FREITAG: Dieser Tage ist wieder einmal die Diskussion um die Kontrolle der ärztlichen "Ergebnisqualität" entbrannt. Sehen Sie Möglichkeiten, das ärztliche Honorarsystem in Richtung eines Werkvertrags mit Erfolgsgarantie zu ändern, oder geht es bei der Debatte nur um schlichte Kosteneinsparung?
Rolf Rosenbrock: Die gegenwärtige Debatte um die Vergütung der Ärzte nach ihrem Behandlungsergebnis, gemessen am Gesundheitszustand der Patienten, ist sicherlich ein Oster-Gag, aber keine ernst zu nehmende Idee. Einmal sind Behandlungsergebnisse außerordentlich schwer zu messen, gerade wenn man sie mit Faktoren wie Lebensqualität, Behinderungsgrad und ähnlichem verbinden will. Zum zweiten würde der Erfolg der derzeitigen Debatte dazu führen, dass sich die Ärzte die leicht behandelbaren Patienten aussuchen würden, was wiederum die Benachteiligung derer bedeutete, die ohnehin schon am schlechtesten dran sind.
Das heißt aber nicht, dass der Gedanke, über Vergütungssysteme Qualitätssteigerungen zu erreichen, völlig verfehlt wäre. Es ist allerdings einer der üblichen Irrtümer, dies nur über Vergütungssysteme zu machen. Man muss immer materielle Anreize mit Systemen der Qualitätssicherung verbinden.
Welche Möglichkeiten sehen Sie da? Sie treten für die Stärkung der Hausärzte ein, die Innungskrankenkassen beispielsweise haben vorgeschlagen, die Honorare an die Weiterbildungswilligkeit von Ärzten und Ärztinnen zu koppeln.
Man muss die Institutionen von Hausarzt und Facharzt mit den nichtmedizinischen Gesundheitsberufen wie Pflege und Sozialarbeit viel stärker integrieren, und darüber hinaus auch die stationäre Pflege. Die bisherigen Versuche, entweder auf die Hausärzte oder das Vergütungssystem oder die Kosteneinsparung im Krankenhaus zu setzen, gehen an der komplizierten Realität im Behandlungsalltag vorbei. So lange es nicht den Mut gibt, das gesamte Versorgungssystem aufeinander abzustimmen, auch mit institutionellen Eingriffen, wird es dabei bleiben, dass die Integrationsleistungen von den Patienten erbracht werden müssen, und die sind im Gesamtsystem das schwächste Glied.
Das heißt, den Patienten wird einerseits die individuelle Verantwortung für ihre Gesundheit aufgebürdet - der Verzicht auf Risikosportarten oder das Rauchen beispielsweise -, während andererseits andere krankmachende Faktoren, die außerhalb der Kontrolle des Patienten liegen, aus dem Blickfeld geraten.
Ja, das ließe sich unter dem Komplex Medikalisierung abhandeln. Unser Gesundheitssystem ist lediglich ein Krankenversorgungssystem, das immer dann eingreift, wenn das meiste gelaufen ist. Die Wahrscheinlichkeit zu erkranken oder frühzeitig zu sterben wird ausgeblendet. Deshalb fällt unserer Gesundheitspolitik aus dem Blick, dass selbst in einem so reichen und zivilisierten Land Menschen aus dem untersten Fünftel der Bevölkerung - gemessen an den Indikatoren Einkommen, Ausbildung und Stellung im Beruf - über ihr ganzes Leben, von der Wiege bis zur Bahre, ein doppelt so hohes Risiko tragen, ernsthaft zu erkranken oder vorzeitig zu sterben, wie die Angehörigen des obersten Fünftels. Das ist nicht nur ein Problem der Armut, sondern das lässt sich über die gesamte soziale Pyramide hinweg verfolgen. Hier müsste und könnte man eingreifen, aber das ist so lange nicht möglich, wie Gesundheitspolitik als Medizinpolitik verstanden wird, und Medizinpolitik als Kostenpolitik.
