Mehr Geld, als man braucht

Kapital Christian Neuhäuser denkt über Reichtum nach, vergisst aber, wo der herkommt
Ausgabe 37/2019
In jeder Großstadt lässt sich gut erkennen, wie gut das Geld von oben nach unten sickert
In jeder Großstadt lässt sich gut erkennen, wie gut das Geld von oben nach unten sickert

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Die durchschnittliche Vergütung von Vorständen großer Konzerne ist seit 1978 um 940 Prozent gestiegen, die der Beschäftigten hingegen nur um durchschnittlich 12 Prozent. Wer würde da nicht eine Kluft erkennen? So auch Christian Neuhäuser, Professor für praktische Philosophie an der TU Dortmund, der für einen gerechteren Umgang mit Reichtum plädiert.

Doch wie soll das aussehen? Zunächst definiert Neuhäuser, wie es sich für sein Fach gehört, fein säuberlich den Reichtumsbegriff. Mit Reichtum meine er natürlich Geldreichtum und zu unterscheiden seien Superreiche, Reiche und Wohlhabende. Die Formel ist leicht: „Superreiche Menschen haben mehr Geld, als man sich überhaupt vorstellen kann. Reiche Menschen haben deutlich mehr Geld, als man braucht, um vernünftige Vorstellungen vom guten Leben verfolgen zu können.“

Schwieriger wird es, wo Reichtum mit Macht gekoppelt ist, insbesondere mit politischer Einflussnahme. Neuhäuser unterstreicht, dass Reichtum immer dann ungerecht wird, wenn die Würde der Mitmenschen beeinträchtigt wird oder er zur Aushöhlung der Demokratie führt. Wenn Politik nur noch von Lobbyisten beeinflusst wird, bricht die Legitimation für Demokratie weg. Es ist sein stärkster Einwand gegen obszönen Reichtum. Schuldig seien nicht gierige oder neidische Individuen, wie das in der Debatte um Reichtum sonst üblicherweise vereinfacht werde, sondern eine „strukturelle Gier“. Das bedeutet, dass der Profit über allen anderen Bedürfnissen wie Umweltschutz oder sozialen Sicherheiten steht. Moment einmal? Profitmaximierung als Leitmotiv, das klingt nach Kapitalismuskritik, doch das böse K-Wort wird tunlichst vermieden.

Passend dazu ist seine Lösung auch „problemlos mit der freien Marktwirtschaft“ vereinbar: progressiv steigende Vermögenssteuern. Auf der Linie des Volkswirtschaftlers Thomas Piketty, aber ohne je ökonomisch zu argumentieren, soll dies die Schere zwischen Arm und Reich kleiner werden lassen. Am radikalsten ist er, wo er eine harte Obergrenze für Reichtum erwägt – ein Einkommensmaximum also –, ohne aber Zahlen zu nennen. In seiner Vorstellung würden Menschen statt Reichtum dank einer solchen Steuer auch andere moralische Ziele verfolgen.

Ökonomie sieht anders aus

Pessimistischer ist er bei einer Unternehmenssteuer. Immerhin könnten die Unternehmen ins „unsolidarische“ Ausland abwandern. Der normative Überschuss einer Vermögenssteuer könnte aber seiner Ansicht nach schon ausreichen, die Wirtschaft weniger stark von großen Unternehmen abhängig zu machen. Globalisierte Märkte, transnationale Unternehmen, zunehmende Konkurrenz – das alles kann ein Gerechtigkeitstheoretiker durch die Magie der Normativität offenbar wegzaubern. Dass er sich selbst (und Karl Marx übrigens auch) als Wirtschaftsphilosophen und nicht als Ökonomen bezeichnet, ist symptomatisch für das ganze Buch.

Denn ökonomische Argumente im engeren Sinn liefert Neuhäuser nicht. Gravierender aber: Ganz in der Tradition der Gerechtigkeitstheorien übergeht er, woher der Reichtum eigentlich kommt. Für Neuhäuser ist Leistung – im ungerechten Fall auch Talent oder das Erbe – Grund für Reichtum. Er sagt nicht, dass in den allermeisten Fällen Superreiche selbst Unternehmen leiten oder Anteile halten, das heißt Profite erhalten, die andere Menschen für sie erarbeitet haben.

Anstatt die Ungerechtigkeit also bei der Wurzel zu packen und doch bei Marx anzukommen, entscheidet sich Neuhäuser für die Karikatur ebendieser Analyse. Gerade Friedrich Engels bekommt da im Buch ausschließlich als Erbe eines Unternehmers sein Fett weg. Und der arme Herbert Marcuse wird herangezogen, um zu zeigen, dass Werbung manipulativ geworden ist. Da wird das Buch eindimensional, man könnte sagen flach.

„Wie steht es aber um die Chancen auf eine große soziale Bewegung für mehr sozioökonomische Gerechtigkeit?“, fragt er gegen Ende des Buches, als es um die politische Umsetzung geht. Ihm ist klar, dass es eigentlich einen gesellschaftlichen Aufbruch braucht. Nun, die Antwort wäre leichter gewesen, hätte er im Buch wenigstens einmal die Akteure einer solchen Bewegung anerkannt: arbeitende Menschen und Gewerkschaften. Es gab da mal eine große soziale Bewegung, an die anzuknüpfen sich lohnen könnte.

Info

Wie reich darf man sein? Über Gier, Neid und Gerechtigkeit Christian Neuhäuser Reclams Universal-Bibliothek 2019, 89 S., 6 €

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