Mehr als eine Zwischenstation

Buchenwald Barack Obama in der Gedenkstätte Buchenwald. Der Besuch macht Hoffnung, dass die USA zu den Prinzipien der allierten Siegermacht von einst zurückfinden

Wie lange muss man zurückdenken, um auf einen Besuch in Buchenwald zu stoßen, der soviel Aufmerksamkeit erregte, wie der heutige? Dafür sorgen zum einen die Person des Besuchers, zum anderen die vielschichtigen und hochgespannten Erwartungen, die sich mit ihm und seiner Arbeit weltweit verbinden. An Barack Obama knüpfen sich seit seinem Amtsantritt Hoffnungen zuvörderst auf eine veränderte amerikanische Außenpolitik, aber mehr noch auf eine Rückkehr zu den Prinzipien der Politik, die im 18. Jahrhundert an der Wiege eben des Staates verkündet wurden, den der Besucher repräsentiert. Diese Prinzipien standen gleichsam auf den Fahnen der Armee, die 1943 den Atlantik überquerte und sich von Nordafrika nach Italien vorkämpfte, und jener anderen, die im Jahr darauf in der Normandie landete und im Verbund mit allen Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition ihren Beitrag zur militärischen Zerschlagung des faschistischen Mächteblocks leistete.

Ein vergleichender Blick

Barack Obama begibt sich auf eine Teilstrecke dieses opfervollen Weges, die er gleichsam in entgegen gesetzter Richtung zurücklegt, in der sie 1944/1945 von Offizieren und Soldaten der US-Army genommen wurde. Mit Ihnen auf diesem Weg war aus Obamas Familie auch Charlie Payne, dessen Einheit in das Nebenlager Ohrdruf bei Gotha vordrang. Dessen umgekehrten Weg also ist nun Obamas Strecke - von Buchenwald westwärts nach Paris und weiter an die Küste der Normandie. Dort wurde am 6. Juni 1944, das liegt exakt 65 Jahre zurück, die „Zweite Front“ eröffnet. Es begann jene Offensive, in deren Verlauf die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau erreicht und befreit wurden. Der Historiker kann nur wünschen, dass der überflüssige Streit über das Verdienst an der Befreiung des Lagers auf dem Ettersberg vor den offenkundigen Tatsachen schweigt: Die Häftlinge hatten sich gegen ihre Peiniger erhoben und konnten erfolgreich sein, weil die US-Truppen nahten.

Barack Obama in der Gedenkstätte im Weichbild Weimars, das ist mehr als eine Zwischenstation. Mit seinem Kommen mögen sich persönliche Anliegen ebenso verbinden wie aktuelle politische Absichten. Zugleich vermittelt diese Visite Signale in ein Land, in dem seit Jahren in der Öffentlichkeit doch mehr und häufig unterschiedslos von den deutschen Opfern außerhalb dieser Lager geredet, geschrieben und gezeigt wird, als dass auf jene trauernd, gedenkend und mahnend Bezug genommen würde, die hinter den elektrischen Zäunen zugrunde gingen und hingemordet wurden. Und dieser Reiseort spricht auch wortlos über die Ideale und Ziele, von denen die Männer geleitet wurden, die Tausende von Kilometern von ihrer Heimat getrennt in Europa ihr Leben einsetzten, und das mag die Frage aufwerfen, ob sich ihre gegenwärtig in den Irak und nach Afghanistan befohlenen Nachfahren mit ihnen messen können. Der auf diese Weise gewonnene vergleichende Blick in die Kriegsgeschichte der USA könnte die von ihrem Präsidenten soeben während seiner Kairoer Rede angedeutete Kritik an der Politik seiner Vorgänger jedenfalls vertiefen helfen.


Die Macht der Medien, die Obamas Reise von Riad über Kairo nach Dresden und Buchenwald und von dort nach Frankreich so viel berechtigte Aufmerksamkeit schenken, wird nicht nur in den berührten Ländern über die Wirkung dieser Tour entscheiden. Die Denkanstöße, die von der außergewöhnlichen Weltroute des US-Präsidenten ausgehen könnten, sind zahlreich. Was Buchenwald anlangt, so sollte sein Besuch nicht, womit deutsche Interpreten rasch zur Hand waren, zur bloßen taktisch berechneten Ersatzhandlung für die von Kairo aus nicht unternommene Tour nach Tel Aviv herabgestuft werden.

Kurt Pätzold ist Historiker, er war bis 1992 an der Berliner Humboldt-Universität Inhaber des Lehrstuhls für deutsche Geschichte. Seine Forschungsarbeiten, die zu zahlreichen Büchern und sonstigen Veröffentlichungen führten, beziehen sich besonders auf die Weimarer Republik und die Zeit des NS-Regimes.

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