Mehr Nixon wagen!

USA Das Land stand schon mal am Rand eines Bürgerkriegs. Es kam der Pragmatiker Richard Nixon. Ein guter Rat an Joe Biden
Ausgabe 03/2021
Mehr Nixon wagen!

Illustration: Ira Bolsinger für der Freitag

Er war ein Opportunist. Seine Anhänger nahmen es in Kauf. Es konnte schließlich kaum noch schlimmer kommen. Das Land, das er regieren wollte, stand vor einem Bürgerkrieg. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren – spätestens nach den Attentaten auf Martin Luther King und Robert Kennedy 1968 – ein gespaltenes Land. In diesem Klima von Gewalt und Hass hatten Demagogen leichtes Spiel. Auf beiden Seiten gab es Scharfmacher und Aufrührer.

Und es gab Richard Nixon, dem das alles herzlich egal war, weil es ihm nur um die Macht ging. Seit den frühen 1950er-Jahren trug er den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Tricky Dicky“, da er in Wahlkämpfen selbst vor Verleumdung nicht zurückschreckte. Ein Mann ohne Prinzipien. Und das war das Beste, was den USA in den späten 60ern und frühen 70ern passieren konnte.

Denn dieses Land brauchte keinen Prinzipienreiter, sondern einen Pragmatiker. Ein Chamäleon wie Nixon. Dieser konnte überzeugend den Kalten Krieger mimen und währenddessen mit der UdSSR ein Abkommen zur Verhinderung eines Atomkriegs auf den Weg bringen. Und alldieweil er in Indochina auf Kommunisten Bomben werfen ließ, knüpfte er zugleich zarte Bande mit dem kommunistischen China.

Auch im Innern funktionierte diese schizophren anmutende Entspannungspolitik. Privat war Nixon stets für einen rassistischen Spruch gut, doch als Präsident setzte er das sogenannte „Busing“ durch: Er sorgte dafür, dass im Süden der USA schwarze Kinder mit Bussen zu Schulen gebracht wurden, die bis dato Weißen vorbehalten waren (wovon die heutige Vizepräsidentin Kamala Harris profitierte). Damit brachte er den US-Senator für Delaware, einen gewissen Joe Biden, gegen sich auf, der das Busing ablehnte. Heute gilt der Republikaner Nixon (und nicht der Demokrat John F. Kennedy) als der Präsident, der am meisten für die Aufhebung der Rassentrennung getan hat.

Zudem verringerte er die Kluft zwischen Oben und Unten. Mit der „Alternative Minimum Tax“ – einer Zusatzsteuer für Topverdiener – erreichte Nixon, dass auch Reiche, die sich bis dahin beim Finanzamt hatten arm rechnen können, Steuern zahlen mussten. Zugleich verbesserte er die Lage von Arbeiterfamilien durch eine negative Einkommenssteuer: Lag das Gesamteinkommen unter einem bestimmten Satz, musste die Familie keine Steuern zahlen, sondern erhielt Zuschüsse. Dadurch hoffte Nixon, die Stimmen armer Arbeiter zu gewinnen. Aus dem gleichen Grund gründete er eine Kontrollbehörde, die die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz verbesserte. Zusätzlich investierte er kräftig ins Bildungswesen und rief ein Alphabetisierungs-Programm ins Leben. Nixon wagte sich sogar an eine Gesundheitsreform, die umfassender war als die von Barack Obama. Doch ausgerechnet die Demokraten bremsten ihn aus.

Bereits 1970 – noch ehe der Club of Rome in seiner Studie Die Grenzen des Wachstums vor einer ökologischen Katastrophe warnte – hatte Nixon die Umweltschutzbehörde EPA gegründet. Diese ging Probleme wie den sauren Regen und die Gewässerverschmutzung an und half, entsprechende Gesetze zu verabschieden. Auch hinter dieser Entscheidung stand purer Pragmatismus. Seine studierende Tochter hatte ihm klargemacht, dass der Schutz der Umwelt jungen Wählern am Herzen lag.

Seine Rechnung ging auf. 1972 triumphierte er bei der Präsidentschaftswahl in 49 von 50 Bundesstaaten und erzielte über 60 Prozent. Dies zeigt, wie beliebt Nixon war. Was er jedoch nicht hatte wahrhaben wollen. Zeitlebens zweifelte er an seiner Popularität und glaubte, durch Tricks dem Erfolg nachhelfen zu müssen. Die Folgen sind bekannt: Watergate, der Rücktritt, die Schmach. Er ging als Schurke in die Geschichte ein – und nicht als einer der besten US-Präsidenten des 20. Jahrhunderts. Darin liegt die Tragik des Richard Nixon.

Die Tragik Amerikas besteht darin, dass Watergate die politischen Erfolge von „Tricky Dicky“ überlagerte. Weshalb sich spätere Präsidenten nicht mehr auf die Agenda Nixons beriefen, sondern eine eigene schufen. Doch das ist eine andere Geschichte – die von Ronald Reagan, Bill Clinton, Joe Biden und dem Neoliberalismus.

Frank Jöricke schrieb den Essayband War’s das schon? und den Roman Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage. Er ist Werbetexter sowie freier Mitarbeiter von Playboy und neues deutschland

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