Donnerstag, 10 Uhr, Blattkritik: Es geht um den Leitartikel der Juristin Annelie Kaufmann. Sie schreibt, wie wenig Zeit ihr in der Pandemie bleibt, mal nicht Mutter zu sein, sondern Juristin, Freundin, Kaffeetrinkerin. Mir sprach das aus der Seele. Doch dann die Diskussion: Ist es allein die Schuld der Väter, wenn Mütter nicht abgeben können? Müssen die nicht auch lernen, mehr zu delegieren?
Dieser Übermutter-Vorwurf ist nur ein weiterer Pranger für Frauen – und unpolitisch. Es kann nicht Aufgabe von Individuen sein, das gesellschaftliche Ungleichgewicht von Arbeit und Sorgearbeit auszugleichen. Ich möchte mich als Mutter nicht optimieren, es ist Aufgabe der Politik, Regeln des Zusammenlebens zu schaffen, die Müttern Freiräume schaffen.
Weltweit werden 75 Prozent der unbezahlten Arbeit von Frauen verrichtet. Müssten sich die nur entscheiden, mehr davon „abzugeben“? Laut einer Studie des Nationalen Bildungspanels übernehmen im Lockdown die Frauen auch dann die Kinderbetreuung häufiger allein, wenn die beruflichen Lasten und die Heimarbeit-Möglichkeiten beider Eltern gleich sind: Einem Drittel Alleinbetreuerinnen steht kaum ein Zehntel Alleinbetreuer gegenüber. Seit Januar 2021 kann jeder Elternteil 20 Tage Kinderkrankengeld beziehen. Wer wird das wohl häufiger nutzen?
Das Ungleichgewicht in der Arbeit zu Hause ist gesellschaftlich bestimmt. Wer besser bezahlt wird, weil er männlich ist, dessen Lohnarbeit hat eben Vorrang. Die schlechter Bezahlte übernimmt mehr Sorgearbeit. So nimmt alles seinen Lauf.
In der jetzigen Situation will ich mir wirklich von niemandem sagen lassen, ich solle besser delegieren und ab und zu meditieren. Ich benötige keine Yogalehrerin für meinen Seelenfrieden. Der Fehler steckt nicht in meinem Denken als Mutter, sondern im System. Was ich brauche, ist gleiche Bezahlung der Geschlechter, meint auch: Aufwertung „weiblicher“ Berufe etwa in Pflege und Erziehung. Was ich brauche, ist die 32-Stunden-Woche für alle, die Abschaffung des antiquierten Ehegattensplittings, das patriarchale Rollenmuster steuerlich begünstigt. Was ich brauche, ist: Gleichberechtigung. Die brauchen auch die Väter. Sind sie denn glücklich, wenn sie ganztägig abwesend sind?
In der EU zeigt Schweden, wie es besser geht – ganz ohne Yoga. Dort wird Männern die Vaterpause schmackhaft gemacht: Drei Monate des Elterngelds sind nicht auf die Mütter übertragbar. Das Ergebnis sind überdurchschnittliche 42 Prozent an Vätern, die Elternzeit nehmen. Zugleich ist in Schweden die Quote berufstätiger Frauen mit 72 Prozent die höchste in der EU.
Ich muss gar nichts lernen. Ich weiß genug. Die Fähigkeit, die wir Mütter besitzen, an alles zu denken und sich um das Wohl aller zu kümmern, ist großartig. Sie muss nicht weggeatmet werden, sondern bejubelt! Als Vorbild gefeiert. Arbeitende Männer waren lange das Modell für arbeitende Frauen. Nun ist es an euch, Väter: Eifert uns Müttern nach! Wir beherrschen das Multitasking, wir planen vorausschauend, setzen die richtigen Prioritäten – und haben dabei noch meistens gute Laune! Das sind überlebenswichtige Eigenschaften. Um sie zu fördern, bedarf es einer Transformation im Arbeitsleben. Mehr Gemeinwohl, mehr Solidarität. Mehr „wir“, weniger „ich“. Hören wir auf mit den Schuldzuweisungen. Diskutieren wir, wie wir zusammen leben wollen. Und was wir dafür an gesellschaftlichen Bedingungen brauchen.
