Missgunst der Stunde

Indien/Pakistan Nach den Anschlägen von Bombay stottert der Gesprächsmotor zwischen Delhi und Islamabad

"Dies ist einer der vielversprechendsten Augenblicke in der Geschichte der Kaschmir-Verhandlungen", schreibt der angesehene politische Kommentator A.G. Noorani in der Hindustan Times am 11. Juli. Er skizziert die vergangenen zwei Jahre, die eine nie zuvor gesehene Kooperations- und Kompromissbereitschaft zwischen Indien und Pakistan geschaffen haben und es beim anstehenden Besuch des indischen Premiers in Islamabad ermöglichen könnten, dem Hader bis auf weiteres zu entkommen. Die Lösung - vermutlich in Gestalt eines vereinigten Kaschmir unter gemeinsamer Verwaltung - sei nah, schreibt Noorani. Der Autor ahnt nicht, dass seine Prophezeiungen noch am gleichen Abend in Bombay während der Rushhour von sieben verheerenden Bomben zerstört werden, die Vorstadtzüge und Bahnhöfe in Zonen des Grauens verwandeln.

Seither hat sich das Klima in der 20-Millionen-Stadt zwar verändert, doch erstarrt ist die Megametropole, die seit 1995 wieder ihren vorkolonialen Namen Mumbai trägt, keineswegs. Bomben, meint Finanzminister Chidambaram in einem Fernsehinterview, könnten Indiens Wachstum nicht aufhalten. Man solle die Börse als Beweis nehmen, an der sich die Kurse wieder erholt hätten. Der SENSEX, dieses hochempfindliche Barometer, an dem sich die Investitionsneigung ablesen lasse, sei seit dem 11. Juli mitnichten ins Bodenlose gefallen, sondern um drei Prozent gestiegen! In der Tat, Mumbai überwand den schweren Schlag mit Disziplin und Improvisation. Am Morgen nach den Attentaten bestiegen Pendler wieder pünktlich ihre Züge und ratterten über nachts reparierte Gleise in Richtung City.

Die indischen Geheimdienste hatten vage vor einen großangelegten Angriff auf Mumbai gewarnt und sogar die Namen der beiden mutmaßlichen Hauptdrahtzieher genannt, doch genügte das offenbar nicht, die Katastrophe zu verhindern. Inzwischen sind Hunderte der "üblichen Verdächtigen" aus den muslimischen Vorstadtslums in Haft, und Tatverdächtige - wie es offiziell heißt - auf der Flucht nach Pakistan via Nepal und Bangladesch ergriffen worden. Die möglichen Drahtzieher jedoch bleiben erstaunlicherweise auf freiem Fuß, zwei Führungskader der Lashka-e-Toiba (LeT), die inzwischen für die meisten Terrorakte in Indien verantwortlich gemacht wird. Diese Organisation, der Verbindungen mit al Qaida nachgesagt werden, beschreiben Experten als Kreatur des von Extremisten durchsetzten pakistanischen Geheimdienstes ISI. Derzeit sollen bis zu 150 geschulte LeT-Kämpfer in Indien eingesickert sein, dazu kommen 500 bis 600 im indischen Teil Kaschmirs. LeT-Kader rekrutieren gern lokale Extremisten, die in der Regel die geplanten Anschläge ausführen. Am 11. Juli soll es sich dabei in Bombay laut Polizeiangaben um Mitglieder der verbotenen radikalislamischen Studentenorganisation SIMI gehandelt haben.

Die LeT trainiert ihre potenziellen Handlanger größtenteils in Camps, die im pakistanisch besetzten Teil Kaschmirs liegen. Die Regierung in Islamabad hat in der Vergangenheit mehrfach versichert, sie werde diese Lager und die damit verbundene Infrastruktur der LeT zerstören, aber es fehlte die nötige Konsequenz, so dass der Ausbildungsbetrieb heimlich wieder aufgenommen wurde, wie nicht nur indische, sondern auch pakistanische Medien melden.

Delhi sah sich nach den jüngsten Anschlägen gezwungen, das für den 20. Juli vorgesehene Treffen der Außenminister abzusagen, das die dritte Runde der Friedensgespräche abschließen sollte, betont allerdings, der Gesprächsfaden sei damit nicht gerissen. Premier Manmohan Singh hat die pakistanische Seite vor eine klare Alternative gestellt: Solange Pakistan die von seinen Geheimdiensten geschaffene und geschützte Terrorgruppe LeT nicht unschädlich mache, könne nicht weiter verhandelt werden. Zweifellos eine nachvollziehbare Position - andererseits könnte sie genau das bewirken, was die Terroristen wollen. Vor allem die LeT und ihre Partner wären die unmittelbaren Nutznießer eines neuen kalten Krieges zwischen beiden Atommächten - der vielversprechende Moment der Annäherung wäre damit vorbei. Ein Misserfolg an der Verhandlungsfront aber würde die ohnehin desolate Position des pakistanischen Staatschefs Musharraf im eigenen Lande weiter schwächen und die Extremisten ermutigen, mit der "Talibanisierung" Pakistans fortzufahren - was wiederum kaum im indischen Interesse liegen dürfte.


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