1.
Handelt es sich um Kunst? Nur unter dieser Voraussetzung greift Artikel 5 des Grundgesetzes. Ich würde sagen: nein. In erster Linie handelt es sich um eine politische Aktion. SOKO Chemnitz ist nicht Mimesis, Nachahmung oder Darstellung der Wirklichkeit zum Zweck ihres tieferen Verständnisses, sondern eine Praxis. Dass diese Praxis mit illegalen Mitteln und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen versucht, Licht ins Dunkel der Neonazi-Szene und ihre Unterstützer zu bringen, ist dabei sekundär. Aber man muss am Unterschied von Mimesis und Praxis festhalten, wenn man die Grenze zwischen Kunst und Nichtkunst nicht gänzlich aufheben will. Wenn es sich aber um eine Praxis handelt, die mit ästhetischen Mitteln agiert, ohne selbst Kunst zu sein, ergibt die Berufung auf die Freiheit der Kunst laut Art 5 GG keinen Sinn.
P.S.: Wo genau auf der Skala zwischen Mimesis und Praxis die Aktionen des Zentrums für polische Schönheit anzusiedeln sind, welches Moment dabei überwiegt usf., ist nicht generell, sondern nur im Einzelfall zu entscheiden.
2.
Die Aktion, die sich der Mittel des Gegners bedient, um die eigenen politischen Ziele zu verfolgen, ist eine Form politischer Romantik. Denn sie suggeriert, die Verhältnisse wären schon so, dass der Zweck die Mittel heilige. Mit anderen Worten, sie suggeriert eine bürgerkriegsähnliche Situation. Die haben wir zum Glück noch nicht und ich würde mir wünschen, dass das so bleibt. Die Voraussetzung einer Situation, in der wir von allen Querelen der Ambivalenz befreit wären und die Eindeutigkeit einer militärischen Situation herrscht, ohne dass die Situation schon gegeben ist, verstehe ich aber so, dass eine solche Situation im Stillen herbeigewünscht wird. Das aber ist politische Romantik.
3.
Die Aktion trägt dazu bei, diesen Zustand herbeizuführen, wirkt also eskalativ. Und dies aus zwei Gründen:
a. Diejenigen, die den realen Folgen ausgesetzt sind, entlassen wurden oder anderen Drangsalierungen ausgesetzt sind, werden Vergeltung schwören und sie nach Möglichkeit auch ausüben. Falls ihnen dabei auch noch Unrecht geschah – Kann man garantieren, dass nur Rechte auf der Namensliste des ZPG stehen? Könnte ich nicht auch durch welchen Zufall auch immer auf sie geraten sein? –, wird es die Sache des „radikalen Humanismus“ keinesfalls stärken.
b. Die Aktion ist verletzend durch ihre Arroganz. Zum einen unterstellt sie den Rechten, sie seien einfach dumm und nach allen Regeln der Kunst reingelegt worden. Zum anderen drückt sich darin die Überlegenheit der Hauptstädter aus, die den ostdeutschen Provinztölpeln einen überbraten und aus gelassener Distanz zusehen, wenn die sich anschließend zerfleischen.
Kommentare 16
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Ich halte die letzte Aktion auch für falsch, weil sich hier Privatpersonen
seher fragwürdiger Methoden bedient haben und sich ausserdem zum Richter und
Henker aufschwingen. Das verhärtet die Fronten noch mehr und ist unötig.
Allerdings versagt da wohl auch der Staat.
Es gibt eine Blindheit auf dem rechten
Auge in Deutschland. Das ist viel gefährlicher für die Demokratie.
"Wir werden uns von diesem ostdeutschen Gesindel nicht die Demokratie
zerstören lassen!"
Das klingt ja sehr demokratisch! Zum aufrechten Demokraten gehört auch die
Diskursfähigkeit. Die lassen sie vermissen. Genau wie die, die sie anprangern.
Es wird immer Unbelehrbare geben, das muss die Demokratie aushalten.
Einige Fragen an Wolfram Ette:
ad 1 a: << Aber man muss am Unterschied von Mimesis und Praxis festhalten, wenn man die Grenze zwischen Kunst und Nichtkunst nicht gänzlich aufheben will.>> - An wen richtet sich dieser Appell, in Form der unpersönlichen Forderung? An Künstler, an die Staatsanwaltschaften, an die Richter, an den Gesetzgeber, an uns alle?
Müssen Künstler sich vorher Gedanken machen, ob ihr Werk mimetisch ist und möglichst keine (politische) Praxis enthält?
