Mehr Sichtbarkeit für Mörder*innen!

Sprache Täter, Mörder, Räuber: Im Gesetz und vor Gericht kommen immer nur Männer vor. Ist das ein Problem? Ja, meint ein Rechtsgutachten – es könnte sogar gegen unsere Verfassung verstoßen
Ausgabe 01/2022

Liebe Lesende, passen Sie auf: Wenn Sie die nachfolgenden fünf Wörter lesen, kann das umstürzende Effekte auf die Gesellschaft haben: Täter*in, Angreifer*in, Räuber*in, Totschläger*in, Mörder*in! Gelesen? Gut, noch mal: Täter*in, Angreifer*in, Räuber*in, Totschläger*in, Mörder*in! Lesen Sie diese Worte auch ihren Mitbewohner*innen, Freund*innen, Kolleg*innen vor – immer wieder!

Oh Mann! Muss das sein? Absolut! Denn unsere Rechtssprache ist „durch und durch männlich und tut damit allen, die nicht männlich sind, Unrecht“, sagt die emeritierte Soziologieprofessorin Doris Lucke. Aber das soll sich jetzt ändern. Hannover ist schon vorgeprescht. Ein von der Stadt beauftragtes Rechtsgutachten der Berliner Professorin Ulrike Lembke kam zu dem Schluss: Alle deutschen Gerichte müssen gendern. Alles andere ist gegen die Verfassung. Begründung: Das „pseudo-generische Maskulinum“ mache das „marginalisierte weibliche Geschlecht“ strukturell unsichtbar. So unterdrückt die gesellschaftlich dominante Gruppe der Männer die Frauen (=Diskriminierung). Frauen müssten sich ständig mitgemeint fühlen, erläutert das Gutachten, ihnen werde eine „beständige Anpassungsleistung“ abverlangt.

In der Tat ist das eine Leistung, die viele Frauen gar nicht erbringen. Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie im Strafvollzug. Nur die stärksten Frauen schaffen es dort hinein, die meisten scheitern jämmerlich an der berühmt-berüchtigten panzergläsernen Decke. Innerhalb der Gefängnispopulation stagniert die Frauenquote seit Jahren auf schockierend niedrigem Niveau: Nur 5,7 Prozent aller Insassen sind weiblich. Kann denn Sprache daran etwas ändern? „Auf jeden Fall!“, antwortet Doris Lucke, minimal aus dem Zusammenhang gerissen. „Im Zusammenhang mit Terrorismus heißt es: Den Taten gehen immer Worte voraus. Und jetzt plötzlich, wenn es unter anderem um eine frauengerechte Sprache geht, dann soll das alles nicht mehr wahr sein?“

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) schlägt in dieselbe Kerbe: „Sprache transportiert nicht nur Regeln, sondern formt und gestaltet gesellschaftliche Wirklichkeit.“ Nun denn. Wenn das stimmt, dann wird die gendergerechte Gerichtssprache natürlich viele Frauen auf neue Gedanken bringen: Räuber*in? Interessant. Das versuch ich mal. Aber: Wo sollen die ganzen Räuberinnen dann hin? Wie sieht es mit der längst überfälligen Planung von Frauengefängnissen aus? Die Zeit drängt! Die erste Not könnten gegenläufige Effekte etwas mildern: Männer, die momentan mit einer kriminellen Laufbahn liebäugeln, könnten zumindest in Teilen durch Gendersterne davon abgebracht werden. Die lesen „Räuber*in“ und denken dann – fälschlicherweise natürlich – „Scheint nichts mehr für echte Männer sein!“ Aber wie viele werden das sein? Studien dazu sucht man vergebens. Wie soll man so genügend Gefängnisbetten für kriminelle Frauen und Mitglieder der LGBTQ-Community bereithalten? Wo wir schon dabei sind: Das Gutachten sagt auch: „Viele kognitionspsychologische Studien“ belegten, dass die fehlende mentale Repräsentation von Frauen im generischen Maskulinum ein Problem sei.

Jetzt ist die Frage: Funktioniert das auch andersrum? Also bei Männern und generischem Femininum? Ich hätte dazu einen Studienvorschlag: Die Rechtssprache im Bereich Strafrecht verwendet die kommenden zehn Jahre ausschließlich weibliche Formen. Danach einfach mal die Gefängnispopulation checken: Kamen Männer mit der geforderten Anpassungsleistung besser zurecht als Frauen? Oder sitzen im Gefängnis jetzt nur noch weibliche Angreiferinnen, Räuberinnen, Totschlägerinnen und Mörderinnen? Wär’ ja echt ein Ding!

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