Mein Problem mit Minaretten

Selbstbefragung Bloggerin Klara hat eine Community-Debatte ausgelöst. Sie fragt sich: Können nur Rechte das Unbehagen am Islam nachvollziehen? Dann wäre ich ja eine

Offenbar haben auch und gerade Feministinnen und linksaufgeklärte Frauen gegen die Schweizer Minarette gestimmt. Ich überlege gerade: Ob ich feministisch bin? Keine Ahnung. Ob ich links bin? Naja, „irgendwie“ wahrscheinlich. Ob ich aufgeklärt bin? Tja… halbwegs? Von wem? Womit?

Einigermaßen sicher scheint mir nur: Ich bin eine Frau. Und sicher ist auch: Ja, ich habe ein Problem mit Minaretten in meiner unmittelbaren – also westeuropäischen, deutschen, Berliner Umgebung. Ich meine das so, wie ich es schreibe: Ich habe ein Problem. Liegt das Problem nur bei mir – oder auch bei den Minarettbauern?

Bei der mehr oder weniger öffentlichen Debatte um die jüngste Schweizer Abstimmung im „Minarettstreit“ werden wieder mal so viele Dinge vermengt und Ebenen durcheinandergebracht, dass man kaum noch durchblickt. Munter oder gutmenschlich, sachlich oder verdeckt aggressiv. Auch in der hiesigen, der irgendwie linken Freitagsdebatte: Emotionen, Sozialisationen, Gesetze, Politik, Frauen, Kirchen, Glauben, Kulturen, Schulen... Die berüchtigten„diffusen Ängste“ zum Beispiel haben natürlich immer nur die anderen, „das dumpfe Volk“. Dabei dient wieder mal die Juristerei als Balancierstange für das Nachdenken über Integration und gesellschaftliches, staatlich organisiertes Leben, über ZUSAMMENleben (oder wenigstens erstmal nicht GEGENEINANDERleben). Das Baurecht - ausgerechnet! Das Schweizer Volk hat übers Baurecht abgestimmt. (Wer ist das Volk? Wer darf bestimmen? Was macht eine Nation zu einer Nation? Wie global ist der Mensch? Wie lokal darf die Kultur und die mit ihr permanent vermischte Religion sein?)

Und wieder mal kocht ein jeder sein mehr oder weniger politisch korrektes Süppchen damit, gewürzt mit Halbwissen, Abwehrreflexen, Idealen, Gruppenzugehörigkeiten, musts und don’ts, und bläst ins politisch mehr oder weniger korrekte Horn. Insbesondere unter „linken“ „Aufgeklärten“ ist verpönt, ein Problem zu haben mit diesem Problem. Man darf ein Problem mit dem Papst haben – aber nicht mit Minaretten.(Und schon gar nicht mit Synagogen.)

Annas Text über die Multi-Kulti-Schule hat zum Beispiel interessanterweise kein Problem mit Minaretten– und postuliert dies, als ein grundsätzliches Kein-Problem-Haben – für die gesamte Schüler-, Lehrer- und Elternschaft. Als Modell. Aufgeklärt und links und menschenfreundlich menschlich ist man nur, wenn man kein Problem mit Minaretten hat.

Ich fühle mich in Bedrängnis. Mir ist mulmig, nicht nur rational-aufgeklärt wegen des Schweizer Abstimmungsergebnisses, sondern diffus. Ich zwinge mich und prüfe mich – und stelle fest: Ich kann das Unbehagen gegen Minarette zumindest, der Herr im politisch korrekten Himmel vergebe mir, nachvollziehen. Und schon habe ich - ein Problem. DAMIT.

Selbstverständlich habe nichts DAGEGEN, wenn jemand seine Religion ausübt, mir ist egal, wer an was glaubt, wenn es nicht die Ausrottung der Menschheit ist. (Ich wüsste nicht mal, ob und wenn ja woran ich selbst glaube, aber das ist wieder ein anderes Problem unserer säkularen Gesellschaft.) Mir ist bewusst, dass ich keinen Einfluss auf „den Islam“ und dessen „Frauenbild“ habe, dass jedoch „der Islam“ einen immer größeren Einfluss auf politische Entscheidungen in „unseren“ ursprünglich christlichen Weltgegenden erhält – und sei es als Negatives: Man muss sich abgrenzen. Oder gegen die Abgrenzung abgrenzen. Gesetze greifen nicht mehr. Nationale Reflexe auch nicht. Wo ist mein Problem?