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Lesen Sie die Erwiderung von Katharina Schmitz auf diesen Debattentext hier
Kommentare 13
"Die Gesellschaft muss" - eine Phrasen die einerseits die frage aufwirft, wer ist diese und anderseits Angst macht. Welche Autorität hat die Aufgabe den Menschen solche Dinge zu vollziehen?
Wer solche Forderungen formuliert, möchte einen autoritären Staat der seine Bürger erzieht. Anstatt auf Entwicklung und dem toleranten nebeneinander unterschiedlicher Lebensmodelle zu setzen, "muss" eines durchgesetzt werden.
Dieses autoritäre Denken ist eigentlich durch die 68er überwunden worden. Wir älteren kennen noch diese Zeit, wo das klassische familienmodell die einzige Option für alle war. Heute darf jeder wie er oder sie möchte. Ich verstehe nicht warum man und vor allem wer das ändern sollte.
Das finde ich sehr interessant. Mir persönlich würde es eher Angst machen, wenn wir nicht mehr daran glauben, dass es Aufgabe der Politik ist, Regelungen zum gesellschaftlichen Leben zu entwickeln und immer wieder auf Aktualität zu überprüfen und umzugestalten, als mich davon bedroht zu fühlen.
Wem will ich die Schaffung von Rahmenbedingungen denn überlassen? Der Wirtschaft? Der Vermögenselite? Der Geldmacht?
Heute kann lange nicht jede/r so wie er oder sie möchte. Die Strukturen sind nicht gleichberechtigt. Die Gesellschaft sind wir alle: weiblich, männlich, queer. Und deshalb benötigen wir Gleichberechtigung und Sichtbarkeit in allen Lebensbereichen. Mehr Möglichkeiten, um das Leben so zu leben, wie wir es individuell entscheiden. Weniger Rollenmuster, mehr individuelle Freiheit. Sehe ich so.
Und das haben wir leider lange noch nicht erreicht. Das zeigt die Statistik ganz eindeutig.
Beispiel: Heute ist Equal Pay Day. 18 Prozent beträgt die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Nach wie vor belegt Deutschland damit einen der hinteren Positionen im EU-Vergleich. Ist das ein Grund zufrieden zu sein und nichts ändern zu wollen? Für mich nicht.
Wir müssen immer wieder auf die Missstände hinweisen und für eine bessere, gleichberechtigte, gemeinwohlorientierte Gesellschaft kämpfen. Das ist für mich das Gegenteil eines autoritären Denkens.
Veränderungen machen mir keine Angst, Stillstand schon.
Ja, wir brauchen mehr Gleichberechtigung. Doch nicht die, die meint Frauen müssen nur 'wie Männer agieren ". Oder gar umgekehrt... Die Politik hat, bis auf die Bildungspolitik, kaum Einfluß. Doch dieser Einfluß wird nicht genutzt - was nicht an dem Einfluss auf die Gleichberechtigung liegt,sondern an dem' Leitungsanspruch'. Wenn schon 'Hammel', dann bitte 'Leithammel' . Es sind, nicht in erster Linie, aber entscheidend, Frauen, die die Verhältnisse bestimmen. Bei der Wahl ihrer Mãnner, Politiker(in) und ihrer (Aus) bildung. Emanzipiert Euch endlich! ALS FRAU!
"Heute ist Equal Pay Day. 18 Prozent beträgt die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern."
Traue nur der Statistik, die du auch selbst interpretieren kannst!
In der Region Ingolstadt verdienen Männer durchschnittlich 36 % mehr als Frauen. Weil es Männer sind?
In Cottbus verdienen Frauen durchschnittlich 17,3 % mehr als Männer, wie übrigens in vielen Teilen Brandenburgs. Weil es Frauen sind?
Es lohnt sich, die Statistiken vertieft anzusehen, denn dann wird man nicht mehr schreien: "Weil da ein Frau beschäftigt ist, verdient sie weniger." Sondern man kommt auf die wahren Ursachen, die man dann hoffentlich adäquat bekämpfen will und kann. Und dann aber so, dass man sich an den oberen Löhne orientiert.
