Mehdorn wird das Pfeifen hören

DEUTSCHE BAHN Norbert Hansen, Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft GdED, über die Börsenfähigkeit der Bahn und Verhandlungen über neue Arbeitsmodelle

Freitag: Viele Bahnfahrer hofften, dass die Gewerkschaft gegen das Konzept einer Schrumpfbahn des Bahn-Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn antreten würde. Doch in letzter Minute hat die GdED den angekündigten Streik ausgesetzt.

Norbert Hansen: Ich glaube nicht, Bahnfahrer enttäuscht zu haben. Unser Kampf richtet sich vornehmlich gegen die Pläne der Unternehmensführung, Mitarbeiter zu entlassen oder Lohnkürzungen durchzusetzen. Diese Absichten sind Teil eines Unternehmenskonzepts, die Bahn auf die profitablen Bereiche zu reduzieren. Dagegen wenden wir uns mit der "Allianz pro Schiene". Ihr gehören alle maßgeblichen Umweltschutzverbände, viele Verkehrsclubs und bahnnahe Unternehmen an. Wir setzen uns gemeinsam dafür ein, dass der Eigentümer, also der Bund, die Bahn so unterstützt, dass ein flächendeckendes Verkehrssystem bleibt und ausgebaut wird.

Aber selbst Bündnis 90/Die Grünen unterstützten in weiten Bereichen Mehdorns Pläne. Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) hat bekräftigt, die Bahnreform sei abgeschlossen, weitere finanzielle Unterstützung werde es nicht geben.

Es stimmt: In der Bundesregierung haben wir zu wenig Unterstützung. Vielleicht werden wir Eisenbahner und Eisbahnerinnen in Berlin deutlich zeigen müssen, was wir von ihr erwarten. Und das, obwohl Rot-Grün der Schiene im Koalitionsvertrag Vorrang vor dem Auto eingeräumt hat und Güter von der Straße auf die Schiene verlagern wollte.

Haben Sie ein Alternativkonzept?

Die Bahn muss den Regional- und Nahverkehr ausbauen. Rheinland-Pfalz zeigt den Erfolg eines guten Angebots. Dort hat die Bahn schon vor fünf Jahren einen integrierten Taktfahrplan mit einheitlichem Preissystem eingeführt. Seitdem konnte die Bahn die Zahl ihrer Kunden um 90 Prozent steigern. Im Fernverkehr darf sich die Bahn nicht auf eine Nische für Erste-Klasse-Reisende im Hochgeschwindigkeitszug zurückziehen. Sondern die Bahn muss auch die Reisenden berücksichtigen, die während Freizeit und Urlaub nicht unbedingt auf Spitzengeschwindigkeiten Wert legen, sondern auf zuverlässige Reisezeiten, Pünktlichkeit und einen guten Service. Im Güterverkehr hat die Bahn über Jahrzehnte den Rückgang der Montangüter beklagt, aber nichts getan, in den wachsenden Markt der sogenannten Kaufmannsgüter hinein zu kommen. Erst vor kurzem wurden erste Schritte getan, um zu einem Logistikanbieter zu werden. Das muss die Bahn beschleunigt fortsetzen.

Ihre Vorschläge für den Personenverkehr der Bahn hält Mehdorn für nicht annehmbar, weil damit der Börsengang der Bahn gefährdet würde.

Wir stellen grundsätzlich in Frage, dass die Bahn börsenfähig sein muss, jedenfalls so lange, wie damit die Erwartung verbunden ist, dass die Bahn nur noch da betrieben wird, wo sie profitabel ist. Aber das hieße, eine Rendite von zehn und mehr Prozent auf das eingesetzte Kapital, vier bis fünf Milliarden Gewinn vor Steuern. Das könnte keine Bahn mehr im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger sein. Wir haben uns deswegen intern mit dem Management auseinander gesetzt und ruhig und zurückhaltend mit der Politik. Jetzt haben wir gelernt, dass wir mit einem kämpferischen Auftreten mehr Beachtung finden. Diese Lehren werden wir nutzen, künftig deutlicher und offensiver aufzutreten.

Bislang haben Sie nicht mehr erreicht, als dass betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahr 2004 vom Tisch sind. Alle weiteren Streitpunkte sind Verhandlungen in den kommenden zwei Monaten überlassen. Müssen Sie in den kommenden Monaten doch noch pfeifen?

Das hängt davon ab, mit welchen Zielen der Vorstand der Bahn AG die Verhandlungen führt. Wir müssen nicht erneut Kampfmaßnahmen vorbereiten, wenn es sozial verträgliche Lösungen für die Mitarbeiter gibt, also ohne Lohnkürzungen und Nullrunden, die den Lebensunterhalt gefährden würden.

Wo sehen Sie Einigungsmöglichkeiten?

Wir haben erneut betriebsbezogene Arbeitszeitverkürzungen angeboten, die ähnlich wie beim VW-Modell Beschäftigung sichern. Das wird aber nur da möglich sein, wo die Mitarbeiter das finanziell verkraften können. Doch der Arbeitgeber hatte die unrealistische Vorstellung, so ein Modell flächendeckend für den gesamten Bahnkonzern einzuführen. Das ist Quatsch, denn in vielen Bereichen der Bahn fehlt Personal. Die Beschäftigten müssen dort in steigendem Ausmaß Überstunden leisten. Probleme wird bereiten, dass bei der Bahn noch 80.000 Beamte beschäftigt sind. Bisher hat sich das zuständige Bundesinnenministerium geweigert, neue Arbeitszeitmodelle für Beamte zuzulassen. Verkehrsminister Klimmt hat mir jetzt seine Unterstützung zugesichert, doch wir werden neue Arbeitszeitmodelle nur mitmachen, wenn das für alle Beschäftigten möglich ist. Die Einkommensentwicklung der nächsten Jahre wollen wir zwar moderat gestalten. Aber wir haben vergangene Woche keinerlei Festlegungen hinsichtlich der Höhe künftiger Tarifabschlüsse getroffen.

Schon unmittelbar nach Ihrem jüngsten Gespräch hat Mehdorn verkündet, mit Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld am Prinzip von Lohnsenkungen festhalten zu wollen. Hat der Bahnvorstandsvorsitzende Sie getäuscht, indem er gleich nach den Verhandlungen Zusagen in Frage stellte?

Es gibt keine Vereinbarungen über einen generellen Lohnverzicht bei Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Wir werden erleben, wie verlässlich Mehdorns Zusagen sind. Vielleicht hat er falsche Vorstellungen davon, was ein Normalverdiener in seinem Unternehmen verkraften kann. Das müssen wir ihm dann wohl beibringen.

Das Gespräch führte Friedrich Siekmeier

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