Medium Religion in Karlsruhe

Ausstellung Wenn ZKM-Chef Peter Weibel eine Themen-Ausstellung veranstaltet, dann wird mindestens das Rad neu erfunden - jedenfalls in den theoretischen ...

Wenn ZKM-Chef Peter Weibel eine Themen-Ausstellung veranstaltet, dann wird mindestens das Rad neu erfunden - jedenfalls in den theoretischen Verlautbarungen. Auch diesmal wartet Weibel mit einem kleinen Rundflug von Freud bis Derrida auf, der in der ganz neuen Einsicht gipfelt, Religion an sich sei ein Medium, ein Medium der Verkündigung nämlich.

Religion ist sicher auch noch anderes, Spiritualität, Sinnsuche, Abwehr der Angst vor dem Tod. Aber im Zentrum für Medientechnologie in Karlsruhe sucht man das Mediale - und hält das Fernsehen für den Gottesdienst der Postmoderne. Das ist alles wahr und ein bisschen banal; die Frage ist nur: Was bedeutet es für die Einrichtung einer Ausstellung? Nicht viel. Man hat nach Arbeiten Ausschau gehalten, die irgendwas mit Religion zu tun haben (und manchmal auch nur mit dem Tod), und hat sie zusammen aufgebaut. Es ist dann den einzelnen Werken vorbehalten, den Besucher für sich einzunehmen, das Ausstellungskonzept bleibt diffus.

Größtes Problem der Schau ist die mangelnde Unterscheidung zwischen rein dokumentierendem Material und explizit künstlerischem Zugriff. Wobei es nicht für die Stärke der Videokunst spricht, dass amerikanische Fernsehprediger oder die Botschaften des netten Opas Osama bin Laden mindestens so durchgestylt sind wie manche der konzeptuell hoch aufgeladenen ZKM-Werke.

Religiöse Propaganda bedient sich fast immer der Ästhetik offiziöser politischer Inszenierungen - das wäre ein stringentes Thema gewesen. Aber das ZKM stellt alles nebeneinander: düstere Bekenner-Videos palästinensischer Selbstmordattentäter und Coca-Cola-Reklamewände, die der Künstler Alexander Kosolapov mit Jesus-Kopf verfremdet. Ein Scientology-Werbevideo von Tom Cruise und ein Kruzifix von Michael Schuster, der für künftige Kreuzigungen "Klebstoff statt Nägel" fordert. Ein paar Stationen weiter sieht man einen Aerobic-Trainer aus dem amerikanischen Frühstücksfernsehen, der Fitness-Gymnastik mit christlichen Glaubensbotschaften verbindet - Stretchen für Jesus, Religion als Lachnummer.

So entsteht ein makabres Allerlei. Halten wir uns an die seriöseren Arbeiten: der Dokumentarfilmer Romuald Karmakar rekonstruiert Hasspredigten eines Imams, der Schweizer Christoph Büchel legt tausend Mein Kampf-Exemplare auf Arabisch aus, ein Bestseller in der islamischen Welt; der kranke Christoph Schlingensief sucht Gott im Arztzimmer, und die israelische Künstlerin Nira Pereg fotografiert schon zu Lebzeiten reservierte leere Grabstellen in Jerusalem, das ja selber eine große Grabstelle ist.

Von Nira Pereg stammt auch die vielleicht schönste Arbeit der Ausstellung: ein Video, das das Absperren der jüdisch-orthodoxen Bezirke in Jerusalem am Vorabend des Sabbat zeigt. Kein Straßenverkehr mehr, endlich Stille. Die eifrigen Gläubigen, die die Straßensperren errichten, agieren wie Schauspieler im öffentlichen Raum. Die Arbeit hält eine schöne Balance zwischen dem Sichtbarmachen eines religiösen Fanatismus, der der Aktion ja innewohnt, und der zustimmenden Beschwörung der Ruhe, die plötzlich über die Stadt kommt und bitter notwendig ist.

Wie stark vorauseilender Gehorsam gegenüber den Religionen auch die westliche Welt bereits ergriffen hat, erklärt eine Dokumentation zu den Arbeiten des Künstlers Gregor Schneider: Sein schwarzer Kubus, den man eben auch als Kaaba, als islamisches Heiligtum interpretieren kann, durfte in diversen europäischen Städten nicht aufgestellt werden - aus Angst, man könnte religiöse Gefühle verletzten. In den meisten Fällen hatte es aber gar keine Anzeichen für Protest oder gewalttätige Übergriffe gegeben; man war prophylaktisch feige.

Die Karlsruher Ausstellung drückt sich um eine klare These zur Religion, kehrt aber eifrig zusammen, was im Dunstkreis des ZKM so produziert wurde. Der wichtigste Glaube im ZKM ist immer noch der Glaube an die Videokunst. Willkommen in der Kirche des Geflimmers.

Medium Religion ZKM, Karlsruhe. Noch bis 19. April 2009

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