Ein Teil davon: dass ich kaum eine Möglichkeit habe, das Problem zu äußern, ja auch nur gedanklich zu durchdringen. Zu viele rote Ampeln blinken, zu viele Einbahnstraßen locken, zu viel üble Gesellschaft lagert am Wegesrand mit ihren Pamphleten. Ich befinde mich auf Glatteis, weil dieses zunächst individuell-unklare Problem, das ich habe, sofort instrumentalisierbar wird. Mit meinem Problem stehe ich in einer Ecke, in die mein Problem, denke ich, gar nicht gehört. Das Problem DABEI wiederum: Als Nichtgeäußertes wird es erst Recht instrumentalisierbar. Von eben jenen Populisten und Demagogen, die uns diese Wiederauflage der Multikulti-Debatte eingebrockt haben, diese Neonationalisten, diese Verfechter eines Status Quo, den es nie gab. Diese hehren Verteidiger einer imaginierten, idealisierten "europäischen" Kultur.

Ein großes Problem, das ich mit der Angelegenheit habe, ist, dass man sich automatisch selbst zensiert, sein Problem nicht wahrnehmen darf. Damit man nicht anti-irgendwas oder pro-nationalistisch-irgendwas „ist“. Halbwegs westlich aufgeklärt wie ich bin, meine ich aber: Es ist gerade im Sinne eines guten Zusammenlebens absolut notwendig, dass man offen bleibt für Wahrnehmungen. DIE JA DA SIND.

Meine ganz persönliche spontane Wahrnehmung, ein Gefühl, oder eher ein Impuls: Ich möchte keine Gebetsrufer in meiner Nähe. Ich möchte nicht fünfmal am Tag zum Gebet gerufen werden und auch nicht hören müssen, wie andere gerufen werden. Ich finde das aufdringlich. Ich finde nicht, dass ich das gut finden muss. Und ich finde auch nicht, dass ich dieses Nichtgutfinden wegdrücken muss. Das ist erstmal mein Problem.

Wo beginnt Religionsfreiheit – und wo hört die Religionsausübungsfreiheit auf?

Ich möchte auch nicht, dass in den Klassenräumen meiner Kinder Kreuze mit blutenden Jesussen hängen, dass sie von Nonnen unterrichtet werden, dass sie dazu aufgefordert werden, keinen Sex zu haben, bevor sie heiraten. All das möchte ich nicht. Katholiken tun es. Abernicht direkt vor meiner Nase, nicht im unmittelbar öffentlichen Raum. Ich kann mich (und meine Kinder) davon fernhalten. Ich frage mich: Muss es Gebetsräume in Schulen geben?Wie viel Einfluss soll, darf, muss die nicht christliche Art, die Religion auszuüben, auf die in historisch christlich geprägten Ländern liegenden weltlichen Schulen und Räume einer überwiegend nicht-islamischen Gesellschaft haben? Was ist mit der Trennung von Staat und Kirche, mühsam genug errungen? Von Lernen, Wissen – und Glauben?

Religionsfreiheit heißt auch: Frei sein können von Religion. Religionsfreie Räume.

Wie privat ist Religion? Wie öffentlich muss sie sein – und darf sie sein? Sind in jedem Land alle Religionen gleich zu behandeln? Oder gibt es bestimmte nationale Eigenarten, Kulturen, die dominant sind? Und das sein sollten? Gerade um des lieben Religionsfriedens willen?Das sind keine rhetorischen Fragen!

Alle Religionen sind gleich viel wert. Aber es sind nicht alle Religionen gleich. Und es haben auch nicht alle Religionen überall die gleiche Bedeutung. Müssen sie das?