Philosophisch: Erfüllt nicht gerade die jüngste Aktion des Kollektivs die alte aristotelische Ansicht ideal? Mimesis ist die möglichst vollkommene "Imitation einer Praxis, einer Aktion" (Poetik d. Aristoteles). Die Vollkommenheit der mimetischen Kunst, beweist sich doch in der Reaktion des Publikums, der Öffentlichkeit, der jeweiligen Mächtigen, die fragen, ist das Kunst oder ist das schon das pure Leben? Ich muss dabei immer an Joseph Beuys denken.
Oder wollen Sie die Kunst vor manchen Künstlern retten? Dann wäre doch ihr Anliegen eher ephemer, gar nicht auf die Gesellschaft, in der Kunst entsteht, bezogen? - Größere Kritik verdiente da wohl eher die enge und dominante Verknüpfung von Markt, Anlagemarkt und Kunst.
1b: Die Grenze der Kunst ist <<im Einzelfall zu entscheiden>>. -Mag sein.- Wenn es dann Richter sind, die hauptsächlich entscheiden, bräuchte es da nicht "Kunstrichter", die sich mit "politischer Schönheit" auskennen? Entscheidet vielleicht eine Abstimmung, gar das Volk, in irgend einer Art Akklamation? Entscheiden die Getroffenen und Betroffenen, sofern es überhaupt real gemeinte und tatsächlich identifizierte Personen gibt, die z.B. aktuell entlarvt wurden und nicht schon vorher ein offenes Bekenntnis, in aller Öffentlichkeit, ablegten?
Was die Kunstrichterei angeht, so mag ich mich eher an die vernichtenden Urteile Tucholskys anschließen, der die wesentlichen öffentlichen und juristischen Prozesse seiner Zeit, ging es um den (politischen) Dada, das ebenso politische Theater und die pornografische Literatur, ging es um Zensur (Vorzensur und Nachzensur), über Jahrzehnte hinweg verdammte.
Es steht aber außer Frage, dass Rechte, auch manche extreme Linke, ganz ohne erkennbare mimetische Mittel, z.B. der Verschleierung, Anonymisierung, Generalisierung, der Kennzeichnung eines Kunstraumes, einer Bühne oder der reinen Erfindung, Listen mit realen Namen, Wohnorten, Telefonnummern, biografischen Daten, Tätigkeiten und Arbeitsorten ihrer Gegner und vieler anderer, ihnen missliebiger Personen und Institutionen führen und nach diesen, mehr oder weniger "schwarzen Listen", vorzüglich im Osten, auch handeln. Ganz offen, nennen sie das "national befreite Zonen" und das "Ende der Umvolkung".
Einige Prominente aus dem Medienbereich, Künstler und PolitikerInnen, Pfarrer und Bürgermeister, die zu sehr klare Gegenpositionen bezogen hatten, dabei sichtbar wurden, können da, entlang ihres Posteingangs und entlang mancher praktischer Anschläge auf ihre Lebenswelt, ein Liedchen singen, wenn sie nicht schon zuviel Angst um sich und ihre Angehörigen entwickeln mussten.
ad 2: Wie weit weg von einem Bürgerkrieg ist eine Region, eine Stadt, wenn die Herrschaft dazu, wer am Ort sein darf und wer nicht, letztlich von gut organisierten und zahlreichen Rechten bestimmt werden kann, indem sie die übrigen Bürger einschüchtern und zudem in der Lage sind, die Polizei und die Justiz zu unterwandern?
Ich kenne allerdings umgekehrt keine ausformulierten politischen Ziele des Zentrums für politische Schönheit. Dafür aber, kennen Sie und ich doch die politischen Ziele der Rechten in Deutschland!- Jener wenigen, die literarisch oder künstlerisch antreten und jener, die es ausdrücklich politisch meinen, die wirken wollen, sowie jener Ja- Sager, die zufrieden mitlaufen und mittlerweile zufrieden wütend wählen.
Wenn man allerdings bei dem Künstlerkollektiv definierte und nicht allgemeine politische Ziele annimmt, dann mag das zutreffen, solange man akzeptiert, dass das Leben in einer Gesellschaft immer politisch ist. Sie glauben aber, das Künstlerkollektiv wünsche sich den "Bürgerkrieg", vermittle zumindest diesen Eindruck! Dieser Vorwurf wiegt schwer und müsste daher ebenso umfangreich begründet werden, soll er einigermaßen glaubwürdig sein.
ad 3: Tatsächlich brechen "Bürgerkriege" wie Vulkane aus ("eskalativ" ist ein schöner Neologismus). Auf den realen Listen der Rechten stehen, neben Linken und engagierten Bürgerlichen, eine Reihe von Personen, die einfach weg sollen. Weg vom Zugang zu einer Öffentlichkeit, bis weg aus Deutschland und Europa, weg aus den Städten und Dörfern, weg aus dem Blickfeld, überhaupt weg. Da braucht man sich keiner Illusion hinzugeben und man muss sich keine Frage nach der Mimesis stellen. Diese Wünsche sind zu jedem Augenblick real und brutal.
