Mir vibriert das Fett im Schädel

Essend stehen Hier hat es noch niemandem nicht geschmeckt - Vor Berliner Currywurstbuden

Krasselt´s Currywurst, Steglitz

Rainer ist seit 20 Jahren Stammgast an der Currybude. Er lehnt an einem Stehtisch und deutet auf die Maschine mit auflackierten Feuerwellen, die vorn am Gehweg parkt. "Klar, ich bin Harley-Fan", sagt er. "Sonst wär´ ich wohl mitm Fahrrad da, oder?" Er präsentiert den Motor seiner Maschine, der in Miniaturform an seiner Halskette hängt. Dann steht er am Tisch der japanischen Familie und deutet auf die beiden Pokale, die im Imbisshäuschen über der Friteuse auf einem Regal stehen: "Die Steglitzer Currywürste haben nicht nur den Wurstpokal der BZ, sondern auch den Currywurstwettbewerb vom Adenauerplatz gewonnen", referiert er. "Außerdem lassen sich viele Touristen Wurst und Ketchup in die Heimat schicken. Die Würste werden vakuumverpackt nach Spanien, Frankreich und nach Australien geflogen. Hier hat es noch niemandem nicht geschmeckt! Sogar bis in den Busch wird geliefert. Die Eingeborenen wissen schließlich auch, was schmeckt!"

Leider darf Rainer selbst keine Currywürste mehr essen, wie er erzählt. Der Grund ist sein zu hoher Cholesterinspiegel. "Wenn ich davon drei esse, vibriert mir das Fett im Schädel rum", sagt er. Seit ein paar Monaten bestellt er deshalb immer Wienerwürste. "Die haben nicht so viel Fett drinnen."

Elli, die gar nicht Elli heißt, ihren richtigen Namen aber nicht sagen will, steht im bunten Kittel hinter dem kleinen Glasfenster und wendet die Würste im bräunlich schimmernden Fettbad hin und her. Sie arbeitet hier schon seit den sechziger Jahren. "Da hast Du Dir noch nicht mal in die Hosen gepinkelt, da stand ich schon hier", sagt sie zu Rainer. "Das Geschäft ist immer gut gegangen. Die Berliner verzichten auf alles, aber nicht auf ihre Currywurst." In den neunziger Jahren hätten die Verkaufszahlen kurzzeitig eine Art Höhepunkt erreicht. Das war die Zeit, in der oft Wetten abgeschlossen wurden, in denen es darum ging, wer die meisten Currywürste essen könne. Laut Elli brachte es ein Kunde dabei auf 18 Würste und zwei Spieße.

"Hier kommen alle Leute her, vom Schüler bis zur Großmutter", meint sie, "Vom Bank-Manager bis zum ...", "und vom Polizisten bis zum Verbrecher", fährt Rainer fort, "... bis zur Verkäuferin vom Reichelt", führt Elli fort, "Jeder kommt hier her."

"Ja, vom Obdachlosen bis zum..." Rainer stockt. " Obdachlose?", Elli unterbricht ihn. "Also, nee. Bei uns, das ist hier nicht so die Obdachlosen-Gegend. Eher noch Prominente. Aber darüber spricht man nicht. Sonst kommen die nicht mehr."