Letztendlich wird das angestrebte Modell der Doppelverdienerehe anstatt Familienlohn auf eine Reallohnkürzung für beide auslaufen. Die Ehepartner werden bei mehr Arbeitsstunden kaum mehr haben als zu den Zeiten, als ein Ehegatte den Familienlohn verdiente. Leidtragende werden die Kinder sein, die zwangsweise fremdbetreut werden müssen und die Angehörigen, die Pflege benötigen, da bei voll berufstätigen Frauen keine häusliche Pflege mehr möglich sein wird.
Viel klüger wäre es, wenn die Sorgearbeit der Frauen von Staat bezahlt würde, finanziert durch Steuermittel.
Aber soweit scheinen die Frauen heutzutage gar nicht denken zu können.
Genau, Ehegattensplitting erstmal abschaffen. Und 40 Stundenwoche in Frage stellen.
Oder dann vielleicht auch einfach die Partnerin den Familienlohn verdienten lassen. Oder beide Eltern arbeiten 30 - 32 Stunden und freuen sich an der gemeinsamen Zeit mit dem Nachwuchs, damit keine/r zukünftig "Leidtragend" ist. Auch nicht die Angehörigen, die sich sicher auch gerne von den Söhnen und Schwiegersöhnen pflegen lassen und nicht nur von den Töchtern und Schwiegertöchtern. Schaffen wir mehr Möglichkeiten für individuelle Entscheidungen und lassen die traditionellen Rollen mal weg.
Finanzielle Eigenständigkeit hilft dann auch beiden Eltern (und Kindern), besonders im Falle einer Trennung oder im Rentenalter.
Ist ihnen klar, wie weltfremd sie argumentieren?
"Die Partnerin den Familienlohn verdienen lassen."
Das kann sie auch mit Ehegattensplitting.
Und wo ist der Vorteil für Familien, wenn der Feuerwehrmann zuhause bleibt, damit die Bäckereifachverkäuferin den Familienlohn nach Hause bringt?
Und sind Frauen wirklich bereit in gleichem Maße Schichtarbeit auszuüben wie Männer?
Stellen wir uns vor, beide Ehegatten sind Gerüstbauer, aber nur einer arbeitet 40 Stunden, verringert aber seine Arbeitszeit auf 32 Stunden woher kommt das zusätzliche Arbeitsvolumen von mindestens 24 Stunden, damit der andere Ehegatte wenigstens teilweise die Lohnverluste des kürzertretenden Ehegatten ausgleichen kann?
Wird der Arbeitgeber nicht geneigt sein, den einen Arbeitnehmer mit 32 Stunden Woche mit einem anderen Arbeitnehmer in Vollzeit zu substituieren?
Sie sehen, daß Modell mit der 32 Stunden Woche für beide Ehegatten ist wenig durchdacht und eher weltfremd. Und geradezu ekelerregend sind diese paternalistischen Allüren mit denen man sich in die Ehen anderer Leute einmischen möchte.
Sollte die SPD das Ehegattensplitting abschaffen,
schafft sie sich ein zweites Hartz 4!
Die Abschaffung des Ehegattensplitting ist ein durch und durch neoliberales und unsoziales Projekt, dessen Folgen die Gesellschaft endgültig entsolidarisieren , die Entität Ehe pulverisieren, die Geburtenraten sinken und und die Löhne weiter niedrig halten wird.
Die Gesellschaft würde so weitreichend und massiv nachhaltig geschädigt, dass die SPD den Vertrauensverlust, den sie duch die Einführung von Hartz 4 erlitten hat, noch überträfe! Die SPD schüfe sich ihr eigenes gesellschaftspolitisches Afghanistan!