Tatsächlich gilt es zu überprüfen, ob das "Zentrum" in seiner Kunstaktion eine BürgerIn benannt oder "entlarvt" hat, sie und ihre Familie einer Öffentlichkeit preisgab, die das nicht selbst vorher besorgte, bekannte oder sich gewünscht hat. Tatsächlich kommt es darauf an, ob die Privatsphäre dieser möglichen Person und ihrer Angehörigen gewahrt und geschützt blieb (Hier greift, u. a., die Justiz ein und kann das sanktionieren).
Ich tippe aber darauf, dass dies dem "Zentrum" gelang, ganz im Gegensatz zur realen, gar nicht mimetischen Vorgehensweise der politischen Rechten in Deutschland, die sich regelmäßig damit brüstet, genau zu wissen, wo ihre Gegner und die von ihnen generell nicht erwünschten Personen wohnen und sich aufhalten (z.B. in Berlin, im Heim, in der zugewiesenen Wohnung, in Läden und Gaststätten, in Verwaltungen). Da werden dann nichtmimetisch Zeichen gesetzt und Aktionen durchgeführt, vom drohenden und nötigenden Wort, bis zur Scheiße im Briefkasten, von der eingeworfenen Scheibe, bis zum Brandanschlag und Mord. Das ist dann der nationale und identitäre Bürgerkrieg, deren Täter sich zudem wieder rühmen, sie bewegten sich, mit der heimlichen und offenen Zustimmung des Volkes, wie die Fische im Wasser.
Mein Fazit, abseits der anderen Fragen, Herr Ette: Die Hürde, etwas zur Nichtkunst zu erklären, das mit einem solchen mimetischen Aufwand antritt, muss doch sehr hoch sein. Oder?
Beste Grüße
Christoph Leusch
Es ist doch eher das Gesindel, welches in Form von "Beratern" in Ministerien und Lobbyisten in den Parlamenten vom Europaparlament bis zur Gemeindevertretung und auch indirekte Korruption die Demokratie zerstört. Und da das große Geld nicht im Osten sitzt, ist es wohl nicht ost- sondern westdeutsches Gesindel. "Wir werden uns(sic!) von diesem ostdeutschen(sic!) Gesindel..." Auch eine hässliche Form von Chauvinismus! Schuld sind immer die Anderen, Fremden, die, von denen man nichts oder wenig weiß.
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Soko Chemnitz; steht in der Schlagzeile. Was die anderen Punkte betrifft: Ruch ist wohl Hauptstädter seit vielen Jahren, aber schwerlich Wessi. Und zum richtigen Ostdeutschen werde ich es, wie mir seit Jahren versichert wird, doch nicht bringen; Wossi allenfalls. Zu den sonstigen Unterstellungen - Kleinbürger, Bildungsbürger, was auch immer: irgendwas Spießiges jedenfalls - sage ich nichts.
Lieber Herr Leusch, vieles von dem, was Sie schreiben, finde ich sehr bedenkenswert. Ich kann nicht auf alles eingehen, hier nur ein paar Stichworte:
- Falls es sich nicht um eine politische Praxis, sondern um eine gefakte politische Praxis handeln sollte - das ist noch nicht raus, vielleicht werden wir es erst bei den Prozesse erfahren -, sieht alles anders aus. Dann, würde ich sagen, habe ich mich geirrt. Es gibt Indizien, die dafür sprechen (der Umgang mit den Zahlen: 1500 Rechtsextreme im Chemnitzer Raum, 3 Millionen Bilddateien - das scheint mir, und ich kenne die Lage vor Ort ganz gut, etwas hoch gegriffen zu sein; außerdem die datenschutzrechtlich angeblich notwendige Löschung der Bilder), aber ich weiß es einfach nicht. Man wird sehen.
- Aber angenommen, es handelt sich um eine Praxis: Dann rechtfertigt eine falsche Praxis ja nicht die andere. Das kommt mir dann so vor, wie wenn sich Geschwister streiten und beide behaupten, das, was der/die andre getan hat, sei ja noch viel schlimmer. Nein, beides ist falsch.
- Dass, was Denunziationen von Seiten der Rechten angeht, viele Leute, die bedroht werden, mit einem Kartell der Nachlässigkeit zu kämpfen haben - Nachlässigkeit der Polizei, der Strafverfolgungsbehörden etc, die sich im Falle Sachsens, man muss es leider sagen, zur stillschweigenden Unterstützung rechter Organisationen ausgewachsen hat, das weiß ich. Das wird aber durch die Aktion des ZPS wahrscheinlich nicht besser.
