Mehr Chaos ist besser für Trump

USA Dem US-Präsidenten kommen Krawalle und Ausschreitungen bei Anti-Rassismus-Protesten im Wahlkampf gelegen
Ausgabe 36/2020
Black Lives Matter demonstriert seit sieben Jahren gegen Polizeigewalt, aber die polizeilichen Todesschüsse werden nicht weniger
Black Lives Matter demonstriert seit sieben Jahren gegen Polizeigewalt, aber die polizeilichen Todesschüsse werden nicht weniger

Foto: Scott Olson/AFP/Getty Images

Noch nie haben sich so viele US-Amerikaner gegen Rassismus eingesetzt. Ihre Bewegung hat das Thema ins Zentrum der Debatte gerückt. Ob aber Donald Trump deshalb abgewählt wird, ist eine andere Frage. Die Opposition muss aufpassen, sich nicht zu verrennen. Der Präsident nutzt Ausschreitungen bei Anti-Rassismus-Protesten als Kulisse für Hetze. Vor vier Jahren stand Trump mit unverhüllt rassistischen Sprüchen über „Illegale“ im Wahlkampf, und viele im bürgerlichen Lager wollten oder konnten nicht glauben, dass so etwas zum Sieg beitragen könne. Heute warnt Trump vor Chaos in den Städten, das sich auf die Vorstädte ausdehne, also auf die heile weiße Welt. Der republikanische Parteitag mit seinen Alarmrufen gegen „gewalttätige Anarchisten, Agitatoren und Kriminelle“ mit abschließendem Feuerwerk über Washington sollte mobilisieren. Die Republikaner sind die weiße Partei. Trump-Wählern und -Wahlspendern geht es um ihre Vorherrschaft und vermeintlich westliche Werte, zugleich aber auch um Ökonomisches, den Abbau von Gesetzen etwa, die als störend für die Wirtschaft empfunden werden. Entsprechend haben die vergangenen Monate einen umweltpolitischen Kahlschlag erlebt.

Vielerorts in Amerika herrschte im August Alltag, doch heizen Fernsehbilder von Massenunruhen in Portland, Kenosha und Minneapolis Trumps Welt an. Ende des Monats kam die Nachricht von einem in Portland (Oregon) erschossenen Mann, der eine Mütze trug mit der Aufschrift „Patriot Prayer“. Dieser Verband kämpft laut eigener Facebook-Seite mit Gottes Hilfe gegen Tyrannei und das Establishment in Washington. Der Todesschuss fiel, als Trump-Anhänger mit Demonstranten zusammenstießen. Erstere waren als eine Art Bürgerwehr aufmarschiert. Details sind unklar, doch die Rechten haben nun einen Märtyrer, der viel mehr ins Gewicht fällt als Afroamerikaner, die von der Polizei erschossen werden.

Ruf nach Selbstjustiz

Black Lives Matter demonstriert seit sieben Jahren gegen Polizeigewalt, aber die polizeilichen Todesschüsse werden nicht weniger. Im 100.000 Einwohner zählenden Kenosha (Wisconsin), früher ein relevanter Standort der Autoindustrie, hat im August ein Polizist dem Afroamerikaner Jacob Blake mehrmals in den Rücken gefeuert. Der Mann hat überlebt und liegt schwer verletzt im Krankenhaus, zeitweilig mit einer Fußschelle gefesselt. Nach den Schüssen gingen Hunderte auf die Straße, die Ausschreitungen dauerten Tage.

Links von der Mitte ist die Debatte um Gewalt und Zerstörung so alt wie die Proteste selbst. Die Bürgerrechtsbewegung rief nach dem Mord an Martin Luther King im April 1968 zu pazifistischen Sit-ins auf und konnte gewalttätigen Aufruhr nicht verhindern. In Minneapolis hat im Mai die Empörung über den Mord an George Floyd Polizisten aus einer Wache vertrieben, doch langfristig ist der Staat besser gerüstet.

Derzeit sitzt jemand im Weißen Haus, der das Versprechen, er werde für Recht und Gesetz sorgen, als Kampfansage versteht. Zugleich wächst unter den Sympathisanten Trumps die Toleranz gegenüber rechter Gewalt, Appelle zur Gewalt werden lauter. Nicht nur beim Sender Fox News gilt die Parole als akzeptabel: Die Leute müssen die Sache selber in die Hand nehmen, wenn es die Polizei nicht schafft. Damit gemeint sind Weiße wie der mit einem Sturmgewehr ausgerüstete junge Mann, der in Kenosha Ende August zwei Anti-Rassismus-Demonstranten erschossen haben soll. Der Täter sitzt in U-Haft. Bei einer Pressekonferenz wollte Trump den Schützen nicht kritisieren.

Klare Worte gegen das Randalieren kommen von Hinterbliebenen der Opfer von Polizeigewalt. „Wir können keine Gerechtigkeit mit Gewalt bekommen“, sagt Tamika Palmer, Mutter der in ihrer Wohnung in Louisville (Kentucky) von einem Polizisten erschossenen Breonna Taylor. „Es hilft ihm nicht, und es hilft uns nicht“, so Julia Jackson, Jacob Blakes Mutter. Zerstörung und Gewalt reflektierten nicht die Werte ihres Sohnes. Außer Zweifel steht, dass Republikaner Gewinn erwarten von Straßenschlachten und abgefackelten Polizeiautos. Joe Biden hat erklärt, Trump erhoffe mehr Gewalt. Was dessen Beraterin Kellyanne Conway bestätigt: Je mehr Chaos, umso besser sei das, damit man klar entscheiden könne, „wer am besten ist für öffentliche Sicherheit“. Laut dem Pew Research Center sind 90 Prozent der registrierten Wähler, die für Trump stimmen wollen, überzeugt, ihr Mann werde gewinnen, bei Biden-Wählern seien es 82 Prozent.

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