Imbissbuden am Hermannplatz, Neukölln

Die drei Imbisse vorm Karstadt am Hermannplatz haben sich auf unterschiedliche Gerichte spezialisiert. Beim "Puffer Imbiss" gibt es Eierkuchen und Kartoffelpuffer, der Imbiss ohne Namen verkauft Currywurst, Schaschlik und andere, typische, Buden-Snacks. Bei Herrn "Lange´s Imbiss" gibt´s Bodenständiges: Leber- und Blutwürste, Eintöpfe mit Kartoffeln oder Bohnen, mit Knacker oder ohne. Winfried ist 48, trägt eine Brille und kommt mehrmals pro Woche an Lange´s Stand: "Weil es hier am gesündesten ist." Heute bestellt er Möhreneintopf für 1,80. Winfried nimmt meistens den Eintopf, egal welchen es gibt. Wenn das Angebot mal nicht nach seinem Geschmack ist, wählt er Bratkartoffeln. "Die sind auch sehr zu empfehlen", sagt er und rollt mit den Augen. "Noch son bisschen mit Zwiebeln verfeinert." Winfried macht gerade einen Ein-Euro-Job. "Eine Mehraufwandsentschädigung." Er arbeitet im Großplanetarium in der Prenzlauer Allee, Netzwerkadministration. Nach Dienstschluss kommt er oft zum Imbiss, meist allein. "Ab und zu ist hier son Motorradfreak, den man hier so allgemein kennt", erzählt er. Mit dem unterhält sich Winfried schon mal über das eine oder andere Thema. "Meistens über was Technisches." Eigentlich guckt er aber lieber den Leuten zu, schaut, wie sie vorbeistolzieren. Zum Entspannen. Eher selten kocht er zu Hause. Viele seiner Freunde kochen nicht. Auch die weiblichen Bekannten kümmern sich selten um die häusliche Versorgung. Darüber wundert sich Winfried. "Dass die lieber abgepackte Sachen in die Mikrowelle legen und sich damit voll stopfen, als hier an die Bude zu kommen - das kann ich nicht verstehen." Er selber würde gerne öfter kochen. Aber nur für ihn allein macht es keinen Spaß. "Wenn man ne Familie hätte, sähe das schon wieder ganz anders aus. Aber das kann man ja nun nicht erzwingen. Ein bisschen Vorsicht ist schließlich die Mutter der Porzellankiste."

Der Kunde mit Baseballkappe und Brille am Tisch nebenan hat eine Blut- und eine Leberwurst mit Sauerkraut auf seinem Teller liegen. Michael ist gelernter Maßschneider und kommt regelmäßig hier vorbei. "Das Essen ist billig", sagt er. Manchmal bestellt er auch einen Kartoffelpuffer von nebenan. Die seien köstlich und wieder: billig. "Billig, das ist überhaupt alles hier", sagt er und freut sich dabei. Als er die pralle Leberwurst aufschneiden will, bricht seine Plastikgabel ab. Der Verkäufer hält ihm wortlos eine neue hin. Man versteht sich. Ins Gespräch mit Kollegen komme man eher selten, erzählt Michael. "Hier ist es so: schnell Essen und weg. Und so mach ich´s auch."


Konnopkes Imbiss, Prenzlauer Berg

Herr Weilmann bringt die dampfenden Currywürste an den Stehtisch: "Wenn meine Frau in der Stadt arbeitet, hole ich sie oft ab. Dann machen wir einen Umweg und essen hier", sagt er und stellt die Pappschalen auf den Tisch. Die Weilmanns kommen aus Köpenick und kennen den Imbiss aus Ostzeiten. "Da haben die Leute hier Schlange gestanden", berichtet Frau Weilmann. "An der Regierungsstrecke, in der Berliner Allee hat es damals sogar eine zweite Filiale gegeben. Weil die Regierungsbeamten aus dem Westen aber keine Warteschlangen sehen sollten, musste die Bude in eine Seitenstraße ausweichen", erzählt Frau Weilmann. Herr Weilmann kichert: "So was sollte es doch im Osten offiziell nicht geben." Er wischt sich mit der Papierserviette den Ketchup vom Mund. "Seit der Wiedervereinigung hat sich vieles verändert, aber die Wurst und der Ketchup hier, die haben sich nicht verändert. Die Curry kam ja aus Amerika, das war sozusagen das westliche Trendgericht gewesen, mit viel Ketchup und Pommes und so, und eben Currypulver." Seine Frau ergänzt: "Im Osten durfte man das natürlich nicht einfach so nachmachen, wie es der Westen vorgemacht hat." Deshalb habe man dort die Curry ohne Pulver verkauft. "Aber mal ehrlich", sagt Herr Weilmann. "Wieviel Bock ist in der Bockwurst und wieviel Wiener in der Wienerwurst?" Dann rückt er näher und verrät das Geheimnis: "An manchen Buden hat man das Curry-Pulver einfach in die Soße gerührt. Das hat ja keiner gesehen! So haben sie das im Osten gemacht, mit der Currywurst!"


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