Mein Feldzug ist meine Sprache

STEVAN TONTIC Der Schriftsteller Stevan Tontic über seine Flucht aus der Kriegshölle auf dem Balkan, die Sprachlosigkeit zwischen den Teilen Ex-Jugoslawiens und warum er in Gedichten nicht lügen kann
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FREITAG: Es herrschte schon fast ein Jahr Krieg in Sarajevo, als Sie sich entschlossen, die Stadt zu verlassen. Warum haben Sie so lange gezögert?

STEVAN TONTIC: Ich wusste schon am Anfang, es kommen gefährliche Zeiten. Aber ich habe mich einfach geschämt, besonders vor meinen Freunden. Nach ungefähr zehn Monaten war es dann nicht mehr auszuhalten. Ich stand vor der Einberufung in die bosnisch-muslimische Armee. Ich wollte weder bei Serben noch bei Moslems als Soldat oder überhaupt dienen. Manchmal haben mich moslemische Freischärler malträtiert: ich musste an die vorderste Linie der Front und Unterschlüpfe für die Soldaten graben. Das war lebensgefährlich. Ich bin geflohen. Habe also illegal die Stadt verlassen, was ich nicht durfte. Dann b