- Was die politischen Ziele des ZPS angeht: Ich kenne Ruchs Manifest "Wenn nicht wir, wer dann?" nicht, will es jetzt mal lesen. Vielleicht erfährt man dann mehr.
Viele Grüße, vielleicht fällt mir noch was zu den anderen Punkten ein -
Wolfram Ette
Vielen Dank für den Artikel! Zustimmung, sehe ich auch so!
Dem Artikel stimme ich zu, sehe aber grundsätzlich für die Zukunft folgendes Problem: Das, was als Kunst definiert wurde bis dato, unterliegt zur Zeit einem enormen Wandel, fast so, auch wenn es utopisch klingt, als ob zwischen Kunst und Leben/Gesellschaft kaum noch definierte Grenzen existierten! Das wirft allerdings Fragen nach der (anscheinend) unbegrenzten Freiheit der Kunst auf, Fragen nach deren Verantwortung. Die Schnittstelle zwischen dem, was Kunst, dem, was politische Aktion ist, wird zunehmend verschwimmen. Wer definiert?
Sie unterstellen mir hier, dass ich etwas nicht wahrhaben will. Sie kenn mich ja gar nicht. Ich weiß schon, was das für ein Gesindel ist. Aber Sie machen es sich zu einfach.
Was hat die DDR damit zu tun und die "Wende"? Das glauben Sie da drüben, eben weil Sie niemanden kennen aus dem Osten; was soll denn "geklöpt" sein? Das ist eine primitive Lautmalerei, in der Art, wie sich die Kolonialherren über das "Pidgin--English" der Eingeboren lustig gemacht haben, eben chauvinistisch. Die Leute in Chemnitz sind nachweislich aus dem ganzen Bundesgebiet angereist und die Führungsriege der AfD sind nachweislich in der Mehrzahl auch keine Ossis.
Uns Mölln liegt wohl auch nicht im Osten. Piefigkeit gibt es überall. Nach der Wende bin ich hunderte Kilometer durch die westdeutsche Privinz gewandert. Ich war entsetzt über die Kriegerdenkmäler. In den bayrischen Gasthöfen hingen schon mal die Fotos "unserer für das Vaterland im 2. Weltkrieg gefallenen Helden" über dem Stammtisch. Der Osten hat das dann kopiert. Natürlich dumm. Und außer Frage sind ostdeutsche Nazis gefährlich. Aber ob die sog. "Prepper" in der Bundeswehr, die offensichtlich Verhaftungslisten Unliebsamer, vor allem Linker für den "Tag X" vorbereitet haben, Ostdeutsche sind, ist mir nicht bekannt.
Ja, die Ostdeutschen Neonazis mögen gefährlich sein. Aber ich bleibe dabei: Die größere Gefahr geht von nicht legitimierten Netztwerken aus, die die Demokratie von innen heraus aushöhlen. Nicht unbedingt das laute Geschrei ist gefährlich.
Und übrigens: Nicht Sie sind es, die im Zweifel ihren Kopf hinhalten, wenn es zur Gegendemo geht. Sie machen es sich zu einfach, indem Sie ganz bequem für sich das Problem nach Osten delegieren. Dieses Wegdelegieren löst keine Probleme. Denn durch Herabwürdigen eines Teils der Bevölkerung nach regionalen Gesichtspunkten ist Teil des Problems. Halten Sie sich bitte selbst den Spiegel vor!
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Danke für Ihren Beitrag- sehr gerne gelesen.
Diese Aktion des ZfpS habe ich interessiert verfolgt und mein Humor hatte nicht gelitten als die Ergebnisse der ,,Offenbarungseliten'' in die Honigfalle gingen.
Ich meine auch, dass die Aktion im zeitlichen Zusammenhang mit diesen Listen über LehrerInnen steht, welche durch ihre SchülerInnen bei nichtkonformer Meinung im Portal angezeigt werden dürfen.( AfD hat das propagiert )
Reaktion- Gegenreaktion
Mir ist nicht bekannt, daß das Anzeigeportal irgendwann verboten worden ist oder abgeschaltet worden ist. Es ist eine legitime - für mich- Aktion. Das Zenrtum soll ja bis jetzt alle Gerichtsprozesse gewonnen haben. So ein netter Vorführeffekt hat was. Und besonders mag ich die Höcke-Aktion- sozusagen rosige Aussichten verbaut.
Zur Ihrem Kommentar von vor drei Tagen: -- Was für eine Sprache! Frau Köpping, in ihrer "Streitschrift für den Osten", hat recht: Die Abneigung der Wessis gegen die Ossis und die Abneigung der Ossis gegen die Flüchtlinge sind analog zueinander. Der Ungeist im Osten und der Ungeist, der aus Ihrem Kommentar spricht, scheinen mir einander ziemlich ähnlich zu sein.
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