Bis etwa 1990 wies die Landwirtschaft Cubas im Vergleich zur ganzen Karibik die höchste Produktivität aus; sie war hoch industrialisiert, hoch zentralisiert und exportorientiert. Die Sowjetunion lieferte die dafür nötige Agrochemie, den Maschinenpark und den Treibstoff. Cuba importierte damals 60 Prozent der im Land konsumierten Lebensmittel.
Der Zerfall des sozialistischen Blocks und seines Handelssystems nach 1989 brachte die cubanische Ökonomie und die Landwirtschaft ins Schleudern. Der Import von Agrochemikalien und Lebensmitteln sank um 80 Prozent, und die Treibstofflieferungen wurden halbiert. Cuba stand 1991 am Rande einer Hungerkrise. Um diese abzuwenden, musste das Land in kurzer Zeit doppelt so viel produzieren, und dafür stand nur noch halb so viel
so viel Geld zur Verfügung. Die Regierung Fidel Castros leitete 1991 mit dem "Alternativen Modell für die Sonderperiode" einen radikalen Umbau der Landwirtschaft ein: Abstützung auf die eigenen Kräfte, Biolandbau und Einführung neuer agro-ökologischer Techniken.Biokompost und Fruchtfolgewirtschaft Das dringlichste Problem war die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Synthetischen Dünger gab es kaum noch, und die Böden waren vielerorts stark ausgelaugt und erodiert. Cubanische Bauern und Bäuerinnen griffen auf eine Vielzahl von biologischen Düngeverfahren zurück, auf kompostierte Tierabfälle, Decksaaten, Torf, Mineralpulver, Regenwurmhumus und stickstoffbindende Bakterien. Heute werden in rund 170 großen, dezentralen Wurmkompostanlagen jährlich 93.000 Tonnen hochwertiger Biokompost produziert. Zwischensaaten, die in den großen Monokulturbetrieben keine Rolle mehr spielten, wurden wieder eingeführt. Wenn zum Beispiel Mais zusammen mit Tomaten und Cassava (Maniokart) angepflanzt wird, ist der Gesamtertrag der Feldpflanzen im Vergleich zum Anbau in Monokulturen insgesamt doppelt so groß. Dank der Wiedereinführung der Fruchtfolge im Anbau hat sich die Artenvielfalt wieder deutlich erhöht. Cubanische WissenschaftlerInnen haben gleichzeitig ein innovatives Programm der biologischen Schädlingsbekämpfung entwickelt, um synthetische Agrogifte zu ersetzen. Heute werden in über 200 im ganzen Land verteilten Zentren Nützlinge erforscht und in grossen Mengen produziert. So werden jährlich 1.300 Tonnen Präparate unter Verwendung des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis (Bt) hergestellt. Diese Präparate werden erfolgreich gegen Schädlinge bei Tabak, Mais, Cassava, Tomate und vielen anderen Feldfrüchten eingesetzt. Gegen Rüsselkäfer bei Süßkartoffeln und in Platanenplantagen werden Präparate auf der Basis des Pilzes Beauvaria bassiana eingesetzt, jährlich 780 Tonnen. Hinzu kommen 200 Tonnen Verticillium, ein Pilz, der gegen whiteflies wirkt, und 2.800 Tonnen Trichogramma - eine äußerst nützliche kleine Schlupfwespe, die bei vielen Feldfrüchten auf den schädlichen Raupen parasitisiert und diese zerstört.Neue Produktionsanreize Am augenfälligsten aber ist das Comeback des Ochsen. Sowjetische Traktoren konnten nicht mehr importiert werden; Ersatzteile sowie Treibstoff waren zu teuer. Die Feldarbeit mit dem Ochsen ist zwar arbeitsintensiver, hat aber auch ihre Vorteile: Der Ochse ist billig im Unterhalt und leicht zu halten. Er verdichtet beim Pflügen nicht die Erde; er kann in der Regenzeit lange vor dem Traktor auf den Feldern eingesetzt werden, und er produziert wertvollsten Dünger. Cubanische WissenschaftlerInnen