Neuzugänge im Wörterbuch der politischen Rede sind, wie manche Küchenmesser, zweischneidige Sachen. Meistens handelt es sich um Anglizismen oder Neologismen, und meistens kommt das Neue von progressiver Seite. Wer bewahren will, bedient sich dagegen des Bewährten – oder benutzt das Küchenmesser als Waffe. Dann wird gerne „Kampfbegriff“ genannt, was sich als diskursiver Bumerang erweist und scharfkantig zu den Urhebern zurückkehrt.
Dabei bezeichnen „Political Correctness“ oder „woke“ eigentlich Altbekanntes, Begrüßenswertes. Was wäre gegen Anstand und Einsicht in unterschiedliche Formen der Benachteiligung einzuwenden?
„Lifestyle-Linke“ aber ist ein schleichendes Giftgas, das, in den eigenen Rei
n den eigenen Reihen freigesetzt, nur die eigenen Truppen auseinandertreibt. Es ist ein ungelenker Begriff und schnell auseinandergenommen. Was soll „die Linke“ sein, wenn nicht ein höchst heterogener Haufen? Wo bleibt der polemische Stachel des modischen „Lifestyle“, wenn man ihn ins Deutsche übersetzt und schlicht von Lebensstil spricht?Das Feindbild ist jetzt grünLästig ist höchstens, dass die „Lifestyle-Linke“ als politischer Kampfbegriff in Umlauf gebracht worden ist – von einer Linken selbst, als die Sahra Wagenknecht dann doch einzuordnen ist, auch wenn manche Linke widersprechen würden, womit wir bereits mitten in der Bredouille wären.Interessant ist immer die Gegenprobe. Von einer „Lifestyle-Rechten“ hat man noch nie etwas gehört, auch wenn dieser Lebensstil hie und da durchaus gepflegt wird. Noch weniger hätte man davon gehört, dass Rechte Rechten jemals vorgeworfen hätten, sie seien keine richtigen Rechten, sie fänden nur die Insignien des Neoliberalismus schick.„Lifestyle“ meint etwas Aufgenommenes, Angenommenes. Kein „echtes“ Leben, wie es angeblich am Fließband die Arbeiterin noch führt und der Gewerkschaftsfunktionär schon nicht mehr. Es meint einen flüchtigen Stil, wie er gerade schick und zusätzlich opportun ist.Über Jahrzehnte hatte diese selbstgefällige Haltung tatsächlich bei der Linken ihre Adresse. In den USA waren ihre Vertreter als „limousine liberals“ bekannt, in England als „champagne socialists“ und in Frankreich als „gauches caviar“. In Deutschland war es der vermeintliche „Kommunist“, der im bourgeoisen „Salon“ seine revolutionären Reden schwingt – ohne, ganz wichtig, sich jemals „die Finger schmutzig gemacht zu haben“.Dieses aufreizende Feindbild des Establishments hat inzwischen Farbe und Partei gewechselt. Es schwingt nun ökologische Reden und steht selbst unter Verdacht, bereits die Zügel in der Hand zu halten.Und genau auf diese Haltung zielt denn auch die gegenwärtige Kampagne, die schon länger von reaktionärer und nun auch von konservativer Seite gegen die grüne Kanzlerkandidatin betrieben wird. Für eine Weile (und aus einer möglicherweise mehrheitsfähigen Perspektive) sah es so aus, als hätten die Grünen Vernunft und Moral auf ihrer Seite. Vernünftiges ist vom bewahrenden Gegner kaum anzugreifen, Moralisches dagegen umso leichter – erst recht, wenn das „Gute“ als politische Größe so offensiv ins Spiel gebracht wird, wie die Grünen und speziell ihre Kandidatin das bisher getan haben.Nur an ihrer Schauseite geht es dieser Kampagne um den vergleichsweise korinthenkackerischen Vorwurf, Baerbock habe in ihrer wahlkämpferischen „Werbeschrift“ (Jürgen Trittin) irgendwelche Urheberrechtsverletzungen begangen. Es geht um ihr moralisches Kapital, „anders zu sein als die Anderen“. Es geht um Integrität und die Frage, wie wetterfest ihr Idealismus ist.Die eigentliche Natur der Anwürfe hat der konservative Publizist Thomas Schmid auf ihren kritischen Kern gebracht. Baerbock verkörpere ein Milieu, dem „insofern alle Türen offen stehen, als es heute ein weit gefächertes, man könnte auch sagen: aufgeblähtes System von Jobs in Parteien, parteinahen Stiftungen, Parlamenten und NGO gibt. Wer es in dieses System schafft, kann hoffen, von Station zu Station weiterzukommen – ohne je Erfahrungen mit einer Wirklichkeit außerhalb der ‚Bubble‘ zu machen“. Beim Nachdenken über diese „Generation Selbstinszenierung“ kommt Stefan Reinicke in der taz zu vergleichbaren Schlüssen. Baerbock wirke bislang „immer sprechfähig und gut vorbereitet, ehrgeizig und furchtlos. Ihre Oberfläche war glatt poliert. Deshalb sieht nun jeder Kratzer wie eine Wunde aus“.Deshalb auch die pikierte Ratlosigkeit, mit der die Grünen auf die Heftigkeit der Kampagne reagieren. Kreise, in denen sich mit dem Einsatz für LGBTIQ-Anliegen oder geschlechtergerechte Sprache ein Blumentopf gewinnen lässt, sind noch lange keine Wahlkreise. Außerhalb der eigenen Bubble wird mit härteren Bandagen gekämpft. Und in der Küche wird es auch dann heiß, wenn man ein veganes Menü kochen will.Was genau diese „Lifestyle-Linke“ im Spiegel sieht, das hat Baerbock blauäugig ebenfalls in ihrem Buch ausgebreitet. Gleich im Vorwort erzählt sie von ihrer Studierendenwohnung in den 90ern am Rosenthaler Platz, damals noch nicht gentrifiziert – und von einem Graffiti nebenan: „Dieses Haus“, stand da auf einem Haus, „stand früher in einem anderen Land“. Und darüber, kleiner, als Erklärung für das Paradoxon: „Menschlicher Wille kann alles versetzen.“ Einen Absatz später residiert sie schon in Potsdam, wohin sie ein Foto der „coolen“ Fassade des Hauses „aus einem anderen Land“ begleitet hat. Dort hängt es jetzt als Reminiszenz an ihre angeblich wilde Zeit an der Wand. Dass der pathetische Kitsch ein Werbetext von Jean-Remy von Matt war, findet Baerbock nicht etwa bedenklich. Sie findet es „gut zu wissen, für mich aber nicht bedeutsam“.Ein weitere Steilvorlage lieferten die Grünen mit ihrem Kampagnenbild, das eine Familie im Lastenrad zeigt. Papa im teuren Pullover tritt in die Pedale, während Mama die Kinder begluckt. Hier hat sich eine Kernfamilie neuen Typs zusammengerüttelt, urban, akademisch, kosmopolitisch, liberal. Woke Aktivistinnen kritisierten prompt das herkömmliche, sprich: patriarchale Familienbild. Vermutlich war das Plakat auch genau so gedacht. Hier gleitet eine moderne Bürgerlichkeit umweltschonend in eine klimafreundliche Zukunft, das Rad vermutlich angetrieben vom Bewusstsein des eigenen guten Gewissens.Kritik von rechts dagegen unterstellt diesem Lifestyle gerne eine Doppelmoral. Wer mehr will als das Übliche, soll an diesem Willen auch mehr gemessen werden. So wie sich Sozialisten in den 70ern schon „Geh doch nach drüben!“ zurufen lassen mussten, so müssen sich heute Fridays-for-Future-Aktivisten über das Coltan in ihren Smartphones belehren lassen.Beide Vorwürfe sind auf unheimliche Weise miteinander verwandt, und beide sind Unsinn. Mag sein, dass es „kein richtiges Leben im falschen“ gibt. Solange es aber kein richtiges Leben im richtigen gibt, müssen wir uns zwangsläufig mit der Ambivalenz arrangieren. Ein Arrangement ist noch lange keine Einverständniserklärung.Menschen leben tatsächlich so, ohne sich ideologischen Reinheitsfantasien hinzugeben. Menschen mit oder ohne Lastenfahrrad, mit und ohne Platz im Parlament, mit oder ohne Rosenthaler Platz, Eigentumswohnung in Potsdam oder Hinterweidenthal. Sie kommen in der Grauzone ganz gut zurecht. Sie handeln im Zweifelsfall im Dickicht der Ambivalenzen längst progressiver als jene, die ihre Tugendhaftigkeit in die sozialen Netzwerke hineintrompeten. Sie können in der Immobilienbranche viel Geld verdienen und trotzdem einen Opel mit Wasserstoffmotor fahren. Sie können im Internet einkaufen und trotzdem das Lieferkettengesetz befürworten. Sie können eine klassische Ehe führen und trotzdem die Anliegen der LGBTQ-Bewegung unterstützen. Sie können eine kurdische Putzfrau beschäftigen, ohne Rassisten zu sein. Sie können sogar die grüne Kanzlerkandidatin für ihre Hybris belächeln und trotzdem die rechte Kampagne gegen Baerbock als solche erkennen.Diese Menschen erkennen auch Kampagnen gegen sich selbst – und haben dafür nur ein Schulterzucken übrig. Der Trick ist, gegenüber gar keinem Lager das Bedürfnis zu entwickeln, sich erklären zu müssen. Dabei spielt es keine Rolle, ob irgendwer das „Linke“ an ihnen unter die Lupe nimmt und nun Lifestyle, Leidenschaft oder nur Larifari nennt. Wer mehrheitsfähige Politik betreiben will, muss diese Milieus gewinnen. Wer den Laden umbauen möchte, sollte auch jene nicht verprellen, die ihn am Laufen halten.
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