Auf der einen Seite gibt es die Diskussion um Globalbugets, auf der anderen Seite wird die High-Tech-Medizin immer teurer. Besteht hier nicht die Gefahr, dass die breite Gesundheitspolitik auf der Strecke bleibt?
Nach meiner Überzeugung - aber das ist nur eine Überzeugung, die empirisch sehr schwer zu erhärten ist - reichen die über 550 Milliarden Mark, die jährlich für Gesundheit in der Bundesrepublik ausgegeben werden, aus, um einerseits eine bessere Breitenversorgung zu gewährleisten als heute, als auch die vernünftigen, das heißt die gesundheitlich gewinnbringenden Therapien weiterzubetreiben. Der Gedanke des Globalbudgets - also die Deckelung der Ausgaben - war ja nicht im Ansatz falsch, sondern das Problem lag darin, dass nicht weiter gehend gesteuert wurde und wird. Die kostenträchtigen Fehlentscheidungen im Lastensystem der Krankenversorgung bestehen nicht darin, dass irgendjemand dauernd sehr teure High-Tech-Medizin in Anspruch nimmt, sondern dass bei der Versorgung der großen Masse chronisch Kranker über lange Zeit zu viel und unsinnig Medizin verordnet wird, während nicht-medizinische Interventionsmöglichkeiten - etwa Selbsthilfe, Sozialarbeit, ambulante Pflege und andere nichtmedizinische Hilfsmöglichkeiten - vernachlässigt werden.
Mit diesen Formen von Hilfsmöglichkeiten lassen sich aber auch weniger Profit machen oder die ärztliche Karriere forcieren.
Medizin ist nicht der einzelne Doktor oder das Krankenhaus, sondern die gesamte Konfiguration aus Ärzten, Pharmaindustrie, Medizinausbildung, nicht zuletzt Medizinjournalistik, also die Wahrnehmung von Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung. Es ist ja nicht so, dass die Bevölkerung nicht an die High-Tech-Medizin oder die Allmacht der Ärzte glaubt. Hier wäre sicherlich auch ein politisch zu steuernder Ansatz für Aufklärung. Es müsste darauf aufmerksam gemacht werden, dass nur ein geringer Teil unserer Gesundheit, unseres Wohlbefindens und unserer Lebenserwartung auf Medizin beruht oder von ihr abhängig ist. Ich bin in weiten Feldern durchaus ein Schulmediziner, aber das Kunststück ist, die Medizin auf diejenigen Aufgaben zu konzentrieren, die sie wirklich besser löst. Die Medikalisierung dagegen führt zur stetigen Grenzüberschreitung. Und wenn das dann zu teuer wird, wird auf die High-Tech-Medizin gescholten, obwohl die entsprechenden Ausgaben, gemessen am Massengeschehen, relativ gering sind.
Gesundheit entzieht sich in letzter Instanz warenförmiger Vermarktung, dem trägt das Solidarsystem der Krankenversicherung Rechnung. Gleichzeitig sind medizinische Dienstleistungen eine Ware wie jede andere. Wie schätzen Sie diese widersprüchliche Entwicklung ein?
Medizin wird leider noch immer nicht, wie das jeder vernünftige Sozialpolitiker oder Public-Health-Experte fordern würde, nach den Kriterien Bedarf und Kostendeckung, sondern nach kaufkräftiger Nachfrage und Profit gesteuert. Unsere main-stream-Gesundheitsökonomen, die auch in der rot-grünen Regierung den Ton angeben, sind an Gesundheit und an gesundheitlicher Ungleichheit überhaupt nicht interessiert, sondern sie versuchen ihre aus den Lehrbüchern übernommene Mikroökonomie auf das Gesundheitssystem zu stülpen. Empirisch lässt sich beobachten, dass chronisch Kranke schlechter versorgt werden und sozial bedingte Ungleichheit zunimmt.
Das Gespräch führte Ulrike Baureithel
Rolf Rosenbrock ist Professor für Gesundheitsforschung an der TU Berlin und Mitglied des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen. Derzeit befindet er sich wegen IM-Verdachts in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen mit dem Berliner Wissenschaftszentrum.
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