Merkel, Putin und der Eisgang

Russisch-deutscher Gipfel in Tomsk Viel Tauwetter, doch stellenweise Glatteis

Alle Fernsehstationen fanden Gefallen daran, das sibirische Treffen zwischen Putin und Merkel vor dem Hintergrund des Eisgangs auf dem Fluss Tomj zu zeigen - Tauwetter, Aufbruch, Frühlingserwachen als Metapher für einen Gipfel im Fernen Osten, obgleich es deplatziert gewesen wäre, den Zustand des russisch-deutschen Verhältnisses vor diesem Gipfel als frostig oder eisig zu beschreiben.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau waren gewiss nicht "eingefroren", auch wenn man das seit dem Kanzlerwechsel gelegentlich befürchten musste. Nach Tomsk scheinen diese Ängste gegenstandslos. Russlands Präsident sprach von einer neuen Qualität der bilateralen Kontakte - die seien nicht nur partnerschaftlich, sondern auch von strategischer Natur. Die Bundeskanzlerin wollte dem nicht widersprechen.

Die zwei Tage in Sibirien dürften daher für beide Staaten keineswegs von Nachteil gewesen sein, man unterzeichnete mehrere bilaterale Wirtschaftsabkommen, die - gemessen an der bisherigen Praxis - durchaus als Durchbruch zu feiern sind. Das gilt vorrangig für die kolossalen Investitionsprojekte in der Energiewirtschaft, dem Fernmelde- und Verkehrswesen sowie in der Luft- und Raumfahrt. Ein absolutes Novum ist das Abkommen über den Austausch von Anteilen zwischen den beiden Energieunternehmen Gasprom und BASF, die das Joint Venture Wingas Europa gründen werden, um so den europaweiten Verkauf von Erdgas gemeinsam zu betreiben. Die Dimension dieses Vorhabens beeindruckt, noch vor wenigen Jahren wollte sich niemand auch nur ansatzweise vorstellen, Deutsche und Russen könnten zu einem derart großen Wurf fähig sein.

Offenbar sind die russisch-deutschen Beziehungen endgültig wieder auf jenem positiven Weg, der unter Kanzler Schröder geebnet wurde und der den Lebensinteressen der beiden größten Staaten Europas entspricht. Ein russischer Fernsehkommentator meinte, das "grandiose Treffen von Tomsk" sei eigentlich für Merkels Vorgänger gedacht gewesen, dem das Verdienst zukomme, die Bedeutung einer russisch-deutschen Partnerschaft in der Energiewirtschaft rechtzeitig erkannt zu haben.

In der Tat lässt sich nicht leugnen, dass Merkel die Ernte einfuhr, für die Gerhard Schröder den Boden bereitet und die Saat ausgebracht hat. Der Gerechtigkeit halber sei daran erinnert, dass er nicht nur den ökonomischen Schulterschluss voranbrachte. Er war auch der erste Bundeskanzler, der eine durchaus unabhängige Politik in europäischen und transatlantischen Angelegenheiten verfolgte. Mehr als ein Indiz dafür war das Zustandekommen der französisch-deutsch-russischen Troika, deren Stimme sich besonders vor dem Irak-Krieg in der Welt Gehör verschaffte. Angesichts des dramatisch verschärften Konflikts um den Iran ist es höchst bedauerlich, dass von diesem Dreiklang nichts mehr zu vernehmen ist. Der Vergleich, den Angela Merkel vor einiger Zeit zwischen dem Regime in Teheran und Hitlerdeutschland gezogen hat, war nicht sonderlich glücklich, ja ausgesprochen gefährlich: Er schien kaum geeignet, eine dringend gebotene Deeskalation zu befördern. Ermutigend ist allerdings, dass man in Tomsk zumindest darin übereinstimmte, dass eine weitere militärische Konfrontation im Nahen Osten vermieden werden müsse.

Das Treffen in Sibirien setzte den Schlusspunkt für einen Prozess, der während der Amtszeit Gerhard Schröders begann. Künftig nun wird Angela Merkel an den Resultaten ihres eigenen Handelns zu messen sein, dabei dürfte das Urteil über ihre Leistung notgedrungen vom Vergleich mit Schröders Schlussbilanz beeinflusst werden. Sie muss die Frage beantworten, ob die Fortschritte, die Deutschland in seinen Beziehungen mit Russland verbuchen kann, bewahrt und ausgebaut werden sollen. Nach Tomsk gibt es dazu eine verhalten optimistische Prognose.

Igor Maximytschew ist Diplomat und leitender Mitarbeiter des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften.


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