Merkel und Bismarck

Eiserne Kanzlerin Angela Merkel hat sich in Brüssel weitgehend durchgesetzt, Griechenland wird als klammer Schuldner an den IWF abgeschoben und erlebt Sternstunden der EU-Solidarität

„Seid umschlungen Millionen“, heißt es dank Friedrich von Schiller in der Europa-Hymne. „Diesen Kuss der ganzen Welt!“ Griechenland muss gerade verdammt aufpassen, von dieser Umschlingung nicht erdrückt zu werden. Die europäischen Brüder sind bei der Umarmung im Moment auffallend rabiat. Vor dem Brüsseler Krisen-Gipfel der EU drohte entehrender Verstoß aus der Eurozone, inzwischen wurde die angedrohte Strafe umgewandelt und auf Bittgang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) erkannt. Niemand kann sagen, ob das eine Strafminderung ist. Hat doch der Brüsseler Krisen-Gipfel der EU einmal mehr offenbart, dass – wenn es darauf ankommt – der europäische Gedanke in zwei Bestandteile zerfällt als seien es Bruchstücke, die zusammenzufügen wenig lohnt: in die politische Idee und eine ökonomische Realität. Da Letztere naturgemäß stärker ist, erst recht in der Krise, stößt die EU nicht nur an Grenzen ihres Gemeinschaftsgefühls, sondern kehrt zu ihren Anfängen zurück, als sie noch EWG hieß und mit den Römischen Verträgen von 1957 als Zollunion und ökonomischer Zweckverband entstand. Inzwischen hat sie sich dank Maastricht und einer Eurozone aus 16 EU-Mitgliedern zu einem integrierten, von Währungsschwankungen befreiten Wirtschaftsraum gemausert. Und ist doch – wie der Fall Griechenland zeigt – der ökonomische Zweckverband geblieben, der die europäische Gemeinschaft letzten Endes immer war. Nur ist der Anspruch auf europäische Selbstbestimmung – auf ein Ranking als weltpolitischer Akteur – durch eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft nicht einlösbar. Der Umgang mit Griechenland bringt zu Bewusstsein, was sich mit der gescheiterten EU-Verfassung schon abgezeichnete: die Politische Union ist utopischer denn je, der Beharren auf nationaler Souveränität ausgeprägter, ja vehementer, als es Charles de Gaulle je riskiert hätte. Seid umschlungen Millionen? Europäer oder Euro-Bürger?

Osterweiterung am 3. Oktober 1990

Vergessen scheint in Berlin die europäische Solidarität, wie sie Deutschland zuteil wurde, als 1989/90 die Vereinigung in den Augen skeptischer Franzosen und Briten nur durchsetzbar war, weil sie sich zum europäischen Urknall erklärte und als Grundsteinlegung eines Gemeinsamen Europäischen Hauses feierte. Die erste Osterweiterung gab es am 3. Oktober 1990, ohne dass in der damaligen EG der Zwölf ein Mitgliedsland an Barrikaden-Bau dachte, geschweige denn davon sprach. Die angeschlossene DDR gehörte über Nacht zur Europäischen Gemeinschaft, der nichts anderes übrig blieb, als die deutsche Einheit abzusegnen. Angela Merkel scheint das vergessen zu haben oder zu wollen, wenn sie in einer Stunde der Not nicht zurückgeben will, was dem vereinten Deutschland einst an europäischem Beistand widerfuhr.

Griechenland zum IWF abschieben, heißt einen europäischen Kostgänger zum weltökonomischen Bittsteller – unter Umständen Bettler – degradieren. Wer beim IWF um Kredit nachsucht, handelt sich Spar- und Privatisierungsauflagen ein, mit denen die vom Kabinett Papandreou Griechenland und den Griechen verordnete Hungerkur zur Selbstentleibung gerät. Nach Inanspruchnahme des IWF wird von der ökonomischen Substanz des griechischen Staates, sofern es sich um Staatsunternehmen handelt, nicht viel übrig bleiben. Er muss nicht toter Mann spielen, er ist es. Griechenland wird durch die Tür wieder herein kommen, die ihm Merkel und der Brüsseler EU-Gipfel gerade gewiesen haben. Was heißt kommen? Schleichen! Schwer angeschlagenen, moribunden Patienten bleibt nur diese Gangart.

Mit dem Schwert

Bezeichnend für Geist und Geschichtsvergessenheit der Debattenkultur in Deutschland, wenn ausgerechnet jetzt (s. Bild-Zeitung vom 25. März) unter Bezug auf Otto von Bismarck die Metapher von der „Eisernen Kanzlerin“ mit dem Schwert bemüht wird. Der preußische Ministerpräsident stand in dem Ruf ein „Eiserner Ksanzler“ zu sein, weil er durch eisernen Willen drei europäische Kriege gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/71 führte und so die deutsche Reichseinigung zu Wege brachte. Ein Akt der nationalen Selbsterhebung, dem es gegeben war, den Keim neuer Kriege in sich zu tragen. War nicht das vereinte Europa entstanden, weil es für sich in Anspruch nahm, aus dieser Geschichte gelernt zu haben?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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