Mission impossible 6

Kehrseite II Romans Geburtstagsessen. In Kreuzberg. Ein wenig habe ich Angst. Ich habe Angst vor Räucherstäbchen, vor bunten Tüchern an den Wänden und um die ...

Romans Geburtstagsessen. In Kreuzberg. Ein wenig habe ich Angst. Ich habe Angst vor Räucherstäbchen, vor bunten Tüchern an den Wänden und um die Lampen, davor, dass es Mate-Tee zu trinken gibt und dass gegen später die Dijeridoos ausgepackt werden. Vielleicht hätte ich zu Hause bleiben sollen. Aber nun stehe ich mit meinem Kind an der Hand schon vor dem Haus. Im Treppenhaus sagt das Kind, das Haus sei ganz verrostet. Als wir in die Wohnung reinlaufen, fragt es Roman, warum er eine so verrostete Wohnung habe. Wegen des alten Hauses, bekommt es zur Antwort und ist damit zufrieden. Als Geburtstagspräsent überreiche ich eine Flasche Wodka.

Die Geburtstagsrunde ist klein, aber nett. Es gibt sogar ein Fleischgericht. Das Kind hat gegessen, legt sich aufs Bett und schläft sofort ein. Kein einziger staubiger Baumwolllappen hängt überm Bett.

Ich begebe mich in die Nähe des Kühlschranks, weil dort im Eisfach der Wodka liegt. Dezent weise ich die umstehenden Gäste auf die Existenz der Flasche hin, und wir machen daraus eine kleine Küchenparty.

Alle anwesenden Personen außer mir sind entweder arbeitslos gemeldet, in einer vom Arbeitsamt geförderten Umschulung befindlich oder bereits hundertprozentige Sozialhilfeempfänger, weshalb wir, so lange der Vorrat reicht, auf den Staat trinken. Prost.

Roman lächelt. Er hat vom Wodka am meisten getrunken.

Stunden später und ziemlich knülle verabschiede ich mich von meinen neuen Freunden und trete den Heimweg an. Das schlafende Kind wird geschultert, und durchs verrostete Treppenhaus schweben wir hinaus. Draußen bläst mir der Kreuzberger Wind ins Gesicht. Wo ist mein Taxi? Ich lasse mich auf einer Bank nieder. Das Kind schläft. Ein ineinander geschlungenes Pärchen wankt laut kichernd auf uns zu und bleibt direkt vor uns stehen.

Er beißt ihr in den Hals und knurrt: Tanja, Tanja.

Super, dass du gekommen bist, sagt Tanja, ich bin schon total betrunken, lass uns sofort zu dir gehen.

Okay, gehen wir zu mir, sagt er, nimmt Tanja bei der Hand und will sie wegziehen. Sie bleibt aber stehen.

Ich erinnere mich gerade an diese Männer, die von ihren Frauen aus den Kneipen heraus abgeholt werden, sagt Tanja.

Ich wollte dich nicht irgendwo herausholen, sagt der Mann.

Doch, du hast mich abgeholt.

Nein, ich hab dich nicht abgeholt.

Doch.

Ich bin nur zufällig vorbeigekommen, du warst es doch, die sofort gehen wollte.

Tanja sagt, du hast mich abgeholt.

Er sagt: ist gar nicht wahr.

Du kommst rein und holst mich ab, schreit sie, rausgeholt und ab. Ich lasse mich nicht, wie diese Männer, die von ihren Frauen abgeholt werden, abholen.

Ich habe dich nicht abgeholt, du blöde Tussi, geh doch wieder zurück auf deine Scheißparty.

Die Tussi dreht sich um und geht wieder zurück auf die Scheißparty.

Ich bin jetzt nicht nur besoffen, sondern auch noch betroffen. Einsamkeit hat viele Gesichter, denke ich und sage: ich kenne auch eine Tanja, aber die heißt ganz anders.

Marion Pfaus, geb. 1966, schreibt Texte, macht Filme und Medienkunst. Als the most unknown popstar immer erreichbar unter www.rigoletti.de


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