Bei manchen Büchern erschließt bereits ein Blick auf den Umschlag die Richtung der Gedankengänge. Viviane Forresters Buch Die Diktatur des Profits zeigt eine hektische, aufsteigende Zickzack-Kurve, wie sie in den letzten Jahren auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen tausendfach zu sehen war. Der Einband ist in rot gehalten, aber die Kurve lodert in gelb. Generalaussage ihres Werkes: Die derzeitige pure Orientierung auf Gewinn ist ein Spiel mit dem Feuer. Bei Smart Capitalism - Das Ende der Ausbeutung von Matthias Horx dagegen lebt der Umschlag - wie könnte es anders sein - von einem Logo. Im seinem Herzen prangt ein roter Stern mit einem @-Zeichen in der Mitte. Generalaussage: Die neue Wirtschaft schafft jenes »goldene Zeitalter«, das die Kommunisten immer nu
munisten immer nur versprochen haben. Die Lektüre der beiden Werke zeigt schließlich, dass man exakt das bekommt, was die Graphik suggeriert. Das klingt zugegebenermaßen nicht besonders aufregend. Dennoch lohnt die Beschäftigung mit Forrester und Horx, denn beide bilden mit ihren einfach gestrickten und eingängigen Auffassungen so etwas wie die Pole der herrschenden Meinungsskala zum Thema Globalisierung.Viviane Forrester ist eine Pariser Schriftstellerin und Literaturkritikerin. Vor fünf Jahren legte sie ihr erstes politisches Buch vor, dem sie den immens verkaufsfördernden Titel L´horreur économique (Der Terror der Ökonomie, Freitag 3/98) gab. Es handelte sich um eine Anklage gegen die Globalisierung mit der impliziten Tendenz, sich in eine verklärte Vergangenheit zurückzusehnen. Matthias Horx dagegen entstammt dem Umfeld der Frankfurter Sponti-Szene und orchestrierte in den achtziger Jahren in der von Daniel Cohn-Bendit begründeten Zeitschrift Pflasterstrand die Abkehr der Spontis vom Linksradikalismus. Schon damals bereitete der Soziologe die 68er auf ein vermeintliches Paradies vor - auf dem Gebiet der Werte, lautete der Tenor, habe die Revolution tatsächlich stattgefunden. Seitdem ist für Horx die Geschichte beendet und konsequent hat er sich ganz der Zukunft verschrieben. Angeblich widmet sich der »Trendforscher« - derweil Leiter eines »Zukunftsinstitutes« - der Untersuchung des Kommenden. Tatsächlich jedoch verklärt er die Zukunft implizit ebenso wie Frau Forrester die früheren Zeiten.Die Diktatur des Profits verhält sich zum Terror der Ökonomie wie der erste Teil von Jurrassic Park zum zweiten. Das Konzept war erfolgreich, also wird noch mal nachgelegt. Mag sein, dass man vom anklägerischen Pathos auf den ersten zehn Seiten noch durchaus beeindruckt ist. Auf Seite 20 jedoch läßt sich ein Gähnen kaum noch unterdrücken. Wenn auf Seite 50 dann immer noch im exakt gleichen Tonfall angeklagt wird, versetzt das Forrestersche Mantra den Leser schlicht in Trance: »Fiasko«, »Entlassungen«, »Manipulation«, »Betrug«, »Verschlechterung«. Vivianne Forresters Hauptfeind ist eine politische Richtung, die sie als »ultraliberale Ideologie« bezeichnet. Diese Ideologie hat es, wie sie meint, geschafft, sich im Mantel der quasisoziologischen Diagnose »Globalisierung« unsichtbar zu machen. Es handelt sich um eine »Politik, die ihren Namen nicht nennt«, und ihre Ergebnisse gelten derweil als anonymes Schicksal. Dieses teuflischen Arrangement ist absolut zirkulär und dicht: »Der Wettbewerb ist nur ein abgekartetes Spiel zwischen denen, die vorgeben, er sei ihnen aufgezwungen, wobei er jeder versichert, daß er ihm von genau jenen aufgezwungen wird, mit denen er sich in Wahrheit gut versteht - auch darin, daß weitergemacht wird.