Beim Schreiben für die Zeitung stellen sich immer mal wieder Sinnfragen. Warum tut man das, wozu schreibt man es, weshalb lässt man dies oder jenes weg, und für wen überhaupt. Solche Sinnfragen zu stellen ist wichtig, denn das Verfassen von Kommentaren und Analysen lebt, man muss es zugeben, strukturell von der Selbstüberschätzung des Schreibenden. Ob es sich um staatstragende Formulierungen handelt, die mit einem kernigem »So nicht, Herr Kanzler« oder einem räsonierendem »Die Regierung wäre gut beraten« beginnen, oder ob sich um Sätze für unwichtige Zielgruppen handelt, die etwa mit »Eine Linke, die sich ernst nimmt« ihre Botschaft einleiten - sie alle leben von der durch nichts begründeten Überzeugu
ugung des Autors, der Adressat werde sein künftiges Handeln ausgerechnet nach ihm ausrichten. Dass der Adressat die Kritik liest, gilt ja ohnehin als ausgemacht.Zwar ist schon bei den Verfassern solcher Sätze nur seltenst eine ähnliche Reaktion nach Lektüre der Kommentare anderer Autoren zu beobachten, aber solche Autoren wähnen sich ja oft selbst in einer Position, die bereits alles überblicke. Nur wenn die Welt mal wieder nicht so will, wie im letzten Leitartikel gefordert, tun sich Zweifel auf.Dann stellen sich besagte Sinnfragen, doch welch ein Glück, dass es José María Aznar gibt, und den Tony Blair gratis dazu. Der spanische und der britische Ministerpräsident sammelten nämlich jüngst bei Amtskollegen fleißig Unterschriften, um mal mit einem Zeitungsbeitrag so richtig Politik zu machen. Die Unterzeichner - es handelt sich um die Regierungs-, beziehungsweise Staatschefs von Dänemark, Großbritannien, Italien, Polen, Portugal, Spanien, Tschechien und Ungarn - verkünden in einer Erklärung, die zeitgleich in einer Reihe von Tageszeitungen, in Deutschland im Handelsblatt, erschien, dass sie bezüglich der Irakpolitik an der Seite der USA stehen. Begründet wird dies nicht nur mit der Bedrohung, die von irakischen Massenvernichtungswaffen ausgeht, sondern auch mit der Geschichte: »Die wahren Bande zwischen den Vereinigten Staaten und Europa sind die Werte, die wir teilen: Demokratie, persönliche Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.«Die großen bürgerlichen Werte also, und schon stellt sich bei der Lektüre dieser Zeitungsanzeige wieder die Frage nach dem Sinn des Zeitungsmachens.Die ersten Periodika erschienen, um innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft einen nötigen Austausch herzustellen. In dem die Ökonomie zur politischen Ökonomie wurde, der Staat eine den Erfordernissen der bürgerlichen Sphäre adäquate Form annahm, kam es auch zur erforderlichen Kommunikation zwischen und innerhalb der Sphären. »Öffentlichkeit«, heißt es in Jürgen Habermas´ Strukturwandel der Öffentlichkeit, ist »nach wie vor ein Organisationsprinzip unserer politischen Ordnung.« Diese Öffentlichkeit »ist offenbar mehr und anderes als ein Fetzen liberaler Ideologie«, schrieb er 1961, und auch vierzig Jahre später gibt es wenig Grund, an diesem Befund zu zweifeln. Auch wenn es vielleicht nicht die von Selbstüberschätzung getragenen Kommentare sind, die eine von ihren Autoren erwünschte Eins-zu-eins-Wirkung entfalten, so kann niemand an dem, was man »die Öffentlichkeit« nennt, lange vorbei regieren. Die Gesellschaft will sich artikulieren, ihre Interessen vortragen, ihre eigene Position diskursiv herstellen und letztlich dem Staat möglichst machtvoll gegenübertreten. Insofern ist der Ausdruck »Medium«, lateinisch »die Mitte«, auch nicht falsch gewählt: Laut Fremdwörterduden ist es einerseits »Mittel, Mittelglied, Mittler(in), vermittelndes Element«, und es ist auch, meist im Plural, »Einrichtung für die Vermittlung von Meinungen, Informationen oder Kulturgütern«.Die bürgerliche Öffentlichkeit entwickelt sich »in dem Maße, in dem das öffentliche Interesse an der privaten Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr nur von der Obrigkeit wahrgenommen, sondern von den Untertanen als ihr eigenes in Betracht gezogen wird«, heißt es bei Habermas.Nun repräsentieren zwar José María Aznar (Spanien), Silvio Berlusconi (Italien), Tony Blair (Großbritannien), José Manuel Durão Barroso (Portugal), Vaclav Havel (Tschechien), Peter Medgyessy (Ungarn), Leszek Miller (Polen) und Anders Fogh Rasmussen (Dänemark) nicht gerade die gesellschaftliche Sphäre, sondern stehen jeweiligen Staatsapparaten vor. Aber in der Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Position sind die Herren und die von ihnen repräsentierten Interessen gewiss nicht unwichtig.Medienkritisch betrachtet, und völlig unabhängig davon, ob man dieser Erklärung zustimmt oder nicht, ist es doch wahr, dass polnische und dänische Stimmen im Streit zwischen der US-Administration auf der einen Seite und dem »alten Europa« auf der anderen Seite nicht zu hören waren. Dank der Zeitungsanzeige sind sie nun wenigstens zu lesen.Es ist also im Grunde bürgerliche Normalität: Eine Position, die ansonsten im öffentlichen Diskurs nicht präsent wäre, meldet sich in der Zeitung zu Wort. So wurde im besten bürgerlichen Sinne Öffentlichkeit hergestellt, auch wenn dies hierzulande keiner so richtig wahrhaben möchte. Selbst solchen deutschen Medien, die einen Ruf zu verlieren haben, gilt die Erklärung der Acht als »gezielter Affront« (ARD-Tagesschau) oder als »vom US-Wirtschaftsblatt Wallstreet Journal lanciert« (dpa).Dabei können sich die Zeitungsschreiber jeder Couleur doch zunächst freuen, dass man vom Beispiel von José María Aznar und Tony Blair etwas lernen kann: Es gibt doch noch Texte in Zeitungen, die ihre Wirkung genau im richtigen Moment bei genau dem richtigen Adressaten entfalten können.Problematisch dabei ist freilich nur, dass die Herren ihre Erklärung in der Anzeigenabteilung abgegeben haben.Dennoch: Warum tut man das, wozu schreibt man es, weshalb lässt man dies oder jenes weg, und für wen überhaupt? Wenn man nur sicher wüsste, dass sich der Kanzler beim Frühstück ärgert, würde so manche journalistische Sinnfrage seltener gestellt werden.
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