@ Saloonleft
Ich verbitte mir die Behauptung, dass Kinder "Leidtragende" sind, wenn sie angeblich "zwangsbetreut" werden. Unsere Kinder sind mit 1 1/2 bzw. 1 Jahr in die Kindergrippe gekommen, weil beide Eltern nahezu voll arbeiten, und es geht ihnen gut und den unverheirateten Eltern auch. Das hat unsere Nachbarin inzwischen auch eingesehen, die jahrzehntelang glaubte, dass eine außerhäusliche Betreuung für Unterdreijährige nicht gut sei. Es kommt tendenziell wohl eher auf die Qualität der Betreuung an: die kann zu Hause gut oder schlecht sein, die kann auch in der Kinderkrippe gut oder schlecht sein.
Bei den "Elternzeitmonaten" habe ich auch immer ein statistisches Problem, das viele Journalisten nicht benennen: erfasst werden lediglich die bezahlten Elternzeitmonate, wobei viele Väter eben wirklich nur die zwei bezahlt bekommen. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie nur zwei genommen hätten. Ich kenne mehrere Väter, die mehr Monate Elternzeit genommen haben, aber nur zwei finanziert wurden. Das können sich allerdings nicht wirklich viele Familien leisten.
Überraschendes Ergebnis der Untersuchungen des Soziologen Martin Schröder (Daten aus Dänemark und USA): "So sind Frauen unglücklicher, wenn ihr Partner die meiste Hausarbeit macht." In: Gehirn & Geist Nr. 04/2021, S. 14. und weiter auf S.18f.: "Überholen Frauen ihre Partner in puncto Gehalt . . . greifen Frauen häufiger zu Mitteln gegen Ängste und Schlafprobleme. [...] Sobald Frauen mehr als ihre Partner verdienen, fangen sie an, zusätzlich Hausarbeit zu machen; gleichzeitig sind beide mit ihrer Partnerschaft unzufriendener . . ." Die Rollenbilder und Normen scheinen tiefer in uns verankert zu sein, als wir glauben.
Die Mutter meiner Kinder musste lernen, die Verantwortung für die Kinder ohne schlechtes Gewissen an mich abzugeben. Hat ein paar Monate gedauert. Jetzt kontrolliert sie mich immer noch, nicht nur, wenn ich koche. Dabei bin ich doch ein "good enough father". Wir lesen angeblich zu viel "Winnetou" (zu viele Tote), schlafen morgens zu lang, die Bettwäsche ist zu dreckig, kommen zu dreckig von draußen rein. Können Mütter auch was von Vätern lernen oder ist das gar nicht nötig, wenn beide ihren Elternjob einigermaßen gut machen?
Dass sie ihre Kinder nicht zwingen in die Kinderkrippe zu gehen unterstelle ich auch nicht! Aber wenn ihre Frau durch eine Steuererhöhung auf ihr Einkommen genötigt ist, zum finanziellen Ausgleich arbeiten zu gehen, dann wird indirekt Zwang auf Sie ausgeübt, die Kinder fremdbetreuen zu lassen! Und nicht jeder möchte das! Und nicht jeder Betreuung ist gut!
Also ist es übergriffig, das Ehegattensplitting abzuschaffen und damit den Bürgern die Wahl zu nehmen!
Und es diskrimiert die Alleinverdienerehen.
"Viel klüger wäre es, wenn die Sorgearbeit der Frauen von Staat bezahlt würde, finanziert durch Steuermittel."
Warum sollte ich als Single fremde Ehefrauen dafür bezahlen, dass sie ihren Männern die Socken stopfen und das Essen kochen? Dafür zahlen sollten doch wohl die Ehemänner, die davon profitieren. Was de facto ja auch passiert, solange die Frau nicht mindestens 50% zum Familieneinkommen beiträgt. Hier von unbezahlter Sorgearbeit zu sprechen, ist genauso unsachlich, als würde man umgekehrt davon sprechen, dass die Frauen auf Kosten ihrer Männer leben. In Wirklichkeit handelt es sich schlichtweg um Arbeitsteilung.
Eine staatliche Bezahlung von Hausarbeit wäre nicht nur ungerecht gegenüber Singles, deren Selbstsorgearbeit jawohl nicht bezahlt würde, sondern auch ein massiver Anreiz für Frauen, sich auf ein Leben als Hausfrau und Mutter zu beschränken. Was das mit Feminismus zu tun hat, ist mir schleierhaft.