Menno, Vergänglichkeit, nix Turnen!

Schiller Wie Friedrich Schiller eine Werbeagentur verwirrt oder warum nicht alles Schöne anmutig ist

Anmut, Würde und Ballett sind schön, aber schwierig. Über Anmut und Würde heißt ein kniffliger Essay, den Friedrich Schiller 1793 schrieb. In sechs Wochen – ein Affentempo für so einen Schriftsatz vor Erfindung der Schreibmaschine. Grund der Eile: In Schillers Plänen zur Zeitschrift Die Horen klaffte ein Loch. Der Essay geriet trotz Zeitdruck so präzise wie ein Uhrwerk.

Ebenfalls in Eile befindet sich bestimmt manchmal der Geschäftsführer der Werbeagentur „Lawinenstift“. Stefan L. textet selbst, wenn die Weberbank Actiengesellschaft einen Slogan braucht. Diese Berliner Privatbank sponsert Kulturgüter, unter anderem das Staatsballett Berlin. Die Spielpläne des Staatsballetts bestückt die Bank mit Werbe-Banderolen.

Die Oktober-Banderolen gingen mit einem Schiller-Zitat raus, weil das Staatsballett gerade ins Schillertheater in der Bismarckstraße umzieht. Schiller machte sich in diesem Zitat, so scheint es, so seine Gedanken über Gelenkigkeit: „Anmut ist eine bewegliche Schönheit.“ Der Satz klingt fast, als stamme er von einem Autohersteller. Oder doch wenigstens von einem Werber avant la lettre.

Keine Ballerina

Unterm Zauberspruch steht jedoch zu lesen: „Friedrich Schiller (1759-1805)“. Die Daten stimmen. Aber stimmt der Sinn? „Anmut ist eine bewegliche Schönheit.“ Das ist von Schiller und ist es nicht. Der Klassiker wird unzulässig verkürzt, also falsch zitiert. O böse Vereinfachung! Im Ganzen besehen, hat Schillers Ansicht von Anmut deutlich einen anderen Sinn: „Anmut ist eine bewegliche Schönheit; eine Schönheit nämlich, die an ihrem Subjekte zufällig entstehen und ebenso aufhören kann.“ Da ist klar: Schiller sagt „bewegliche Schönheit“ und meint – „flüchtige Schönheit“. Vergänglichkeit triumphiert, nicht Turnen!

Mit dem Nussknacker oder Schwanensee hatte Schiller nichts zu tun. Auch Ballerinen wie Marie Taglioni und Carlotta Grisi traten erst Jahrzehnte nach ihm auf. Und dass er in Eile war, als er über Anmut schrieb, ist kein Alibi, ihn zu verfälschen. Darf man von einer Werbeagentur nicht etwas mehr Sorgfalt im Umgang mit Bildungsgut erwarten? Was kommt als nächstes? Lawinenstift nennt Marken wie die Super Illu als Kunden. Da wird vielleicht weniger auffallen, wenn Goethe wieder einmal am Bahnhof wandelt oder Kleist zu einem Autor des Mittelalters gemacht wird. Und Schiller? Erfand der nicht ein Fisch-Gericht? Die Weberbank wollte sich leider nicht offiziell äußern. Und ließ sich auch mehrfaches Nachfragen ein erklärendes Statement entlocken. Der Geschäftsführer weilte auf Nachfrage unerreichbar auf einer Messe. Von neuen Schindluder-Pirouetten mit Schiller wird jedoch an dieser Stelle dringend abgeraten! Denn irgendwo hört Werbung auf und fängt Volksverbildung an.

PS.: In der November-Banderole wurde auf das Zitat eines berühmten Autors verzichtet. Schlicht steht da: „Märchenhaft schön!“ Mit Schiller könnte man dagegen halten: „Aber nicht alles Schöne ist Anmut!“

Gisela Sonnenburg schreibt gerne über Ballett und Kulturkritik

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden