Mehr Spaghetti für die Wirtschaft

Geld Das gigantische Manöver der Europäischen Zentralbank gegen die Deflation findet auf der falschen Bühne statt. Nötig sind ganz andere Reformen
Ausgabe 05/2015
Mehr „Sugo“ (Kredite) ohne „Spaghetti“ (Nachfrage) wird nicht funktionieren
Mehr „Sugo“ (Kredite) ohne „Spaghetti“ (Nachfrage) wird nicht funktionieren

Foto: Orlando/Three Lions/Getty Images

Geldpolitik wird aktuell zum Volksschauspiel – hoffentlich auch zum Lehrstück: Die Europäische Zentralbank möchte fehlender Nachfrage, sinkenden Preisen und wirtschaftlicher Depression entgegenwirken und so die Deflation in der Eurozone abwenden. Dazu kauft sie den Geschäftsbanken Staatsanleihen ab, damit diese „frisches Geld“ für Kredite an Unternehmen zur Verfügung haben. Das würde zu mehr Investitionen und neuen Arbeitsplätzen führen; die durch steigenden Konsum anspringende Nachfrage wäre das Ende der Deflation.

Eine gut inszenierte ökonomische Märchenstunde. Denn Ursache der gegenwärtigen Deflationsgefahr ist, dass sowohl private als auch öffentliche Haushalte sparen. Und nicht, dass private oder staatliche Gläubiger zu wenig Möglichkeiten zur Verschuldung besäßen. Die Deflationsgefahr in der Eurozone ist das Ergebnis einer verfehlten Steuerpolitik. Grundsätzlich kann die Geldpolitik die Fiskalpolitik nicht konterkarieren, sondern nur unterstützen.

Mehr Kredite an Unternehmen bringen nichts, wenn die Nachfrage fehlt. Eine effektive Strategie, Deflation zu vermeiden, wäre die Erhöhung öffentlicher Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Gesundheit, Pflege, Bildung und Forschung sowie in der kommunalen Infrastruktur. Das schafft auch bei privaten Firmen Nachfrage, weshalb diese erst einen Anlass hätten, neue Kredite aufzunehmen. Der Wirtschaft mehr „Sugo“ (Kredite) hinzureichen, ohne dass sie „Spaghetti“ hätte (Nachfrage), wird nicht funktionieren.

Christian Felber ist Initiator der Gemeinwohlökonomie, Hochschullehrer für Wirtschaft in Wien und Autor von Geld. Die neuen Spielregeln

Zudem laboriert die „Erzählung“ der Deflationsbekämpfung durch die EZB an einem Schönheitsfehler: Geschäftsbanken können ohnehin eigenständig Geld schöpfen und damit nahezu unbegrenzt Kredite vergeben. Sie benötigen dafür das Zentralbankgeld gar nicht, nur eine minimale Reserve. Denn die Kreditvergabe funktioniert heute so, dass eine Bank auf der Aktivseite ihrer Bilanz eine Forderung gegen den Kreditnehmer verbucht und den Betrag auf seinem Girokonto gutschreibt: auf der Passivseite der Bankbilanz. Dafür braucht sie nur das nötige Eigenkapital und ein Prozent Zentralbankgeld. Der angestrebte Wirkungszusammenhang zwischen dem Ankauf von Staatsanleihen und mehr Krediten an Unternehmen ist also auch technisch nicht sehr schlüssig.

Könnte die EZB ein anderes Ziel verfolgen als jenes, das sie vorgibt? Durch den Ankauf von Wertpapieren aller Art spielt sie das Spiel des Finanzkapitalismus und der Staatsschuldenfinanzierung über Märkte mit. Rentiers aller Art sind die Gewinner. Zudem bleibt die Macht, über die Verzinsung von Staatsschulden zu entscheiden, bei den Märkten. Mit dem Ankauf von Schulden auf den Märkten erhält die Zentralbank eine demokratie- und verteilungspolitische Fehlkonstruktion am Leben.

Steuern auf Vermögen

Es gibt eine Alternative. Fiskal- und Geldpolitik müssten bei den Staatsschulden zusammenspielen und die Märkte dabei außen vor lassen. Schritt eins: Durch eine konzertierte Besteuerung großer Vermögen halbieren die Euro-Staaten ihre Schuldenquote von aktuell 95 auf 47,5 Prozent ihres BIP. Die privaten Vermögen sind heute rund fünfmal so groß wie die Staatsschulden – würden sie zehn Jahre lang mit je einem Prozent besteuert, würde dies die Staatsschulden halbieren. Zweiter Schritt: Die EZB kauft ab sofort sämtliche neuen Staatsanleihen am „Primärmarkt“, also direkt bei der Ausgabe. Zinsfrei. Dieses Langfristprogramm ist auf 50 Prozent des BIP beschränkt, höher dürfen sich Staaten nicht verschulden, sonst wird die neue Spielanordnung zu einer Inflationsmaschine. Wenn die letzten noch am Markt aufgenommenen Schulden in 30 Jahren auslaufen, dann wird dieser Markt geschlossen. Künftig spielen nur noch souveräne Staaten und deren Zentralbanken zusammen.

Deutschland würde sich so den jährlichen Zinsendienst von 60 bis 70 Milliarden Euro sparen und könnte das Geld sinnvoller verwenden – für Investitionen: Damit ließe sich Deflation effektiv abwenden. Wenn zudem keine Staatsschuldenkrisen mehr auftreten können, weil die Finanzierung den Märkten entzogen wurde, entfällt auch der Entstehungsgrund für Deflation: die kontraproduktive Austeritätspolitik, um vorgeblich die Krise zu bekämpfen.

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