Eine Million US-Dollar haben sie Fuad geboten. Dafür wollten sie sein Haus und das Land, auf dem es steht. Fuad zögerte nicht eine Sekunde. "Ich verkaufe nicht", hat er dem Mann mit der Kipa und den Gebetsfäden an der Hose gesagt. Der erhöhte sein Angebot: eine Greencard für die USA. Fuad hat abgelehnt. Seit Jahrhunderten ist das Land im Besitz der Familie. Warum sollte er es jetzt verkaufen, noch dazu an die Juden? Wo sie doch schon den ganzen Berghang hinter seinem Haus besitzen.
Das war vor einem Monat. Heute nachmittag um drei standen sie dann plötzlich vor Fuads Haus, bewaffnet mit Maschinenpistolen, Schlafsäcken und Kisten voller Cornflakes. 30 junge Burschen. Jeder mit so einem Knopf im Ohr. Mit Stacheldraht haben sie den Berghang eingezäunt. Jetzt pflanzen sie Olivenbäumchen. Das ist also der "Fortschritt Zions", die neue Siedlung, die die religiösen Juden hier auf dem Berghang bauen wollen, direkt auf der Grenze zwischen Jerusalem und dem arabischen Ort Abu Dis.
Eigentlich sollte Abu Dis schon längst an die Palästinenser übergeben werden, Parlament und Regierung Israels hatten es vor knapp einem Monat so beschlossen. Doch wegen der Unruhen in den Palästinensergebieten musste Premierminister Ehud Barak die Übergabe auf Eis legen. Statt der palästinensischen Polizei ist nun also eine Gruppe jüdischer Siedler nach Abu Dis gekommen.
"Hier beginnt der Kampf um Jerusalem"
Fünf israelische Parlamentarier leisten ihnen moralischen Beistand. "Hier beginnt der Kampf um Jerusalem", ruft der Abgeordnete Michael Kleiner und stößt seinen Spaten in die felsige Erde. Hinter ihm schimmert die goldene Kuppel des Felsendoms in der Abendsonne. Wie eine Krone thront das muslimische Wahrzeichen über Jerusalem.
Der Kampf um Jerusalem beginnt in Abu Dis. Wenn es nach dem Willen der israelischen Opposition geht, wird Abu Dis nie palästinensisches Autonomiegebiet. Dabei wollte bis vor kurzem selbst Likudchef Ariel Sharon den Ort an die Palästinenser zurückgeben. Aber nein, die israelische Sicherheit ist plötzlich gefährdet, schreit der Ex-General. Abu Dis gehöre zum biblischen Eretz Israel, argumentieren die Orthodoxen. Die israelische Souveränität über Jerusalem würde verletzt, schreit Bürgermeister Ehud Olmert und versucht, mit der neuen Siedlung nach bewährter Manier Fakten zu schaffen: 200 Wohneinheiten, die eine Kontinuität jüdischen Lands bis zur Klagemauer sichern sollen. Dafür braucht er nicht einmal Palästinenser zu enteignen, denn der Berghang gehört Juden. Ein paar Parzellen gehören dem jüdischen Multimillionär Irving Moskovitz aus Chicago. Der hatte schon im Nachbarort Ras al-Amud Häuser bauen lassen. Palästinenser demonstrierten dagegen, die Armee marschierte auf, Steine flogen, am Ende gab es Verletzte.
Am Berghang in Abu Dis zeichnet sich ein ähnliches Szenario ab. In der Dunkelheit der Nacht ziehen immer mehr israelische Soldaten den Hügel hinauf. Hinter dem Stacheldraht der Siedler sammeln sich die ersten Palästinenser. 50 mögen es jetzt sein. Nicht viele, wenn man bedenkt, dass Abu Dis 14.000 Einwohner hat. Sie haben ein Feuer angezündet.
Die Soldaten stellen sich in zwei Reihen zwischen Palästinenser und Siedler, Helme auf dem Kopf, Knüppel im Anschlag, Tränengaspatronen in der Hand. Dahinter schnurrt der Generator der Siedler. Im Flutlicht eines Scheinwerfers fangen sie an zu beten. Vor und zurück wippen ihre Oberkörper, immer in Richtung Klagemauer.