Was bedeutet Toleranz? Ab wann werde ich gezwungen, meine Toleranz in Akzeptanz zu verwandeln – obwohl ich etwas überhaupt nicht akzeptiere. Ich akzeptiere einfach nicht, dass Männer über Frauen bestimmen sollen, nur weil sie Männer sind. Dass sie darüber bestimmen können und wohl sogar müssen, ob eine Frau außerhalb arbeitet, aus dem Haus gehen darf etc. Es ist noch nicht allzu lange her, dass der bundesdeutsche Ehemann zustimmen musste, bevor seine Gattin den Arbeitsvertrag unterzeichnen durfte… Nun darf sie. Muss es sogar selbst tun. Frauen sind – dem Gesetz nach – in Europa gleichberechtigt.Gilt dieses Gesetz für alle Frauen, die hier leben - oder definiert der Pass, die nationale (ethnische?) Zugehörigkeit die Gültigkeit? Wo ist die Grenze zwischen notwendiger Toleranz - und Nichthinnehmbarkeit? Verschiebt die sich immerzu? Das sind zum Teil juristische Fragen, die aber sofort das Gesetzwesen überfordern, weil Gesetze immer nur Krücken sind, hinkende Versuche, das Zusammenleben der vielen zu regeln: Darf ein Mann in Europa seiner Frau vorschreiben, ob sie erwerbstätig wird?Und wenn ja, wenn ich das schon - zähneknirschend - tolerieren muss:Muss ich das akzeptieren?

Ich akzeptiere nicht, dass Männer Frauen nicht die Hand geben. Meine Mutter, einst Hausärztin, erlebte das oft, sie arbeitete im Wrangel-Kiez, tiefstes türkisches Berlin-Kreuzberg. Sie kam als Ärztin in die Wohnungen der Patienten – die sich weigerten, ihr die Hand zu geben. Der türkische Vater wollte, dass sie sein krankes Kind heilt - doch die Hand gab er ihr nicht drauf. Effekt: Man fühlt sich dreckig, nur weil man eine Frau ist. Muss ich das akzeptieren? Im konkreten Fall natürlich – aber nicht als solches.

So hängt am Minarettbau eine ganze Assoziationskette, eine Debatte darüber, wie wir in einer multireligiösen Gesellschaft vernünftig leben können.

Tolerieren kann man immer viel. Aber akzeptiereich, wenn Schulfreundinnen der Kinder nicht zum Schwimmen oder auf die Klassenfahrt dürfen? Tolerieren muss ich das wohl oder übel. Akzeptieren? ANNEHMEN? Nein. Ich muss damit irgendwie umgehen. So wie Muslime mitmeinen nicht muslimischen Sitten irgendwie umgehen müssen. Aber... – das ist eben nicht das gleiche.

(Es geht hier nicht um Glück und dessen Vermutungen. Auch nicht um Glauben. Es geht um Grundlagen des Zusammenlebens, im Kleinen wie im Großen. Die im Grunde den Frieden sichern.)

Es ist ein Prozess. Der wird dauern. Und alle Beteiligten werden sich und ihre Haltungen innerhalb dieses Prozesses verändern (müssen). Auch die Minarettbauer. Auch die Minarettbekämpfer.

Nun weiß ich immer noch nicht: Bin ich feministisch? Bin ich links? Bin ich politisch korrekt? Und ob das wichtig ist? Unerlässlich ist, meine ich, die stete Selbstbefragung: Wasvon all dem, das ich gerade geschrieben habe, ist bedingt durch meine (politisch korrekt unterdrückten) Vorurteile und Ängste?Ist es möglich, diese Ängste zu artikulieren, ohne den Dialog zu gefährden? Wie machen wir das möglich?

Und ich habe eine Ahnung: Je transparenter (auch: kritischer, skeptischer, sich selbst gegenüber misstrauischer) man Dinge, auch „diffuse Ängste“ wahrnimmt und äußert, desto mehr echter Dialog, desto mehr echte Toleranz sind möglich – und desto eher akzeptiert man jene Ängste und Vorbehalte auch bei anderen, die dann eben nicht mehr "die Anderen" sind.

Toleranz ist simpel, vergleichsweise billig zu haben.Toleranz hilft erstmal, um überhaupt ins Gespräch zu kommen. Aber dann - muss man auchreden.


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