Aus allen Zeitungsverlagen ist Heulen und Zähneklappern zu vernehmen: Konjunkturkrise, Einbrüche bei Werbeaufträgen, Stellenkürzungen. Der Tanker Kirch sinkt, Springer ist leckgeschlagen. Doch es gibt einen Verlag im Süden der Republik, der es mitten in dieser Krise wagt, mit journalistischen Mitteln zu expandieren. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) erscheint seit dem 15. Januar mit einem nordrhein-westfälischen Regionalteil. Nach knapp sechs Wochen dieses Experiments ist es Zeit, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Süddeutsche ist zwar die auflagenstärkste bundesweite Tageszeitung, das hat sie aber fast ausschließlich ihrer weiten Verbreitung im Land Bayern zu verdanken. In Nordrhein-Westfalen hatte sie bisher nur 11.000 Abonnements und e
.000 Abonnements und eine verkaufte Auflage von 30.000. Nach Verlagsangaben ist das Ziel "in vier bis fünf Jahren 15-20.000 Exemplare zuzulegen". Dafür wurde nicht nur in eine circa 9 Millionen Mark teure regionale Werbekampagne investiert, sondern, viel wichtiger, in 18 RedakteurInnen, darunter einige ehemals tragende Säulen der wöchentlich erscheinenden taz-nrw-Beilage. Die SZ verzichtete darauf, Angehörige der Landespressekonferenz anzuwerben. Viele von ihnen tummeln sich allzu lange in jahrzehntelang gewachsenen Strukturen, die zwischen Landesregierung, Parteien sowie regionalen Zeitungs- und Sendermonopolen gewachsen sind. Die neuen MitarbeiterInnen kommen fast alle aus Nordrhein-Westfalen, kennen also das Land. Sie kommen aber nicht aus Düsseldorf. Ihr Blick ist unbefangener. Das tut ihrem Blatt ganz offenkundig gut. In kürzester Zeit ist es der SZ-NRW gelungen, mit zwei Politikseiten die politische Landschaft aufzumischen. In der immer hektischer werdenden Auseinandersetzung um das Metrorapid-Projekt, ein Baby des ständig in Fortschrittskategorien von Großinvestoren denkenden Ministerpräsidenten Clement, bildet sie schon nach wenigen Woche die Leistungsspitze des Recherche-Journalismus. Sie profitiert natürlich von Synergie-Effekten aus München, wo ein mit Nordrhein-Westfalen um Bundessubventionen konkurrierendes Projekt vom Flughafen durch die Stadt betoniert werden soll und wo das Blatt qualifizierte Mitarbeiter mit besten Beziehungen zum Apparat der Deutschen Bahn beschäftigt. Die NRW-Redaktion enthüllte die Herausarbeitung von Unterschieden, Beschönigungen und Zahlenschiebereien in der "Machbarkeitsstudie" für diese Projekte. Sie fand übrigens alle Daten im Internet. Das Landesministerium hatte es versäumt, die Korrekturen zu löschen, bevor es die Texte auf seine Homepage stellte. Für die Landesregierung und die Parteien dürfte die Lektüre dieser Politikseiten selten eine Freude sein. Da kommen Blätter, die sich einen Landeskorrespondenten vor Ort teilen, natürlich nicht mehr mit. Immerhin sind sie gezwungen, nun auch engagierter zu Werke zu gehen. Die WAZ aus Essen, die auflagenstärkste Regionalzeitung Deutschlands, hat sich, nachdem ihre Verleger Investitionen in journalistisches Personal verweigerten, ein politisches Projekt zu eigen gemacht: aus dem Dutzend miteinander konkurrierender Städte des Ruhrgebiets soll eine "Ruhrstadt" werden. Auch das ist eine Gefahr für die Landesregierung, die mit konkurrierenden Kommunen besser leben zu können glaubt. Die FAZ hat in diesem Jahr begonnen, unter der Federführung ihres sehr landeskundigen Feuilleton-Korrespondenten diese Debatte mit kontroversen Gastbeiträgen zu begleiten. Und im größten Medienhaus des Landes, dem WDR, wurden in Köln ansässige Fachredaktionen mit Metrorapid-kritischen Sendungen rebellisch, weil sie zu Recht