haben neue ochsengezogene Pflüge, Setzmaschinen und andere Landbauwerkzeuge entwickelt. Die Regierung investierte in ein Zuchtprogramm, um den Ochsenbestand landesweit schnell zu vergrößern. Doch diese biologischen Techniken alleine genügten nicht. Bis zur Krise haben riesige staatliche Betriebe 80 Prozent der Landwirtschaft kontrolliert. Für diese Großbetriebe, die für den Export Zuckerrohr, Ananas oder Zitrusfrüchte angebaut hatten, war der Übergang zu einem nachhaltigen Landbau kaum möglich. Die Monokulturen waren zu anfällig für Schädlinge und Krankheiten, das System zu träge und zu fixiert auf die Zuführung großer Mengen Chemikalien. Für die LandarbeiterInnen auf den Plantagen bestand auch wenig Anreiz, die Produktion anzukurbeln. Kleinere Kooperativen waren da dynamischer, Campesinos und Campesinas adaptierten die neuen Techniken schnell - in Kombination mit traditionellen Techniken, soweit sie diese noch aus der Zeit vor der Industrialisierung der Landwirtschaft kannten - die Produktiviät stieg steil an. Die unproduktiven staatlichen Großbetriebe wurden 1993 auf kleinere Cooperativen aufgeteilt, bei denen die Mitglieder alles, was sie über die Staatsquoten hinaus produzieren, selber vermarkten dürfen. Gleichzeitig wurden Schrebergärten in stadtnahen Regionen zum Programm erhoben. In städtischen Gebieten wurden alle Hinterhöfe, Abstellplätze, unbenutzten Landflecken bepflanzt, und zwar biologisch. Allein in Havanna gibt es heute über 26.000 Selbstversorgergärten. Sie erzeugen jährlich rund 550.000 Tonnen frisches Biogemüse und -obst. Diese Gärten hatten noch einen andern Effekt: In Zeiten bitterer Not führten sie zu einer neuen Solidarität innerhalb der Nachbarschaft; in gemeinsamen Aufräumarbeiten wurden die Terrains vorbereitet; es entstanden nachbarschaftliche Kooperativen und neue kleine Freizeitparadiese.Revolutionsexport Cuba ist immer noch teilweise auf künstlichen Dünger angewiesen, und das Aufbrechen großer Monokultur-Plantagen ist ein langer Prozess. Doch heute schon entfällt bei der Reisproduktion 65 Prozent auf den Bioanbau, beim Gemüse wird die Hälfte biologisch gezogen. Dass das neue Landwirtschaftssystem effizient war, zeigen eindrücklich die Zahlen zum durchschnittlich verfügbaren Quantum an Kalorien pro Tag und Person. Vor der Krise 1990 waren es 2.600 Kilokalorien gewesen, am Tiefpunkt der Krise 1.000-1.500 Kilokalorien, bis Ende der neunziger Jahre war wieder ein Wert von 2.700 Kilokalorien erreicht. Wird diese Biorevolution auch Bestand haben, wenn es Cuba wirtschaftlich wieder besser geht und die Handelsrestriktionen gegen das Land aufgehoben werden? Cuba hat vor zwanzig Jahren rücksichtslos auf die Biotechnologie gesetzt, Cubas Landwirtschaft ist zur Zeit allerdings gentechfrei. Beim Umbau wurden die Strukturen des alten Landwirtschaftsystems grundlegend geändert und neue Prioritäten gesetzt: Dezentralisierung, Schaffung kleiner Kooperativen, Ausbildung von Campesinos und städtischen "GärtnerInnen", Forschung und Entwicklung neuer agrarökologischer Techniken und vieles mehr. Es ist weit mehr geschehen, als der durch die Umstände erzwungene Ersatz einer agrochemischen Produktion durch eine biologische. Diese Entwicklung wird sich nicht so schnell rückgängig machen lassen. Zumal Cubanische WissenschafterInnen inzwischen ihre Erfahrungen und Techniken im Biolandbau auch in andere Länder Zentralamerikas exportieren.Weitere Infos unter www.blauen-institut.ch