Merkels Rolle rückwärts Die Klimakanzlerin hat abgedankt

Aktuell Gastkommentar

Auf der Weltklimakonferenz in Poznan war der klimapolitische Rollenwechsel von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein beherrschendes Thema. Einst war sie die Klimakanzlerin, die im Bundestag eindringlich vor den Gefahren der Erderwärmung warnte und im Strandkorb von Heiligendamm selbst George W. Bush ein verdruckstes Bekenntnis zum Klimaschutz entlockte. Auf Gipfeltreffen und Festveranstaltungen ganz in ihrem Element, war diese Angela Merkel 2007 allgegenwärtig - damals, als der Weltklimarat IPCC vor der Klimakatastrophe warnte, Sir Nicholas Stern die Kosten der Erderwärmung berechnete und Al Gore seinen Oscar gewann. Doch das war einmal. Seither ist eine andere Kanzlerin zu erleben, die Schutzpatronin der Klimasünder und Sachwalterin der CO2-intensiven Industrie. Diese Angela Merkel weiht freudig klimaschädliche Kohlekraftwerke ein und stellt sich an die Spitze des Kampfs gegen strenge Klimavorgaben für Europas Autos. In Deutschland tat sie nichts dagegen, dass ihr Klimapaket im Dauerzwist zwischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium zerrieben wurde. Nun sorgte sie beim EU-Gipfel in Brüssel dafür, dass es dem europäischen Klimapaket genauso erging.

Nach den Brüsseler Beschlüssen erhalten die europäischen Autobauer vier Jahre Urlaub vom Klimaschutz. Heute stoßen europäische Neuwagen im Schnitt 158 Gramm klimaschädliches Kohlendioxid pro Kilometer aus. Diese Bilanz werden sie nun bis 2012 nicht verbessern müssen, wenn man alle von der Bundesregierung durchgesetzten Schlupflöcher einbezieht. Erst 2015 muss die Autoindustrie dann den Wert von 140 Gramm pro Kilometer erreichen, den die Unternehmen einst in einer Selbstverpflichtung schon für das Jahr 2008 versprochen hatten. Das ist kein Klimaschutz, sondern ein Kniefall vor der Autolobby.

Auch die Schwerindustrie erhielt in Brüssel einen Freifahrtschein - über 90 Prozent der Industriebetriebe wurden praktisch vom Emissionshandel ausgenommen und müssen für ihren CO2-Ausstoß auch in Zukunft keinen Preis bezahlen. Diese Vorzugsbehandlung gilt auch für Branchen wie Kalk und Zement, deren Produkte fast ausschließlich innerhalb der EU gehandelt werden und deshalb nicht im internationalen Wettbewerb stehen.

Für neue klimaschädliche Kohlekraftwerke konnten RWE, Vattenfall und Co. mit Merkels Hilfe sogar zusätzliche Staatshilfen von 15 Prozent je Kraftwerk durchsetzen. Hier gibt es für die Unternehmen neue Subventionen, auf die Steuerzahler kommen neue Milliardenlasten zu - Gelder, die dann für den Klimaschutz oder für die Entlastung der Verbraucher fehlen.

Diese Abkehr der EU vom Klimakurs überschattete auch die Weltklimakonferenz in Poznan. Klimaschützer und Delegierte warteten auf ein gutes Ergebnis aus Brüssel und wurden enttäuscht. Nie zuvor stand Europa bei den Klimaverhandlungen so in der Kritik. Wie sollte man auch Schwellenländer überzeugen, sich an einem neuen Klimaschutzabkommen zu beteiligen, wenn selbst die Klimaschutzvorreiter aus dem reichen Europa einen Rückzieher machen? So traten die Klimaverhandlungen in Poznan auf der Stelle. Dabei wäre ein Fortschritt angesichts immer alarmierender Berichte der Klimaforscher dringend geboten gewesen. Und es hätte durchaus auch Chancen gegeben. Mit Obama zieht ein Klimaschützer ins Weißen Haus ein. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will die Weltwirtschaftskrise mit einem grünen "New Deal" überwinden. Und von Mexiko über Südafrika bis China gab es ermutigende Länder aus aller Welt. Nur Europa war abgetaucht. Und die Klimakanzlerin hat abgedankt.

Bärbel Höhn, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag

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