Michael Gorbatschow hatte in Moskau keinen Rückhalt

Außenseiter Nach dem Tod des letzten Präsidenten der Sowjetunion gab es Elogen zuhauf. Doch wirklich populär war Michail Gorbatschow außerhalb von Künstler- und Intellektuellenkreisen in seinem Land nicht einen Tag
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 36/2022
Michail Gorbatschow (1931 – 2022), für ein halbes Dutzend Jahre ein Romantiker auf dem Thron in Moskau
Michail Gorbatschow (1931 – 2022), für ein halbes Dutzend Jahre ein Romantiker auf dem Thron in Moskau

Foto: Shone/Gamma-Rapho/Getty Images

Woher kam dieser Verzicht auf jede Stärkedemonstration, das Vertrauen in die Vernunft seines Gegenübers? Auch aus einem romantischen Impuls, der in Traum und Albtraum mehr Realität erblickt als in jener Wirklichkeit, in der Politik ihre immer gleichen Machtspiele spielt? Michail Gorbatschow lebte den Traum eines Außenseiters, der sich einerseits bevorzugt und andererseits nie richtig dazugehörig weiß. Er besaß den seltenen Mut zur Schwäche, beherrschte die Kunst der Defensive.

Er wuchs in der südrussischen Region Stawropol auf, beide Großväter wurden in den 1930er-Jahren von der Geheimpolizei verhaftet und überlebten nur mit Glück, während der Großvater von Raissa Gorbatschowa als „Volksfeind“ erschossen