fürchteten, ihr Programm würde mit dem in Düsseldorf produzierten, Clement-frommen Regionalprogramm publizistisch abgehängt. In den anderen Ressorts des neuen SZ-Teils hat man dagegen den Eindruck, hier solle erst mal nachgewiesen werden, dass die Zeitung im Auswärtsspiel bestehen kann. Es wird versucht, die oftmals beklagte Benachteiligung des westfälischen Landesteils gegenüber dem Rheinland zu vermeiden. Neben unzählige Male porträtierten Figuren wie Dieter Gorny (Senderchef von Viva) erscheinen auch neue Gesichter, wie ein junger Dortmunder SPD-Bundestagskandidat, der auf subtile Weise das IG-Bergbau-Urgestein Hans Urbaniak (76) aus dem Bundestag drängte. Üben muss die Redaktion noch den richtigen Umgang mit den ansässigen Großkonzernen. RWE, EON, Thyssen-Krupp und Ruhrkohle AG (in der Steinkohle längst Nebensache ist) spielen eine wichtige Rolle bei der Beherrschung des Landes. Ein guter Ansatz war bereits eine Recherche, wie es der klammen Stadt Mülheim gelungen ist, die Konzerne beim Verkauf der Wasserversorgung gegeneinander auszuspielen. In den letzten 100 Jahren ist es nämlich meistens umgekehrt gewesen, weil die genannten Konzerne "ihre Leute" in der Politik beschäftigen, wie es Marlon Brando im "Paten" nicht besser hingekriegt hat. Das Feuilleton wirkt, im Gegensatz zum bundesweiten Teil, recht zurückhaltend und die Kulturlandschaft nur beschreibend. Während im bundesweiten Feuilleton einige exzellente Beiträge über den 11. September, über den Afghanistan-Krieg oder die Zukunft der Städte - auch und gerade ein regionales Thema in NRW! - erscheinen, vermisst man als Leser des Regionalfeuilletons solche Diskussionsanstöße noch. Im Sport muss die SZ mit dem Manko des frühen Redaktionsschlusses leben. Fußballspiele vom Vorabend kommen notgedrungen nicht vor. Das ist ein heilsamer Zwang zu qualitätsvoller Reportage und gut für den Gelegenheits-Sportleser. Die bisher beste Reportage eines NRW-Redaktionsmitgliedes erschien bereits einige Tage vor dem offiziellen Start des Regionalteils im bundesweiten Blatt. Es ging um Menschenhandel mit afrikanischen Spielern beim FC Schalke 04, um saudi-arabisches Kapital, das in der Schalke-Arena verbaut wurde (demnächst ein Bombenziel für Herrn Bush?) und die gar nicht klamaukige Rolle, die FDP-Landeschef Möllemann dabei gespielt hat. Merkwürdig nur, dass die Konkurrenz hier, anders als zum Beispiel beim Metrorapid, überhaupt nicht nachsetzte. Vielleicht ist die Akkreditierung für die Schalke-Arena vielen Redaktionen ein zu wertvolles Gut. Im "Medienland NRW" vermisst der Medienmensch einen entsprechenden Schwerpunkt in der Regionalausgabe, den das Mutterblatt seit langem pflegt. Sowohl die Landespolitik als auch die ansässigen Konzerne würden hier genauso viel Stoff bieten, wie ihn Kirch der SZ in München liefert. Regiert hier vielleicht Vorsicht vor gefährlichen Raubtieren? Die Häuser WAZ (Essen), Rheinische Post (Düsseldorf), DuMont (Köln) und Girardet (Düsseldorf/Wuppertal) warfen die SZ aus ihren Vertriebsnetzen raus. Das war eine teure Angelegenheit, die das Erscheinen des Regionalteils um drei Monate verzögerte und noch mal eine hohe Summe kostete. Um das Geld wieder einzuspielen, will die SZ nun anderen die Mitnahme in ihrem Vertriebsnetz anbieten. 25.000 verbilligte Probeabos sollen seit dem Start eingegangen sein. Würden daraus reguläre Abonennten, wäre das Fünf-Jahres-Ziel schon erreicht. Wenn sich daraus eine beispielgebende Wirkung für andere Verlage ergäbe, würden wir in Nordrhein-Westfalen ZeugInnen eines lang erhofften publizistischen Wunders.
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