Fuad steht hinter dem Stacheldraht und kann es nicht fassen: "Keiner hilft uns. Wo bleibt die palästinensische Regierung?" Er zeigt mit seinem Arm auf den Nachbarhügel mit der hohen Antenne. "Dort wohnt Abu Nasr, Arafats Jerusalem-Governor", sagt er. "Warum ist er nicht hier?"
Abu Nasr war hier, vor genau einer Woche. Dort unter den Bäumen, wo jetzt die Juden beten, fiel er zusammen mit den Gläubigen zum Freitagsgebet auf die Knie. "Im Koran steht, dass wir dieses Land verteidigen müssen", hat er anschließend deklamiert. Und: "Wir werden dieses Land nicht verlassen."
Abu Dis ist in keinem Reiseführer eingezeichnet, wird aber als Teil einer palästinensischen Hauptstadt gehandelt. Der israelische Justizminister Jossi Beilin und PLO-Vize Abu Mazen hatten vor Jahren einen Plan ausgetüftelt. Danach bliebe das jetzige Jerusalem die Hauptstadt Israels. Die arabischen Vororte im Osten würden zu einer Stadt zusammengefasst und ergäben das neue, palästinensische Jerusalem, mit einem Korridor zu den heiligen muslimischen Stätten in der Altstadt.
"Natürlich ist das ein Parlament"
Ehud Olmert, der Jerusalemer Bürgermeister versucht, das mit allen Mitteln zu verhindern. So zog er vor einigen Wochen den Plan der Siedlung am Rande von Abu Dis aus der Schublade. Ein Dorn im Auge ist Olmert ein Gebäude, das nur einen Steinwurf vom Berghang der Juden entfernt ist. Sieben Stockwerke hoch ragt der Rohbau am Stadtrand von Abu Dis, den alle nur "das Parlament" nennen. Ein Koloss aus Sandstein. Palästinenserchef Arafat hat das Gebäude lange als "Kulturzentrum" deklariert. Ein Parlament in Abu Dis, so fürchtete er wohl, könne bei seinem Volk den Eindruck hinterlassen, er würde auf Jerusalem als Hauptstadt verzichten.
"Natürlich ist das ein Parlament", bestätigt Bassem Mustafa, der Bauingenieur, und deutet in den großen Saal mit der Bühne am Kopfende. Der Boden ist übersät mit Zementklumpen, ein großes Holzgerüst stakst in die Kuppel hinein. "Sie wird mit schwarzem Glas ausgekleidet, die Rückwand der Bühne mit Marmor." Auf der anderen Seite der Halle zieht sich eine Galerie in den Saal hinein, "für die Zuschauer, die beobachten wollen, wie unsere Politiker debattieren", erklärt Mustafa, aber es klingt nicht so, als könne er sich hier schon bald eine Parlamentsitzung vorstellen.
"Wenn die Israelis Abu Dis an uns übergeben, werden wir die Arbeit am Parlament beschleunigen", sagt Mustafa. Bis dahin werkeln die Arbeiter hier und da herum, mehr als eine Handvoll sind nie zu sehen. Ob sie sich freuen, das Parlament zu bauen? "Ja", sagt einer, "weil ich etwas für das palästinensische Volk tue." Ein anderer, er trägt den Bart der Islamisten, will nicht reden. Nur eine kleine Handbewegung: Geld, wegen des Geldes ist er hier. Schnell fügt der erste hinzu: "Unsere Hauptstadt ist nicht Abu Dis, unsere Hauptstadt ist Jerusalem - Al-Quds, die Heilige." Der Bärtige nickt.
Von einem Büroraum im obersten Stockwerk, der größer ist als alle anderen, bietet sich eine großartige Aussicht auf die goldene Kuppel des Felsendoms. "Das ist keine großartige Aussicht", sagt Mustafa, "sondern eine politische." Ob es stimmt, was sich die Leute in Abu Dis erzählen? Hier, in diesem Zimmer, soll Arafat residieren? Mustafa lacht. "Das ist doch ein Witz. In unseren Bauplänen steht nirgendwo der Name Arafat."
