Lehrer, Eltern und Politiker wissen, dass der Vergleich hohe Überzeugungskraft besitzen kann. So lässt sich Kindern das Unbekannte näher bringen, ahnungslosen Wählern lassen sich komplexe Situationen verdeutlichen. Im Idealfall funktioniert der Vergleich wie ein Aha-Erlebnis: „Ja, genau!“, rufen wir, sobald die dunkle Materie in unserem Gehirn blitzartig erhellt wird. Denn ein guter Vergleich ermöglicht es, auf der Grundlage von Bekanntem neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Doch leider wird der Vergleich von Politikern und Journalisten häufig missbraucht: a) mit Absicht – dann soll es eine Provokation sein, und b) aus Nichtwissen – dann ist es eine Entgleisung.
Letzteres „passierte“ Martin Delius, dem Fraktionsgeschäftsführer der Berliner Piraten, als er in einem Interview des Spiegel den Satz fallen ließ: „Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933.“ Die Geschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, versuchte sofort, das Feuer zu löschen: „Es ist nicht inhaltlich schlimm, was er gesagt hat, es ist einfach nur PR-technisch dumm.“
Empörungsreflexe
Oh Marina! Es ist umgekehrt! Der Satz ist inhaltlich schlimm, weil er „PR-technisch“ wie eine Signalrakete funktioniert. Er wird von den Rechtsradikalen als Aufforderung zur Unterwanderung verstanden, auch wenn das Delius nicht wollte.
Seit dem Mauerfall, sagt die Linguistin Marie-Hélène Pérennec, wird der Nazi-Vergleich immer mehr eingesetzt. Man könnte ihn – wenn das nicht schon wieder ein unzulässiger, weil verharmlosender Vergleich wäre – als perverse Kampfsportart bezeichnen. Als ein Ultimate Fighting in der politischen Arena. Der Nazi-Vergleich garantiert höchste Aufmerksamkeit, weil jeder Treffer unter der Gürtellinie für sofortige Empörungsreflexe sorgt. Das Satiremagazin Postillon hat das jüngste Beispiel nun genial auf die Schippe genommen: „Piratenpartei verurteilt ständige Nazi-Vergleiche als ‚schlimmer als der Holocaust‘.“
Manche Nazi-Vergleiche sind trickreich, aber harmlos. Andere sind harmlos und deshalb gefährlich, weil sie mit dem Nicht-Wissen der Adressaten reagieren. Wer nicht einschätzen kann, was verglichen wird, registriert zwar einen Zusammenhang, kann ihn aber nicht bewerten. Das ist auch das Gefährliche an Delius’ Vergleich.
Minenfeld
Dagegen spielen Äußerungen, die den Nazi-Vergleich erst im Kopf der Zuhörer entstehen lassen, bewusst mit der Empörung von Wissenden. Solche Provokationen sollen die eigene Anhängerschaft mobilisieren, Ängste abwehren oder vorausgegangene Verletzungen kompensieren: „Der schlimmste Hetzer seit Goebbels“, sagte einst Willy Brandt über Heiner Geißler. „Das hat auch Hitler schon gemacht“, dachte Herta Däubler-Gmelin über George Bush. Der „Hitler des 21. Jahrhunderts“ ist, je nachdem, Ahmadinedschad, Gaddafi oder Saddam Hussein. Oder: Merkel mit Hitler-Bärtchen.
Historische Analogien müssen dabei nicht immer „widerlich“ sein. Oft handelt es sich um zornige Hilferufe, die vor der Wiederholung von Fehlern warnen: Wenn polnische Politiker die Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland als Hitler-Stalin-Pakt beschimpfen, wollen sie uns die Augen öffnen und zur Umkehr ermahnen.
Doch der Nazi-Vergleich bleibt ein Minenfeld. Deshalb sollten wir uns an folgendes Gesetz halten: Sobald der erste Nazi-Vergleich auftaucht, wird die Debatte einfach abgebrochen.
Wolfgang Michal ist Herausgeber des Onlinemagazins
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