«Forrester setzt dagegen auf die Befreiung aus dem »Halseisen der Propaganda«. Sie besteht darauf, dass die sogenannte Globalisierung das Ergebnis von zumeist korporatistisch getroffenen politischen Entscheidungen war - und kein Naturereignis. Diese Politik ließe sich daher auch analysieren. Allerdings tut sie genau das nicht. Zweifelsohne sind Staaten nicht durch Zufall Spielball der »Globalisierung« geworden - die Vertreter des Volkes haben diesem Prozess den Weg geebnet. Allerdings sagt sie an keiner Stelle, welche politischen Kräfte beteiligt waren und wann solche Entscheidungen gefallen sind. Politische Ökonomie ist ihr Metier sicher nicht. In einer Mischung aus typisch französischer Politikgläubigkeit und appellativem Humanismus will sie die Menschen aus den Fängen eines angeblichen Schicksals retten. Dabei hat sie wenig mehr zu bieten als die Aufforderung zum Widerstand. Und im Hintergrund erklingt die Melodie einer Zeit, in der die Erwerbsarbeit dem Leben noch einen Sinn verlieh und die Schule noch wirklich laizistisch war. Und Viviane Forrester über van Gogh schrieb.Für den Horxschen Smart Capitalism ließe sich zweifelsohne ein ähnliches Lektüreerlebnis beschreiben, allerdings lautet sein Mantra: »Netzwerk«, »access«, »Spaß«, »Skills«, »Smarts«, »next economy«, »win-win«. Horx feiert den »wirklichen, lebendigen Markt«, indem er allerlei Sinnsprüche aus Management-Ratgebern aneinander reiht. »New Capitalism schafft lustvollen Druck«, heißt es da, und: »Erfülltes, kreatives Leben ist immer stressig«. Während Forrester das Recht auf Arbeit einfordert, stellt Horx fest: »Die Sphäre der Erwerbsarbeit breitet sich auf unser gesamtes soziales Universum aus«. Während sie die USA als gelobtes Land des Neoliberalismus auseinander nimmt, ist Horx begeistert von den Welfare-to-Work-Programmen. Vor guter deutscher Spießigkeit (»Glück ist die Fähigkeit, das wollen zu können, was möglich ist!«) schreckt er ebenso wenig zurück wie vor anthropologischen Rechtfertigungen (»Die Furcht vor dem Markt ist die Furcht vor dem Leben.«) oder vor barem Unsinn (»Wem gehören die Produktionsmittel? Im Talentismus gehört das entscheidende Produktionsmittel - das Talent - dem Individuum.«). Dass die »New Economy« doch recht unsanft gelandet ist, interessiert Horx überhaupt nicht - er spricht bereits im Namen der »next economy«.Dass Horx ein lächerlicher Ideologielieferant ist, wäre vielleicht nicht mal so tragisch, wenn er denn irgendwelche brauchbaren Beschreibungen liefern würde. Kürzlich erschien auf Deutsch das Buch des US-amerikanischen Wirtschaftsjournalisten David Brooks über die »Bobos«, die neue »Bildungselite«. Auch Brooks liebt das Objekt seiner Studie und zählt sich gar selbst dazu. Doch sein Buch war voll von interessanten Beobachtungen. Bei Horx findet sich nichts derartiges. In seiner typisch deutschen Harmoniesucht erzählt er Märchen über das perfekte Funktionieren der neuen Ökonomie - nicht einmal interne Probleme werden erwähnt. Tatsächlich ist innerhalb der »New Economy« die Unzufriedenheit gewachsen. So schrieben kürzlich Mitarbeiter in den USA das sogenannte »Cluetrain-Manifest«, in dem sie sich beschwerten, dass das Gerede über flache Hierarchien letztlich nur der Bemäntelung einer neuen Kommandostruktur diene. Zudem funktioniert ein Großteil der Wirtschaft hierzulande immer noch nach ganz traditionellen Maßstäben.Horx und Forrester sind die Extreme, die sich berühren - wie im Klischee. Von Analyse in beiden Büchern keine Spur. Der Leser kann wählen: Auf der einen Seite der speichelleckerische Vorgriff auf eine in absurden Farben leuchtende Zukunft, auf der anderen der anklagende Rückgriff auf eine ebenso absurd verklärte Vergangenheit. Wie wärs mit einem echt kontroversen Talk - moderiert von Maybritt Illner?Viviane Forrester: Die Diktatur des Profits. Hanser-Verlag, München 2001, 210 S. 35,- DMMatthias Horx: Smart Capitalism - Das Ende der Ausbeutung. Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 2001, 203 S, 44,- DM
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