Neuendettelsau ist ein Dorf in Franken. Von dort ist es ein weiter Weg bis zu jener Insellandschaft im Westen von Indonesien, die heute als Papua-Neuguinea firmiert. Aber für einige Menschen um die vorletzte Jahrhundertwende war dieser Weg erstaunlich konsequent, ja geradezu einfach, im Vergleich zu jenem long way home, der sie und ihre Kinder wieder ins Herz Frankens bringen sollte. Davon erzählt der ungewöhnliche Roman der Journalistin Katharina Döbler.
Dem Buch zugrunde liegt die eigene Familiengeschichte, wie sie aus Fotos, aus Briefen, vordringlich aber aus jenen von Uwe Johnson als „Gaben der Katze Erinnerung“ bezeichneten Bemerkungen hervorgeht, die die Enkel nach und nach von ihren Großeltern zu hören bekommen. Johnson wäre überhau
t ein Dorf in Franken. Von dort ist es ein weiter Weg bis zu jener Insellandschaft im Westen von Indonesien, die heute als Papua-Neuguinea firmiert. Aber für einige Menschen um die vorletzte Jahrhundertwende war dieser Weg erstaunlich konsequent, ja geradezu einfach, im Vergleich zu jenem long way home, der sie und ihre Kinder wieder ins Herz Frankens bringen sollte. Davon erzählt der ungewöhnliche Roman der Journalistin Katharina Döbler.Dem Buch zugrunde liegt die eigene Familiengeschichte, wie sie aus Fotos, aus Briefen, vordringlich aber aus jenen von Uwe Johnson als „Gaben der Katze Erinnerung“ bezeichneten Bemerkungen hervorgeht, die die Enkel nach und nach von ihren Großeltern zu hören bekommen. Johnson wXX-replace-me-XXX228;re überhaupt der richtige Pate für dieses Buch, weil es nämlich die aus der Provinz gesponnenen Fäden so über die weite Welt streut und in ihrem Gerede und Handeln wieder einfängt, dass die großen Themen deutlich hervortreten, sich aber der Auflösung ins Thesenhafte widersetzen. Es geht in diesem Buch um Deutsche, die aus der Armut der tiefsten Provinz von Gott, so meinen sie, ans andere Ende der Welt gerufen werden, die dort glauben, an „Seinem Reich“ mitzuwirken, und dann einsehen müssen, dass es nicht ihr Reich ist, oder anders gesagt, dass es, je mehr es das ihrige wird, anderen gehört: „Dein Reich“ eben. Es ist eine Lektion über Hybris und Enttäuschung und darüber, dass man mit beidem weiterleben muss – und kann.Die Großeltern der Erzählerin sind „Heidenmissionare“. Der eine, Bauernsohn ohne Hof, packt eine Gelegenheit beim Schopf, der andere, der Prediger, will etwas Großes im Leben, während man den Frauen erklärt, die Ehe mit solchen Männern sei Gottes Wille. Sämtlich kämpfen sie mit ihrer „Bestimmung“, der Prediger gerät gar in erotische Turbulenzen – schließlich ist ein Mann Gottes in erster Linie ein Enthusiast. Die Äcker des Herrn bearbeiten sie – oder lassen sie von Einheimischen bearbeiten – im „Kaiser-Wilhelm-Land“, das dann englisch beziehungsweise niederländisch wird, bevor es nach dem Zweiten Weltkrieg zur Dekolonialisierung kommt. Anders als etwa in Christian Krachts Roman Imperium sind die Protagonisten hier weder Zyniker noch narzisstische Weltverbesserer. Manche, wie der Großvater Johann, kommen aus dem Staunen nicht heraus – da sollen sie das rechte Christenleben lehren und erfahren schmerzlich, dass sie die fremden Geister und Dämonen erst einlassen müssen, um sie auszutreiben. Und Großvater Heiner bedient sich der Magie der Einheimischen aus taktischen Gründen, um ihre Arbeiter zu kontrollieren. Überhaupt differenziert das Buch seine Charaktere aus, wie man es angesichts des aktuellen Kolonialismus- und Raubgut-Diskurses nicht mehr gewohnt ist. Die Missionsgesellschaft wird nicht einfach als imperialistische Vorhut betrachtet, sondern als stets fragiler Versuch, sich selbst aus der Misere zu helfen, indem man glaubt, anderen beizustehen (und es auch tat: etwa in der Auseinandersetzung mit staatlichen Institutionen). Wenn die Neuendettelsauer paternalistisch wirken, dann, weil viele von ihnen selbst einen Vater brauchen.Anfällig für HitlerSinn schöpfen aus dem Zusammentreffen von christlicher Überlieferung und einer zeitlich wie räumlich im 19. Jahrhundert extrem erweiterten Welt, das wollten eine ganze Reihe von Missionsvereinigungen. Sie eräugten in der indigenen Bevölkerung Kobolde und Kannibalen, aber auch Adressaten einer „Uroffenbarung“, die es sich anzueignen galt, und schwankten zwischen Faszination und Entsetzen. Die spannungsreichen Beziehungen zwischen Indigenen, Chinesen, Deutschen, Engländern, Niederländern, die Suche nach den richtigen Worten in diesem „elenden Pidgin“, mit denen Inkulturation gelingen könnte – all dies beschreibt Katharina Döbler so nuanciert und kenntnisreich, wie es nur gelingen kann, wenn Familienerzählung und historische Ethnologie zusammenarbeiten. Sie schreibt im ethnografischen Präsens, nah an den Figuren, kitschfrei und ohne epischen Hochmut. Spröde wird die Sprache dabei nie, ein paar Längen schleichen sich indes ein.Wenn mancher Deutsche sich in den Südseetropen wenigstens fast im Paradies glaubte, wird es für alle doch eine Erfahrung der Vertreibung geben. Darüber sprechen sie unwillig und beschweren mit ihrem Schweigen ihre Nachkommen. Und dies nicht nur, weil einige sich als anfällig für Hitler erweisen, um die Kolonien wiederzuhaben, oder weil sie schlicht die Vorsehung am Werk glauben. Sondern auch, weil die Indigenen alsbald besser über den fremden Gott Bescheid wissen als dessen Abgesandte. Daraus werden jene millenaristischen Bewegungen und Cargo-Kulte entstehen, die die christliche Missionierung selbst spiegeln: den Glauben, man könnte Gott dazu bewegen, auf die Erde herabzusteigen, indem man das eigene Leben in seinen Dienst stellt. Verbrannte Herzen hinterlassen verbrannte Erde.Placeholder infobox-1
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