Mein Wald

Projektionsfläche Industrielle Holzernte und kompensatorische Reservatisierung – nicht nur wenn er brennt, hat der Wald brenzlige Probleme
Ausgabe 31/2018
Unser Wald ist so wenig natürlich wie unsere Gesellschaft kultiviert
Unser Wald ist so wenig natürlich wie unsere Gesellschaft kultiviert

Foto: Blickwinkel/Imago

Wenn es um irgendetwas mit Wald geht, wird von einem Teil des Journalismus unverdrossen der Deutschen mythisches Verhältnis zu selbem aufgerufen. Das ist zwar entschieden weniger brandgefährlich, als im Wald Zigarettenstummel wegzuwerfen, aber ähnlich gedankenlos. Schon Ende des 20. Jahrhunderts hatte der Volkskundler Albrecht Lehmann das Verhältnis der Deutschen zum Wald in einer groß angelegten Studie untersucht, derzufolge allenfalls noch Druiden und Neuheiden jenes angeblich urmystische Verhältnis zum Wald hatten. Für die allermeisten ging es damals mit dem Auto, wenn nicht in den, zumindest zum Wald.

Die Realität des Waldes sieht heute so aus: Auch wenn er – wie meistens – gerade nicht brennt, hat er brenzlige Probleme. Nein, er ist nicht gestorben und wird es so schnell auch nicht. Im Gegenteil, industrielle Holzernte und kompensatorische Reservatisierung stehen dafür. Wie es beim Wirtschaften in komplexeren Gesellschaften so ist, so auch im bewirtschafteten Wald – divergierende Interessen der vielfältigsten Art konkurrieren miteinander. Das, was die Wandersfrau oder der Waldbadende aufsuchen, ist ja zu ungefähr 90 Prozent kein Ur- oder Naturwald, sondern ein Gebilde, das seit nahezu zweihundert Jahren vorzugsweise nach Festmetern berechnet wird. Heidegger sah es in den Fünfzigern bereits so: „Der Forstwart, der im Wald das geschlagene Holz vermißt und dem Anschein nach wie sein Großvater in der gleichen Weise dieselben Waldwege begeht, ist heute von der Holzverwertungsindustrie bestellt, ob er es weiß oder nicht. Er ist in die Bestellbarkeit von Zellulose bestellt, die ihrerseits durch den Bedarf an Papier herausgefordert ist, das den Zeitungen und illustrierten Blättern zugesellt wird. Diese aber stellen die öffentliche Meinung darauf hin, das Gedruckte zu verschlingen, um für eine bestellte Meinungsherrichtung bestellbar zu werden.“

Der Meinungskampf ist im Wald unauflöslich mit dem Mein-dein-Kampf verquickt. Holzwirtschaftler gegen Tierbewirtschafter, auch -schützer, möglicherweise in derselben Person. Kaum minder als gegen den Borkenkäfer, kämpfen wiederum beide gegen rabiate Waldschädlinge wie Mountainbiker oder Reiterkavalkaden. Leute, die weder von Natur noch Waldbau Ahnung haben, gehen beim Reizwort Kahlschlag auf die Bäume, um deren Existenz notfalls mit ihrem eigenen, ansonsten so wenig bedeutenden Leben zu verteidigen. Geradezu bettelnd wandte sich unlängst der Bund Deutscher Forstleute an die Öffentlichkeit, um zag darauf hinzuweisen, dass der Wald nun mal neben der Schutz- und Erholungsfunktion auch eine Nutzfunktion habe.

Und dann wären da noch das edle Getier und seine angeblich unedlen Nachsteller. Unterm Druck der Nachhaltigkeitsgebote und eines „humanen“, qualfreien Tötens ist die Jagd längst Gegenstand höchstausdifferenzierter Verwaltungssysteme, so komplex, dass der Jagdschein eben nichts für Idioten, sondern nur etwas für finanziell wie lebenszeitlich betuchte Nervenstarke und entsagungsvoll Lernbereite ist.

Lassen wir’s dabei. Unser Wald ist so wenig natürlich wie unsere Gesellschaft kultiviert. Vertrauen wir auf die wundersame Regenerationskraft des Waldes nach Bränden wie nach Stürmen, befördert durch diejenigen, die dazu ausgebildet sind. Begegnen wir diesen daher dankbar mit jener kultivierenden Zivilität, die wir im Straßenverkehr oder in den Internet-Foren längst nicht mehr aufbringen.

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