedensmission zu einem Kriegseinsatz werden, dann müsse Ungarn die Truppen abgeziehen, gerät nun immer mehr unter Druck. Die liberale Magyar Hirlap will von der bevorstehenden Ablösung des Ministers erfahren haben.

Bis zum 13. Juni dürfte Oppositionsführer Orbán aber nicht nur für die Irak-Politik der Regierung scharfe Worte finden. Längst ist klar: Wie bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2002 will die FIDESZ ihre Wahlschlacht auch diesmal auf eine Frage reduzieren: Entweder wir oder die Sozialisten. "In der ungarischen Politik", kommentiert der Budapester Politikwissenschafter Gabor Liszkay, "geht es leider nicht mehr bloß darum, eine Wahl zu gewinnen. Es kommt vielmehr darauf an, die andere Seite vollkommen zu vernichten, und für diesen Zweck ist Polarisierung dringend nötig." Seit geraumer Zeit versucht Orbán alle Kräfte zu bündeln, die in Opposition zur Regierung Medgyessy stehen. Vorläufig mit geringem Erfolg: Das Demokratische Forum hat seiner Idee, beide Parteien zu einer christlich-demokratischen Volksfront zu verschmelzen, eine klare Abfuhr erteilt. "Wir halten diese Variante weder für christlich noch für demokratisch", reagierte die MDF-Vorsitzende Ibolya David.

Aufschlussreich ist auch der Umstand, dass sich die lange als typisch postkommunistische Yuppie-Fraktion gerierende FIDESZ inzwischen als größte privatisierungsfeindliche Kraft im Lande artikuliert. "Die Regierung folgt einer sinnlosen Privatisierungsmentalität nach dem Motto alles muss weg", wettert der stellvertretende FIDESZ-Vorsitzende Lászlo Köver und stößt sich dabei besonders an der Privatisierung des Mineralölgiganten MOL und dem geplanten Verkauf der gewinnbringenden ungarischen Lottogesellschaft.

Die ob ihrer Wirtschaftspolitik hart angegriffenen Sozialdemokraten wehren sich gleichfalls nicht zimperlich. Besondere mediale Aufmerksamkeit hat in diesem Zusammenhang vor allem Spindoktor Ron Werber erfahren, der Medgyessy schon vor zwei Jahren zum Sieg führte. "Diese Wahl kann das Ende der paranoiden Orbán-Gang sein. Und merkt euch: Bei diesem Match gibt es keine Fair-Play-Preise", feuerte Werber schon im April die Funktionäre der sozialdemokratischen MSZP an. Als das Internet-Portal index.hu Werbers Auftritt publik machte, tobte die Opposition. Die FIDESZ rief Premier Medgyessy gar dazu auf, Werber des Landes zu verweisen.

Womit schon jetzt vieles darauf hin deutet: Die Europawahlen lösen eine ähnliche Polarisierung aus wie 2002, als das Land tief gespalten war - in ein sozialdemokratisches, moderat europäisches und ein radikal konservatives, nationales Lager.


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