Mit Bio-Zertifikat

Tiere Das neue Münchner Volkstheater steht im Schlachthofviertel. Auch die Premiere ist blutig
Ausgabe 42/2021

Nun hat auch das Münchner Volkstheater ein neues Haus. Nach dreijähriger Bauphase ist es aus der Stadtmitte etwas weiter südlich in die Isarvorstadt gezogen, auf dem großen Schotterplatz an der Tumblinger Straße 29 steht nun ein hochmoderner Komplex, als habe er immer schon hier gestanden. Auch der Prospekt zum Neubau betont, wie gut der Bau sich „wie selbstverständlich in seine Nachbarschaft“ integriere. Das tut er, und die Premiere von Unser Fleisch, unser Blut tut es auch.

Es ist nicht recht entscheidbar, ob es sich bei diesem Stück von Jessica Glause um eine Auftragsarbeit zur Einweihungsfeier handelt oder ob die Regisseurin mit ihrem Thema zufällig einen Glücksgriff tat. Unser Fleisch, unser Blut handelt vom Fleischkonsum, als Aufschlag des neuen Volkstheaters eignet sich keine andere Uraufführung besser, denn das Theaterhaus steht jetzt im Schlachthofviertel, die Regisseurin lebt hier selbst seit zehn Jahren. Die Nachbarn sind Restaurants und eben auch der Schlachthof. An Schlachttagen hört man die Tiere, die Anwohner im Viertel sind es gewohnt. Tiere töten und sie im Wirtshaus gleich daneben essen, dabei noch dem einen oder anderen Schwank zuhören, das gehört hier schon lange zusammen. So nimmt sich auch das neue Volkstheater gleich der Tiere an.

Das Stück hat keine Handlung, es beginnt mit Grunzen und Muhen, ein Wiehern wird noch dazukommen und den Tiergesang komplett machen. Die Figuren des Ensembles tragen Tiermasken, wenn sie sie abnehmen, können sie aber auch sprechen, sogar debattieren und reflektieren, sie können Dancing, können Werbe-Hip-Hop, können Politik. Sie sind mal Mensch, mal Tier und zeigen uns in Sprech-, Musik- und Tanzszenen unseren Umgang mit den Tieren.

Ein wenig albern, mitunter zynisch und ein wenig wahr ist die Inszenierung von Unser Fleisch, unser Blut. Ein Metzgersohn pocht auf eine lange Wurst-Tradition, ein Hipster-Koch auf Intimität am mobilen Herd, eine Bio-Zertifikats-Ziegen-Bäuerin nennt ihre Tiere beim Namen, und eine Schlachthofangestellte kennt die Abläufe der Anlieferung, Tötung und Vernichtung sehr genau. Dass diese inkompatiblen Mischfiguren überhaupt miteinander ins Gespräch kommen, ist die utopische Nuance des Abends.

Zur Kultur gehören sie schon immer, die Tiere, wie eben zur Lebenswelt. Dass sie sprechen können, wissen wir aus Fabeln, dass sie Gefühle und Träume in Menschen auslösen, aus dem französischen Film Körper und Seele (2017), für sein Buch Tiere essen hatte Jonathan Safran Foer bereits 2009 die Produktionsbedingungen des Fleischkonsums erforscht und abschreckend beschrieben. In Hanya Yanagiharas Roman Das Volk der Bäume wird nur Schweinen Respekt gezollt. Das Mittel der Tiermasken benutzte Art Spiegelman in seinen Maus-Comics, um scheinbar menschliche Figuren in die Nähe des Bestialischen zu rücken. Bei Ionesco ist es ein Nashorn, das die Handlung bestimmt. Unser Tierdiskurs ist vielleicht noch nicht allgegenwärtig, jedoch sehr lebendig. Und wenn Unser Fleisch, unser Blut nun nach unserem Umgang mit den Tieren fragt, ist das nur konsequent und aktuell.

Der Mensch wird geröstet

Am Ende des Stücks wird der wohlproportionierte Mensch, wie Leonardo da Vinci ihn im Humanismus als Maß der Welt gezeichnet hatte, mit der spektakulären Technik des neuen Theaterbaus in einem Abgesang sehr zeitgemäß geroasted. Ein Blick in den Spielplan der weiteren Saison des Volkstheaters und in das Repertoire, das aus dem alten Haus mit umziehen durfte, bestätigt, dass die Tiere nach Unser Fleisch, unser Blut die Bühnen des Volkstheaters auch in der Zukunft bevölkern werden. Am Wiesnrand (Regie: Stefanie Sargnagel, 2018) spielte bereits mit Tiermasken. Animal Farm nach George Orwell (Regie: Sapir Heller) wird gerade für Februar 2022 vorbereitet. Animal Farm wird nicht davon handeln, auf welche Weise Menschen Tiere ausbeuten, sondern es geht um die Aneignung von menschlichen Herrschaftssystemen in einer fiktiven Tierwelt.

Info

Unser Fleisch, unser Blut Regie: Jessica Glause und Ensemble Volkstheater München, 29.10, 31.10., 01.11.2021

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