Auf der großen Karte im Flur der Stadtverwaltung von Abu Dis ist noch nicht einmal das Parlament eingezeichnet, obwohl sonst jedes Haus aufgeführt ist. "Es ist nur ein Gebäude", wehrt Saleh Abu Hilal, der Bürgermeister, ab. Er zögert. "Und wenn es ein Parlament wäre, was ist falsch daran?" Als ob er sich der Antwort selbst nicht sicher ist, schiebt er hinterher: "Unsere Hauptstadt ist Ost-Jerusalem, nicht Abu Dis."
"Geh nach Hause, Arieh"
Erst wenn Israel Ost-Jerusalem abgebe, würde aus dem Gebäude ein Parlament. "Kein Ost-Jerusalem, kein Parlament". Der 65-jährige mit der Hornbrille und dem weißen Stoppelbart zieht eine alte Karte hervor. Unter osmanischer, britischer und jordanischer Herrschaft sei Abu Dis stets Teil des Verwaltungsbezirks von Jerusalem gewesen.
Erst die Israelis änderten das, als sie 1967 die Westbank besetzten und Abu Dis der viel weiter entfernten Stadt Bethlehem zuordneten. "Barak würde ja am liebsten eine Mauer zwischen Jerusalem und den arabischen Vororten ziehen", glaubt Abu Hilal zu wissen. "Aber wir werden niemals zulassen, dass zwischen Ost-Jerusalem und Abu Dis eine Grenze gezogen wird." Die gibt es jedoch schon. Nachdem die Israelis 1967 das Westjordanland besetzten, schnitten sie den größten Teil von Abu Dis vom Jerusalemer Stadtgebiet ab. Eine unsichtbare Grenze, die das Volk von Abu Dis in zwei Klassen teilt.
Ibrahim Ayyad hat Glück gehabt. Der 21-jährige lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester auf der Jerusalemer Seite von Abu Dis. Sein weißer Peugeot trägt das gelbe, israelische Nummernschild, und in seinem Portemonaie steckt die begehrte blaue Identitätskarte, mit der er sich frei in Israel bewegen kann. Ohne sie könnte er nicht jeden Morgen um 6 Uhr zu seiner Arbeit in ein Jerusalemer Reisebüro fahren.
Ibrahim ist verunsichert wegen der bevorstehenden Rückgabe von Abu Dis. Die Israelis könnten auf die Idee kommen, den Streifen mit seinem Elternhaus Abu Dis zuzuschlagen. Erste Anzeichen gibt es schon. Einem Nachbarn hätte die israelische Wasserbehörde gestern einen neuen Wasseranschluss verweigert. "Wenn das bedeutet, dass ich meine blaue ID-Karte verliere, dann ziehe ich um nach Tel Aviv, egal was die Leute hier meinen", sagt Ibrahim entschlossen.
Doch in dieser Nacht patrouilliert hier noch kein palästinensischer Polizist, sondern die israelische Armee. Irgendwann um Mitternacht erteilt der befehlshabende Offizier den Befehl zur Evakuierung der Siedler. Die ganze Nacht verhandelt er mit ihnen. Im Morgengrauen geben die meisten auf. Nur der Anführer, ein junger Bursche, weigert sich zusammen mit drei Kumpels. "Geh nach Hause, Arieh", sagt der befehlshabende Offizier. "Du musst mal 'ne Stunde schlafen." Arieh rollt noch einmal die Luftaufnahme von dem Hügel aus, zeigt dem Offizier, wo Juden Land besitzen. "Geh schlafen, ich will ins Wochenende", sagt der Offizier. Arieh schaut auf seine müden Begleiter. Und dann packt er die letzten Schlafsäcke in den Mietwagen und zieht ab, eskortiert von Armeejeeps -den Berg herunter, vorbei am Palästinenser-Parlament, raus aus Abu Dis. "Eines ist sicher", sagt der befehlshabende Offizier und schaut dem Wagen hinterher. "Die werden wiederkommen."
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